von: Katharina Mauz (Erasmus Mundus Master in Migration and Intercultural Relations)
Es herrscht Wahlkampf in Kolumbien, und viele Blicke sind auf das politische Treiben in Bogotá gerichtet. Aber was geschieht in den departamentos und comunidades des Landes?
Eine Reise in das departamento Caquetá zu dem PNT Oscar Mondragón am Fluss El Pato und die Gemeinden El Doncello und Puerto Rico zeigt, wie einige farianos dort leben und wie sich ihr Leben seit dem Friedensvertrag verändert hat.
Adriana ist 32 Jahre alt und seit ihrem vierzehnten Lebensjahr lebte und kämpfte sie in den Reihen der FARC. Sie war Teil der mobilen Einheit Teófilo Forero, über die gesagt wird, sie sei eine der blutrünstigsten und brutalsten Einheiten der FARC gewesen. Adriana schloss sich den FARC an, weil sie in ihrer Familie mit neun Geschwistern und einer alleinerziehenden Mutter für sich keine gute Zukunft sah. Der Krieg war hart und das Leben im monte entbehrungsreich und schwierig. Die Narben auf ihrem Körper lassen erahnen, was sie nicht erzählen möchte. Und dennoch, bereuen tut sie es nicht, sich der guerilla angeschlossen zu haben.
Nachdem sie und ihre compañeros Ende Juni 2017 im PNT ihre Waffen abgegeben hatten, wurde Adriana Teil der grupo de pedagogía. Dies ist eine Gruppe von acht ehemaligen Kämpferinnen und Kämpfern, die die Erlaubnis haben, sich außerhalb der Camps zu bewegen, um in den Dörfern und Gemeinden Caquetás Aufklärungsarbeit zu leisten. Sie gehen in Schulen und Universitäten, zu Gemeindeversammlungen und anderen Veranstaltungen, um mit den Menschen zu reden und zu erklären, für welche politischen Ziele die Partei steht, die sich aus den FARC gebildet hat, und wofür sie auch weiterhin kämpfen wird. Jetzt nur noch mit Worten. Waffen braucht man in Friedenszeiten nicht.
Gewalt gegen Demobilisierte
Bereits 1990 war ein ähnlicher Demobilisierungsprozess mit den guerilleros der M-19 begonnen worden, und der Blick in die Vergangenheit verheißt nichts Gutes für die aktuelle Situation der ehemaligen Kämpferinnen und Kämpfer. Die grupo de pedagogía wurde deshalb noch bis vor kurzem stets von Leibwächtern der Polizei begleitet. Seitdem der Friedensvertrag unterzeichnet wurde, und besonders seitdem die farianos ihre Waffen niedergelegt haben, wurden immer mehr ehemalige Kämpferinnen und Kämpfer, soziale Anführer, Verbündete, sowie deren Familienangehörige von Paramilitärs bedroht, verfolgt und umgebracht. Der Staat, für den sich seit der Demobilisierung der Paramilitärs dieses Phänomen offiziell erledigt hat, greift nicht ein – der politische Wille dazu fehlt. Dies erklärt, warum Adriana und ihre compañeros Angst verspüren, wenn sie in den Dörfern und Gemeinden unterwegs sind.
Das departamento Caquetá war stets Einflussgebiet der FARC, und unter der Zivilbevölkerung spürten sie einen gewissen Rückhalt, manchmal auch Sympathie. Vor allem aber waren sie die lokale Autorität. Hier, wo der kolumbianische Staat abwesend ist, bauten die guerilleros Schulen, asphaltierte Straßen und setzten sich für den Umweltschutz ein. Sie regelten Streitigkeiten unter der Bevölkerung und garantierten Sicherheit. Nachdem sie sich demobilisiert hatten, ist ein Machtvakuum entstanden. Eigentlich sollte dieses Vakuum der Staat ausfüllen. Tatsächlich sind es aber oftmals andere Akteure, die in die Region kommen und Einfluss zu gewinnen versuchen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Caquetá ist das Tor zum kolumbianischen Amazonasgebiet. Während die FARC hier die lokale Kontrolle inne hatte, gab es keine illegalen Abholzungen, mittlerweile aber sind große Flächen gerodet worden. Paramilitärische Kräfte kontrollieren zunehmend das departamento.
Den Moment, an dem die guerilleros ihre Waffen abgeben mussten, beschreiben diese als einen der schwierigsten Schritte im Friedensprozess. Kevin Salvatierra, der seit 25 Jahren Teil der Teófilo Forero ist und in den letzten Jahren verantwortlich für die Finanzen und die Rekrutierung neuer Mitglieder war, beschreibt dies, als hätte man ihm einen Arm abgenommen. Er fühle sich seitdem oft ausgeliefert, schutzlos und könne dieses Gefühl nur schwer ablegen. Kevin berichtet, wie er auf offener Straße angefeindet wird und Morddrohungen erhält. Während Kevin und alle anderen Mitglieder der grupo de pedagogía in der Übergangsphase noch von Leibwächtern der Polizei begleitet wurden, sind sie seit einiger Zeit ohne sie unterwegs in den Gemeinden.
