Von: Johannes Schorling (Masterstudiengang Interdisziplinäre Lateinamerikastudien, 3. Fachsemester)
Im Vergleich zum ursprünglichen Vertrag weist das neue Friedensabkommen eine Reihe von Veränderungen auf. Zu den wichtigsten Neuerungen zählen u.a.:
Erstens die Heranziehung der Vermögenswerte und Güter der Farc zur Entschädigung der Opfer des Konfliktes. Zweitens die Abschwächung der Kapitels zur Agrarreform. So wurden dem Abkommen eine Reihe von Garantien für Großgrundbesitzer hinzugefügt, die diese vor möglichen Enteignungen schützen sollten, auch im Falle eines möglicherweise unrechtmäßigen Landerwerbs – ein Schritt, der von zivilgesellschaftlichen Organisationen kritisiert wurde. Drittens die Einführung einer detaillierten Auskunftspflicht über Kenntnisse vom Drogenhandel für alle Personen, die vor die Übergangsjustiz treten. Viertens die partielle Umgestaltung der Übergangsjustiz durch deren zeitliche Beschränkung auf einen Zeitraum von zehn Jahren, die stärkere Anbindung an das Rechtssystem des Landes sowie den Ausschluss ausländischer Richter*innen. Fünftens die Konkretisierung möglicher Sanktionen einschließlich Freiheitsbeschränkungen sowie der Kontrolle ihrer Umsetzung. Und sechstens der Beschluss, das Friedensabkommen nicht in der Verfassung zu verankern, wie ursprünglich vorgesehen, sondern lediglich einen „Übergangsparagraphen“ einzuführen, der Staat und Behörden auf die vollständige Umsetzung des Abkommens verpflichtet.
Bis auf die politische Beteiligung der Farc-Nachfolgeorganisation kamen die Regierung und die Guerilla dem „Nein“-Lager damit in fast allen Punkten entgegen. Trotzdem lehnte das Uribe-Lager auch das neue Abkommen ab und forderten weitere Nachbesserungen sowie ein erneutes Referendum – ein Hinweis darauf, dass die Akteur*innen sich bereits mit Blick auf die Präsidentschaftwahl 2018 zu profilieren versuchten. Uribes Partei Centro Democrático blieb aus Protest sogar den entscheidenden Abstimmungen über den Friedensvertrag im Kongress fern – auch, um nicht als die einzige Partei dazustehen, die „gegen den Frieden“ gestimmt hatte.
Der Friedensvertrag ist nach einigen Umwegen endlich verabschiedet. Doch wie etwa der Rechtsanwalt Enrique Santiago betont, der die Farc bei den Friedensgesprächen beriet, schaffen Unterschriften alleine noch keinen Frieden. Die Ereignisse der vergangenen Wochen verdeutlichen, dass der Friedensprozess in Kolumbien nach wie vor fragil ist: So kam es in den vergangenen Monaten zu einer regelrechten Welle der Gewalt gegen soziale Aktivist*innen durch paramilitärische Gruppen, die Medienberichten zufolge eine Renaissance erleben und in viele von den Farc verlassene Gebieten vorrücken. Zudem beklagten sich die Farc über dramatische Probleme mit der Basisversorgung in den Übergangslagern, und die UNO kritisierte in ungewohnt heftiger Form die Verzögerungstaktik der Regierung bei der Einrichtung der Übergangsjustiz sowie die Veränderung von Abmachungen aus dem Friedensvertrag in dessen Umsetzungsphase. Diese Entwicklungen geben einen Vorgeschmack, was nach einem möglichen Regierungswechsel ab 2018 passieren könnte, falls die künftige Regierung dem Friedensabkommen kritisch gegenübersteht.
Auch wenn der Uribismo die Verabschiedung des Friedensvertrags nicht verhindern konnte, ging er aus der Auseinandersetzung letztlich gestärkt hervor. Uribe konnte eine Reihe von Verbesserungen für seine Stammwählerschaft für sich verbuchen, wie z.B. für die ihm nahestehenden Großgrundbesitzer (durch die Aushöhlung des Agrarkapitels). Durch die Schwächung des verfassungsrechtlichen Status des Friedensvertrags sowie durch die Einschränkung der Übergangsjustiz wurden die Hürden für künftige Regierungen, eingegangene Verpflichtungen aus dem Friedensvertrag rückgängig zu machen, deutlich gesenkt.
Das Ergebnis der Referendums verdeutlichte das Stimmenpotential der Uribe-Lagers bei der kommenden Präsidentschaftswahl: Dort, wo Uribes Kandidat Oscar Iván Zuluaga bei der letzten Wahl die meisten Stimmen erhielt, gewann 2016 beim Referendum fast überall das „Nein“. Es besteht deshalb die Wahrscheinlichkeit, dass ein Großteil der sechs Millionen „Nein“-Wähler*innen 2018 einem Kandidaten des Uribismo seine Stimme geben könnte. Neben Zuluaga sind außerdem Iván Duque und Carlos Holmes Trujillo als Kandidaten im Rennen. Uribe selbst darf gemäß der kolumbianischen Verfassung nicht antreten, es wird aber spekuliert, dass er ähnlich dem Duo Putin-Medvedev im Hintergrund die Fäden ziehen würde, und eventuell für die Vizepräsidentschaft kandidieren könnte. Das Uribe-Lager hat gegenwärtig den Vorteil, geeint zu sein und einen unbestrittenen Führer zu haben. Es ist zu erwarten, dass seine zentrale Botschaft im Wahlkampf gegen die Umsetzung des Friedensabkommen und gegen den drohenden „Castro-Chavismus“ gerichtet sein wird. Der Einzug in die Stichwahl dürfte für den Uribismo gesichert sein.
Das Lager der Befürworter*innen des Friedensabkommens ist dagegen deutlich heterogener und reicht von Mitte-Rechts-Parteien bis zur radikalen Linken. Vom rechtsliberalen German Vargas Lleras, über Humberto de la Calle, den Chef-Unterhändler der Regierung mit den Farc, und die Grüne Claudia López bis zu Sergio Fajardo, dem ehemaligen Bürgermeister von Medellín, gibt es eine Reihe von aussichtsreichen Kandidat*innen für die Stichwahl. Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass es schon vor dem ersten Wahlgang zu Allianzen kommen wird, wobei die aussichtsreichste Variante zurzeit wohl eine Allianz der Liberalen mit der Santos-Partei Unidad Nacional ist. Im zweiten Wahlgang wäre dann sogar ein großer Pakt aller politischen Kräfte denkbar, die die Untergrabung des Friedensprozesses durch den Uribismo verhindern wollen.
Fest steht schon jetzt, dass der Friedensprozess ein entscheidendes Wahlkampfthema sein wird: Von der Zufriedenheit der Bevölkerung mit dessen weiteren Verlauf wird maßgeblich abhängen, welche Parteien bei der Wahl eine Chance haben. Vom Ausgang der Wahl hängt wiederum ab, welche Aussichten auf eine Umsetzung der Friedensvertrag in Kolumbien in Zukunft haben wird.