Verfasserin: Ciris Katharina Martins Simoes Goncalves von Strasser (M.A. Interdisziplinäre Lateinamerikastudien, FU Berlin)
Am 1. Dezember 2016 trat der Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-Guerilla in Kraft. Beide Seiten setzen sich darin ambitionierte Ziele. Dazu gehört unter anderem die im Friedensvertrag erarbeiteten Lösungsansätze zum Drogenproblem in Kolumbien zeitnah umzusetzen. Die zentralen Fragen sind daher heute: Was wurde bis jetzt erreicht? Und wie hat der Regierungswechsel in den USA und der damit verbundene Kurswechsel die Situation in Kolumbien beeinflusst?
Illegale psychoaktive Substanzen, allen voran die Produktion von Kokain aus der in der Andenregion beheimatete Kokapflanze, finanzieren seit Jahrzehnten den bewaffneten Konflikt zwischen den verschiedenen Akteur*innen in Kolumbien. Insbesondere die großen Drogenkartelle der Region (bis Mitte der 90er Jahre die Organisationen aus Cali und Medellín sowie gegenwärtig die Organisation aus Sinaloa sowie „Los Zetas“ in Mexiko) kontrollieren vor allem die Produktion und den Handel, also die Bereiche, mit denen eine substantielle Wertsteigerung des Produkts verbunden ist.
Für die FARC dagegen spielte der Drogenhandel aufgrund ihres diversifizierten Finanzierungsportfolios nicht immer eine zentrale Rolle. Aufgrund grob verkürzter Rhetorik wurde die Guerilla allerdings zum Synonym für den Drogenhandel in Kolumbien, obwohl sie eigentlich vor allem als Zwischenhändlerin von Kokainvorprodukten in dem weniger lukrativen Bereich zwischen Kleinbäuer*innen und den transnational agierenden kriminellen Netzwerken agierte (Garzón Vargas 2013). Kolumbiens Ex-Präsident Alvaro Uribe, der dem ultrarechten politischen Spektrum zuzuordnen ist, prägte in diesem Zusammenhang den Begriff der Narco-terroristas.
Der Krieg und der Drogenhandel gehen noch immer Hand in Hand und haben Kolumbien bis heute tief geprägt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Drogenproblematik ein eigener Diskussionspunkt der Friedensverhandlungen in Havanna war. Die Regierung Kolumbiens hatte erkannt, dass die Politik der harten Hand im Kontext des Krieges gegen die Drogen der Vereinigten Staaten zu keinen nachhaltigen Ergebnissen führte und weder die Produktion, noch den Handel mit Drogen oder die damit verbundene Gewalt senken konnte (Osorio Granados 2017). Im Gegenteil: Die Produktion von Kokain hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Hochrechnungen für 2016 gehen von Rekordzahlen von bis zu 150.000 Hektar Anbaufläche aus, was einer Zunahme von 51% im Vergleich zum Vorjahr entspricht (UNODC/República de Colombia 2017).
Der Markt bietet lukrative Konditionen, das Geschäft floriert und die Gewalt im Kontext des internationalen Drogenhandels hat erschreckende Ausmaße erreicht (Spiegel 2017; The Guardian 2018; UNODC/República de Colombia 2017). Ein Hauptgrund für den Anbau von Koka ist die strukturelle Armut in den ländlichen Regionen, in denen die Nutzung der Pflanze als Cash Crop oft die einzige Einkommensgrundlage bietet. Hinzu kommt die weitegehende Abwesenheit des Staates, die umfangreiche Gebiete von Kolumbiens Territorium betrifft. Dies ermöglicht es bewaffneten Akteur*innen, den Anbau der Pflanzen mit Gewalt durchzusetzen (González Posso 2017). Der Funktion des Drogenanbaus und – handels als wirtschaftliches Rückgrat der Kriegsökonomie wird entsprechend im Punkt vier des Friedensvertrages Rechnung getragen. Angesichts der Komplexität des Problems werden konkrete Lösungsvorschläge gemacht, um der betroffenen Bevölkerung alternative Wege zur Existenzsicherung aufzuzeigen. Beispielsweise wird die einheitliche Agrarreform (reforma rural integral) – ein weiterer zentraler Punkt des Vertrages – mit den Ansätzen zur Lösung der Drogenproblematik verknüpft (Punkt eins und vier im Friedensvertrag). So sieht der Vertrag vor, den betroffenen Bäuer*innen eine legale Einkommensquelle zugänglich zu machen, Drogenabhängige* und Produzent*innen von Koka zu entkriminalisieren sowie die entstandenen gesellschaftlichen Gesundheitsprobleme als solche anzuerkennen und angemessen darauf zu reagieren, um schlussendlich die gesamte Produktionskette ebenso wie die Vermarktung zu bekämpfen.