Dem Frieden verpflichtet
Äußerst besorgniserregend ist die stetig größer werdende Präsenz verschiedener paramilitärischer Gruppen in großen Teilen des Landes. „Nichtsdestotrotz“, sagt Daneiro Santamaria, „haben wir uns voll und ganz dem Frieden verschrieben, die Waffen abgelegt und verfolgen unsere politischen Ziele nur noch mit Worten.“ Daneiro ist seit seinem zwanzigsten Lebensjahr, also seit mehr als 30 Jahren, bei den FARC. Er war politischer Kommandant der Einheit Teófilo Forero und leitet nun die grupo de pedagogía. Daneiro ist einer der wenigen unter ihnen, der eine Schule abgeschlossen und ein Universitätsstudium begonnen hat. Er überblickt das politische Panorama in Kolumbien, und seine Aussagen sind differenziert. Für ihn sind der Austausch, die Gespräche und Diskussionen mit der Zivilbevölkerung der Schlüssel und die Grundlage für anhaltenden Frieden. „Schon manch eine Kröte mussten wir schlucken, Beleidigungen und Demütigungen über uns ergehen lassen. Wir haben uns für Dinge entschuldigt, für die wir nicht verantwortlich waren, die die Zivilgesellschaft – von den Medien falsch informiert – uns ankreidet. All das ertragen wir, damit nun endlich Frieden herrschen kann.“
Während Daneiro das vergangene Jahr besonders viel in dem comunidades Caquetás unterwegs war, hält er sich nun während des Wahlkampfs oft in Bogotá auf. Sein Leben, so beschreibt er es, sei in den letzten Monaten hektischer geworden. Daneiros Sorge, die sehr viele Mitglieder und Unterstützerinnen der FARC-Partei teilen, ist, dass sich der innere Konflikt Kolumbiens weiter zuspitzt und sich die politische wie rechtliche Interpretation des Abkommens nach innenpolitischen Prioritäten und Interessen richten wird.
Ungewisse Zukunft
Ob der Demobilisierungsprozess sonderlich nachhaltig ist, ist fraglich. Die Zukunftsaussichten vieler farians sind durchaus ungewiss. Der Zensus, den die Universidad Nacional 2017 erhob, ergab, dass knapp 81% der Mitglieder der FARC aus ländlichen Gebieten kommen und kaum mehr als die Landwirtschaft und den bewaffneten Kampf kennen. Da die wirtschaftliche, soziale und politische Reintegration der farianos nur schleppend vorangeht und für viele die vom Staat zugesagten Weiterbildungsangebote bis jetzt ausgeblieben sind, können sich die meisten nur eine Rückkehr in die Landwirtschaft vorstellen – es ist für sie das Naheliegendste.
Adriana jedoch hat genauere Vorstellungen, wie ihre Zukunft aussehen könnte. Anders als viele ihrer compañeros kann sie momentan ihren Schulabschluss nachholen und möchte danach beginnen, Medizin zu studieren. Praktische Vorkenntnisse hat sie bereits während des Leben im monte sammeln können, als sie verwundete oder kranke compañeros versorgte. Adriana ist sehr glücklich über diese Chance und die Aussicht, bald hoffentlich studieren zu können.
Manchmal erlaubt sie sich sogar zu träumen: Mit 18 Jahren, als sie bereits vier Jahre bei der FARC war, hat sie einen kleinen Jungen bekommen. Es war eine Ausnahme, dass sie das Kind bekommen durfte, denn in den meisten Fällen mussten die schwangeren Frauen abtreiben. Säuglinge inmitten des Kriegs, nein, das war unvorstellbar. Adriana jedoch durfte ihr Kind bekommen, musste es dann aber weggeben. Da sie vier Jahre zuvor, ohne ein Wort zu sagen, von zu Hause weggegangen war und die Familie seitdem sozial geächtet wurde, konnte sie das Kind nicht zu ihren Familienangehörigen geben. Und so fand sie ein nettes Ehepaar, das den Kleinen wie ein eigenes Kind annahm. 15 Jahre ist Adrianas Sohn nun alt und weiß nichts von seinen Eltern, die beide der FARC angehören. Der Vater ist noch im Gefängnis, aber sobald er freikommt, das ist ihr Traum, möchten Adriana und er nach Pasto fahren um ihren Sohn kennenzulernen.
Zusatzinformation:
Teile dieser Reportage sind im Juni 2017 nach einer Reise in das departamento Caquetá entstanden und wurden in der Zeitschrift matices veröffentlicht. Nach mehreren Gesprächen wurde dieser Text im März 2018 überarbeitet und ergänzt. Katharina Mauz ist Redakteurin der Zeitschrift matices.