Ein Leben zwischen Spiritualität und Politik

Alim Idris, ein tatarischer Gelehrter und Imam, dessen Leben und Wirken die Spannungen und Herausforderungen des 20. Jahrhunderts widerspiegeln. Die Geschichte seiner Rolle in deutschen Kriegsgefangenenlagern und seine spätere Zusammenarbeit mit dem NS-Regime bietet einen tiefen Einblick in die Verflechtungen von Religion, Politik und Krieg.

Von Sarah al-Khatib

Alim Idris war eine komplexe und umstrittene Figur. Geboren am 1. Mai 1887 in Kasachstan, zeigte er früh eine Leidenschaft für das Studium der islamischen Theologie und Philosophie. Nach seiner Ausbildung in Buchara und Istanbul vertiefte er sein Wissen weiter an europäischen Universitäten wie der Universität Lausanne. Diese umfassende Bildung prägte seinen späteren Einfluss als Gelehrter und Führer.

Alim Idris als Geistlicher im sog. Weinberglager Zossen (ca. 1919)
Quelle: wikimedia commons

Im Ersten Weltkrieg

Während des Ersten Weltkriegs wurde Idris von Max von Oppenheim rekrutiert, um an der tatarischen Ausgabe von „El Dschihad“ mitzuwirken, was ihn nach Deutschland brachte. Im Weinberglager (mehr hierzu in unserem Exkursionsbericht) fungierte er als Vorbeter und Sprecher für die tatarisch muslimischen Kriegsgefangenen. Trotz zeitweiser Entfernung von seinem Posten aufgrund disziplinarischer Bedenken erkannte das Preußische Kriegsministerium bald seinen positiven Einfluss und setzte ihn wieder ein.

Idris setzte sich vehement für die Rechte der muslimischen Kriegsgefangenen ein, einschließlich des Vorschlags an Kaiser Wilhelm II. für den Bau einer Moschee in Berlin als Ausdruck der Freundschaft zwischen dem Deutschen Reich und der Türkei. Seine Bemühungen führten zu besseren Bedingungen und einer Verminderung der Fluchtrate der Gefangenen. Zudem initiierte er den Türkischunterricht im Lager und gab die Kriegsgefangenenzeitung „Tatar Ili“ heraus, finanziert durch die Arbeitslöhne der Gefangenen.

Zusammenarbeit mit dem NS-Regime

Nach dem Ersten Weltkrieg blieb Idris in Deutschland und arbeitete später für das Auswärtige Amt. Während des Zweiten Weltkriegs übernahm er die Leitung der neuen SS-Mullah-Schule in Dresden, wo er 62 muslimische Feldgeistliche ausbildete. In seinen politischen Vorträgen propagierte er die islamfreundliche Politik Deutschlands und warnte vor den Bedrohungen durch die Alliierten. Seine Schriften aus dieser Zeit, die antisemitische Tendenzen aufweisen, haben
seine historische Bewertung stark belastet.

Nach den verheerenden Luftangriffen auf Dresden 1945 stellte die SS-Mullah-Schule ihre Tätigkeit ein. Idris blieb aktiv in der Verbreitung seiner politischen und religiösen Ansichten, wobei er in seinen Vorträgen den Islam und seine Gebote erklärte und versuchte, religiöse Konflikte wie den zwischen Sunnismus und Schiismus zu de-politisieren. In den Nachkriegsjahren lebte Idris in München, wo auch seine Kinder ihre Ausbildung erhielten. Später zog er nach Saudi-Arabien, kehrte jedoch regelmäßig nach Europa zurück.

Alim Idris starb am 22. September 1959 und wurde auf dem Waldfriedhof in München begraben, wo auch seine Familie ruht. Sein Leben und Wirken bleiben ein faszinierendes Beispiel für die Wechselwirkungen von Religion, Politik und Krieg im 20. Jahrhundert.

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