Von: Johannes Schorling (Masterstudiengang Interdisziplinäre Lateinamerikastudien, 3. Fachsemester)
Am 26.9.2016 hatten die kolumbianische Regierung und die Farc in Cartagena nach vierjährigem Verhandlungsprozess einen Friedensvertrag unterzeichnet. Dieser wurde am 2.10. der kolumbianischen Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt. Beim Referendum votierte eine knappe Mehrheit von 50,22 Prozent gegen den Vertrag, bei einer auch für kolumbianische Verhältnisse geringen Wahlbeteiligung von rund 37 Prozent. Sowohl Präsident Juan Manuel Santos als auch die Farc verkündeten danach, trotz der Niederlage am Friedensprozess festzuhalten. Nach einer Zusammenkunft der beiden Friedensdelegation präsentierten diese am 7.10. einen Plan für das weitere Vorgehen: In einem „raschen und effizienten Prozess“ sollten die Gegner*innen des Friedensvertrags angehört werden, um deren Bedenken zu verstehen und eine Lösung zur Umsetzung des Friedensabkommens zu finden. Parallel fanden in Kolumbien auf Initiative von Santos diverse Treffen statt, sowohl mit seinen verbündeten Parteien als auch mit dem „Nein“-Lager um Ex-Präsident und Senator Álvaro Uribe, dem früheren Mentor und heute erbitterten Gegner Santos´.
Verschiedene Personen und Sektoren der Gesellschaft, darunter Uribe selbst, reichten daraufhin Vorschläge zur Veränderung des Abkommens ein, bis Santos am 20.10. verkündete, keine weiteren Vorschläge mehr anzunehmen. Nach dreiwöchigen Verhandlungen präsentierten die Regierung und die Farc am 12.11. schließlich einen neuen Friedensvertrag und kündigten an, diesen statt durch ein zweites Referendum durch den Kongress absegnen zu lassen. Am 24.11. wurde die überarbeitete Fassung durch die beiden Konfliktparteien unterzeichnet. Am 29.11. und 30.11. stimmten der Senat und das Abgeordnetenhaus einstimmig für den veränderten Vertrag, der damit in Kraft trat. Uribes Partei Centro Democrático nahm aus Protest nicht an den Abstimmungen teil.
Nach dem „Nein“ beim Referendum am 2.10. wurden in Kolumbien verschiedene Szenarien diskutiert, wie es mit dem Friedensprozess weitergehen könnte. Erstens wäre theoretisch eine Rückkehr zum bewaffneten Konflikt möglich gewesen. De facto stand diese Option jedoch nicht ernsthaft zur Debatte, da die Farc-Führung dazu erkennbar nicht bereit war und direkt nach dem Referendum sehr deutliche Signale sendete, den Friedensprozess weiterhin zu unterstützen. Zweitens hätte der Kongress trotz des „Neins“ den Friedensvertrag verabschieden können. Eine Kongressfraktion hätte dazu theoretisch die nötigen Gesetzesentwürfe einbringen können, da das Ergebnis des Referendums rechtlich nur für den Präsidenten bindend war. Angesichts des zu erwartenden Legitimitätsverlusts wäre dazu allerdings wahrscheinlich keine Partei bereit gewesen. Drittens hätte eine Verfassungsgebende Versammlung einberufen werden können, um die politische Ordnung Kolumbiens grundlegend neu zu regeln. Aufgrund der extremen gesellschaftlichen Polarisierung wäre diese Option jedoch mit hohen Risiken verbunden gewesen, und außerdem hätte ein verfassungsgebender Prozess mindestens ein Jahr lang gedauert. Dementsprechend machte sich keiner der Akteur*innen nach dem Referendum ernsthaft für diese Option stark, obwohl sie ursprünglich einmal sowohl von den Farc als auch dem Uribismo gefordert worden war.
Vor diesem Hintergrund setzte sich die vierte Option durch: Nachverhandlungen über einen neuen Friedensvertrag. Gegen umfangreiche Neuverhandlungen, die sich eventuell erneut über mehrere Jahre hingezogen hätten, sprach unter anderem die wachsende Verhandlungsmüdigkeit der kolumbianischen Bevölkerung sowie die wachsende Gefahr von Spaltungen innerhalb der Farc, sollten Verhandlungen zu keinem Ergebnis führen. Als Alternative wurde deshalb die zügige Nachverhandlung einzelner strittiger Punkte ins Spiel gebracht, möglicherweise ergänzt um einen „Nationalen Pakt“ zwischen den Parteien von Santos und Uribe, der ein zweites Referendum überflüssig machen würde. Dabei stand die Frage zur Debatte, ob die Opposition um Uribe als dritte Partei an den Verhandlungen beteiligt werden sollte oder nicht.
Für Uribe bedeutete das „Nein“ einen Erfolg, da seine Partei Centro Democrático als einzige den ursprünglichen Friedensvertrag abgelehnt hatte. Mit Blick auf seine Ambitionen bei der nächsten Präsidentschaftswahl lag es im Interesse von Uribe, sich entweder als derjenige Politiker inszenieren zu können, der ein „besseres Abkommen für alle KolumbianerInnen“ erreicht hatte, oder aber den Friedensvertrag so lange zu torpedieren, bis er 2018 nach einem möglichen Regierungswechsel selbst das Ruder übernehmen könnte. Uribes Strategie bestand deshalb darin, auf möglichst harten Verhandlungen mit der Guerilla zu bestehen und Veränderungen bei den zentralen Themen der „Nein“-Kampagne durchzusetzen. Dazu zählten vor allem die aus Sicht des Uribismo zu weitreichenden Amnestien für Ex-Guerilleros sowie die zu weitreichenden Garantien politischer Beteiligung für die Nachfolgeorganisation der Farc. Andererseits war dem Uribe-Lager auch klar, dass der Sieg beim Referendum sich in eine Niederlage verwandeln konnte, wenn die Bevölkerung den Eindruck bekam, dass sein Lager den Friedensprozess mit unmöglichen Forderungen torpedierte, ohne ein wirkliches Interesse an einem Friedensschluss zu haben.