Daraus ergibt sich ein neues Paradigma zur Eindämmung des Drogenhandels, das einen vielschichtigen Blick auf die Ursachen und Konsequenzen des Drogenhandels, dessen Relevanz für den Konflikt sowie für derzeitigen postacuerdo erlaubt. Der Ansatz betrachtet die Drogenanbau- und Handel als Problem der öffentlichen Gesundheit und erkennt somit an, dass die alleinige strafrechtliche Verfolgung der Produzent*innen (in der Mehrheit arme Kleinbäuer*innen) erstens nicht ausreicht, zweitens nicht im selben Maße und mit derselben Härte verfolgt werden sollte wie die Bekämpfung der Produktion und des Handels mit dem Endprodukt (also die Produktionsschritte, die dem Kokain seinen Warenwert geben) und drittens ineffektiv ist (Semana 2017a). Die Entkriminalisierung von Produktion und Konsum ist daher ein richtiger und notwendiger Schritt, um die Drogenproblematik nachhaltiger zu bekämpfen.
Allerdings haben sich seit dem Beginn der Umsetzung des umfassenden „Nationalen Programms zur Substitution illegaler Anbaukulturen“ (Programa Nacional Integral de Sustitución de Cultivos de Uso Ilícito –PNIS) zahlreiche Hürden und Fehlentwicklungen ergeben. Die derzeitige Doppelstrategie der Regierung, die freiwillige Substitution von Anbaukulturen und die gleichzeitige erzwungene Vernichtung (erradicación forzada) der Pflanzen durch Spezialeinheiten des Militärs, welche sich ergänzen sollen, um die Anbaugebiete schnellst möglich zu verkleinern, scheint nicht erfolgreich zu sein. INDEPAZ errechnete nur eine Substitutionsrate von etwa 5% im letzten Halbjahr 2017 obwohl 35.000 Familien an dem Programm teilnehmen. Weiterhin schreitet die Substitution insgesamt nur sehr langsam voran. Dies liegt vor allem an der schwerfälligen Bürokratie der Zentralregierung in Bogotá, der Unterfinanzierung des Programms und entsprechend anhaltendem Personalmangel, fehlenden politischen Willen und einer mangelnden Koordination zwischen den verschiedenen Ministerien. Während das PNIS unter der Leitung der Alta Consejería para el Postconflicto, Derechos Humanos y Seguridad steht und mit der Mitwirkung der FARC rechnet, wird die Vernichtung der Anbaukulturen vom Verteidigungsministerium beaufsichtigt. Letzteres hat eigenmächtig angefangen, Vernichtungen in Anbauregionen vorzunehmen (Fundación Ideas para la Paz 2017). In vielen Fällen sind Gemeinden betroffen, die bereits Teil des PNIS sind und die freiwillige Substitution vertraglich eingingen.
Dieses Vorgehen hat zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Koka-Bäuer*innen und dem Militär geführt, bei denen es mehrere Verletzte und sogar Tote gab. Ebenso kam es zu einer dramatischen Zunahme von gezielten Morden an politischen Gemeindeführer*innen und Menschenrechtsaktivist*innen, die sich für die Substitution einsetzen. Darüber hinaus gibt es schwerwiegende Kritik am strafrechtlichen Umgang der Justiz mit den Kleinbäuer*innen. Die spezielle Gerichtsbarkeit (trato penal diferencial), die im Friedensvertrag festgesetzt wurde, wird bis jetzt nicht ausreichend umgesetzt. Die Regierung kommt somit ihrem Versprechen nicht nach, die Sicherheit derer zu gewährleisten, die am PNIS teilnehmen, und schürt damit großen Unmut und Misstrauen in der Bevölkerung (El Espectador 2018a; Semana 2017b; Pacifista 2018; Prieto 2017). Einem Bericht von INDEPAZ zufolge, scheint die erzwungene Vernichtung von Kokafeldern zudem bisher keinen nachhaltig positiven Effekt im Kampf gegen die Drogen zu haben, da etwa 30% der vernichteten Anbaugebiete nach wenigen Monaten mit Koka rekultiviert werden (El Espectador 2018b)
Aus dem Machtvakuum, dass die FARC in vielen Regionen hinterlassen hat, resultieren außerdem Machtkämpfe um Territorien, was zu einer Repositionierung der übrigen bewaffneten illegalen Gruppen geführt hat. Alte und neue kriminelle Organisationen (u.a. verurteile Anführer ehemaliger Drogenkartelle, die nach ihrer Haftstrafe zurück nach Kolumbien gekehrt sind, abtrünnige FARC-Kämpfer*innen und verschiedene paramilitärischen Einheiten) versuchen durch den rücksichtslosen Einsatz von Gewalt das Drogengeschäft an sich zu reißen. Diese Gruppen setzen viele der Kleinbäuer*innen mittels Gewalt und Erpressung unter Druck, weiter Koka anzubauen, obwohl sie sonst gewillt wären, ihre Felder zu substituieren (Dießelmann 2017; Semana 2017). Die Problematik hat auch eine ethnische Dimension, denn viele Anbaugebiete sind von indigenen und afro-kolumbianischen Gruppen bewohnt, die eigene normative Strukturen haben. Zum Teil dürfen sie auch Koka und/oder Marihuana legal zu rituellen und spirituellen Zwecken anbauen und konsumieren. Oft sind es diese Regionen, die in besonderem Maße von der Gewalt des Konfliktes betroffen sind, da sie innerhalb starker Diskriminierungs- und Marginalisierungsstrukturen und unter extremer Armut leben müssen. Kriminelle Organisationen machen sich dies zu eigen und versuchen unter dem Deckmantel der speziellen Gesetzeslage und der allgemein prekären Lebenssituation der Bevölkerung in diesen Gebieten den Anbau zu forcieren. Insgesamt bestehen daher zurzeit große Schwierigkeiten, die im Friedensvertrag festgelegten Punkte konkret umzusetzen.
Der Regierungswechsel in den USA 2017 hat den Friedensprozess in Kolumbien und den Kampf gegen den Drogenhandel in Lateinamerika stark negativ beeinflusst. Seit 2008 das letzte große Kartell in Kolumbien gefallen ist, haben die mexikanischen Pendants den Großteil des Drogenhandels des Subkontinentes fest im Griff. Mehr als 90% des Kokains, das in die USA geschmuggelt wird, kommt über Mexiko ins Land. Das Sinaloa-Kartell kontrolliert die Routen über den Pazifik, während Los Zetas den Karibikraum in ihrer Kontrolle haben. Beide Gruppen arbeiten eng mit illegalen Akteur*innen in Kolumbien zusammen.
Mit der Ankündigung Trumps zur Politik der „harten Hand“ zurückzukehren hat der US-Präsident sowohl in Mexiko als auch in Kolumbien den Drogenkrieg weiter befeuert. Die Regierung Santos steht unter dem Druck, den Anbau möglichst schnell zu unterbinden und greift daher zunehmend auf die Vernichtung der Anbaukulturen zurück. Da es vielerorts zu Gewaltausbrüchen kommt und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung stark beeinträchtigt, ist der Friedensprozess von dieser Politik nachhaltig gefährdet. Mit der Deportation von in den USA straffällig gewordenen Jugendlichen zurück in ihre zentralamerikanischen Heimatländer werden zudem die mafiösen Strukturen des Drogenhandels in dieser Region weiter gestärkt. Sollte es keine wirksamen sozialen und politischen Initiativen geben, Jugendliche von der Kriminalität fernzuhalten, werden neue transnationale kriminelle Organisationen die Gunst der Stunde nutzen, um neue Mitglieder zu rekrutieren. All das spielt den Drogenhändler*innen in die Hände, die weder ein Interesse an der Umsetzung des Friedens in Kolumbien haben, noch an stabilen staatlichen Strukturen in Zentral- und Nordamerika, da ihr Geschäft von der schwierigen politischen Lage in diesen Ländern profitiert.
2018 ist ein Megawahljahr, sowohl in Kolumbien als auch in Mexiko: Neben den nationalen Regierungen stehen auch Kongress-, Senats- und Kommunalwahlen auf dem Programm. Die Neuordnung der beteiligen Akteur*innen des gesamten Subkontinentes in Bezug auf den Drogenhandel und die neue Regierung in den USA wird entscheidend sein für den weiteren Verlauf im Drogenkrieg auf dem lateinamerikanischen Kontinent.
In Kolumbien haben die rechts-konservativen Kräfte („Centro Democrático„) bei den Kongresswahlen im März mit Abstand am meisten an Stärke gewonnen. Sollte im Juni eine rechte Führung den Präsidentenplast gewinnen, ist es wahrscheinlich, dass die Repressionen gegen Kokabäuer*innen weiter zunehmen und der Staat sich weiter von seinen Zusagen im Friedensvertrag entfernen wird (Stein 2018). Es ist anzunehmen, dass die Regierung Trump mit einer rechts-konservativen Führung in Kolumbien kooperieren und die Gewalt aufgrund einer fortschreitenden Militarisierung zunehmen wird. Aufgrund der weitverbreiteten Korruption in Kolumbien und der langen Geschichte paramilitärischer Einflussnahme durch rechts-konservative Politiker auf wichtige politische Prozesse im Land (Dießelmann 2015), ist der neueingeschlagene Weg zur Bekämpfung des Drogenhandles durch Substitution erheblich bedroht. Dies wäre ein fatales Signal für den Frieden in Kolumbien und könnte den Prozess um Jahre verzögern, wenn nicht ganz zum Erliegen bringen.
Der Abschluss des Friedensvertrages hat große Hoffnungen innerhalb der kolumbianischen Bevölkerung geweckt. Die Umsetzung in Hinblick auf die Drogenproblematik und der Kampf gegen den Drogenhandel verlaufen aber insgesamt sehr schleppend. Die schwierige innenpolitische und außenpolitische Lage ist ein maßgeblicher Grund dafür. Sollte ab August das Centro Democrático in Kolumbien die Präsidentschaft übernehmen, sind die Aussichten für eine Konsolidierung des Friedens und der effektiven Bekämpfung des Drogenhandels pessimistisch einzuschätzen.