“Konstruktion einer großen Verantwortungslosigkeit” – SPD und Linke im Vergleich

Leeres, gigantisches Flughafengelände

Im Rahmen unseres Projektes hatten wir die Chance das Gelände des Flughafens BER in Schönefeld zu besichtigen. Dabei fiel vor allem eines auf: Der leere, riesige Flughafen wirkt fast wie aus der Zeit gefallen. Ein gutes Beispiel dafür ist, dass auf den Computern auf dem Gelände noch immer das Betriebssystem Windows XP läuft. Selbst wenn morgen früh der erste Flieger starten würde, ist der Traum von einem modernen internationalen Luftkreuz in der Hauptstadt, auf dem neuesten Stand der Technik, das allen Ansprüchen genügt, längst geplatzt.
Jutta Matuschek von den Linken und Frank Zimmermann von der SPD, die beide im Untersuchungsausschuss des BER saßen und dementsprechend einen sehr guten Überblick über die Gesamtsituation haben, schilderten uns in Experteninterviews, wie es ihrer Meinung nach so weit kommen konnte.

Obwohl die Parteien in vielerlei Hinsicht recht ähnliche Ansichten vertreten, Frank Zimmermann die Arbeit des Untersuchungsausschusses gar mit „Konsens [in den wesentlichen Punkten]“ und „gute[r] Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg“ beschreibt, sieht Jutta Matuschek die Situation „kritischer“. Die große Koalition SPD/CDU habe beispielsweise wenig Interesse an der Aufklärung der enormen Kosten gehabt, weshalb Linke und Grüne noch ein Sondervotum abgaben, in dem ihre Interessen und Anliegen besser vertreten waren.

Flughafen BER nutzt immer noch Windows XP Betriebssystem

Wie war es überhaupt möglich, dass die Kosten zu solch gigantischen Summen in die Höhe schossen und immer noch weitersteigen?

Jutta Matuscheck nennt „Nachträge durch [die] baubegleitende Planung und das ständige Nachschießen von Forderungen durch die Firmen, eben durch die völlige Vernachlässigung der Überprüfung der Projektstruktur durch den Aufsichtsrat und die Gesellschafterversammlung“ als Gründe hierfür. Sie kritisiert die Struktur des Projekts scharf, die zum „Konstruieren einer großen Verantwortungslosigkeit“ mit einer mangelhaften Kommunikation zwischen der Geschäftsführung, der Gesellschafterversammlung und dem Aufsichtsrat führte.
Für alle Steuerzahler gibt es jedoch auch eine positive Nachricht. Laut Frank Zimmermann sei die Finanzierung des Berliner Anteils für die Fertigstellung des Projekts durch „erhebliche Überschüsse durch Steuereinnahmen“ und „Rückstellungen“ gesichert, sodass der laufende Betriebshaushalt nicht tangiert werde.

Aber wie kann es denn nun sein, dass der festgesetzte Termin immer weiter nach hinten geschoben werden musste, sodass nun bereits seit über zehn Jahren am Flughafen gewerkelt wird?
Frank Zimmermann schilderte uns zu Beginn des Interviews seine Sicht der Dinge in einigen Punkten. Zunächst sei die Standortwahl schlicht und ergreifend falsch gewesen. Am Alternativstandort Sperenberg in Brandenburg wären weitaus weniger Anwohner betroffen gewesen, was die Lärm- und Schallschutzthematik exorbitant vereinfacht hätte. Darüber hinaus stellte die Brandschutz- und Entrauchungsanlage in einem Terminal ein großes Problem dar, da sie so konzipiert war, entgegen der Physik, Rauch nach unten hin abzutransportieren, was den Bau extrem verkomplizierte. Mängel an der Ausführungsplanung, ein Hin- und Herschieben von Schuld zwischen den Ausführenden und Planern des Projekts sowie eine mangelhafte Bauüberwachung betrachtet Zimmermann als weitere zentrale Punkte. Umbauten aufgrund erhöhter EU-Anforderungen, die viel Zeit und Geld kosteten, kamen hinzu. Ebenfalls wurde das Warnsystem zur Beurteilung der Baufortschritte manipuliert, sodass der Aufsichtsrat dachte, alles wäre im grünen Bereich, während eigentlich die Alarmglocken schon hätten läuten müssen. „Die Geschäftsführung hat systematisch den Aufsichtsrat über die Zustände getäuscht.“ Zu allem Überfluss erschwerten viele personelle Wechsel sowie Machtkämpfe und Parallelstrukturen in der Geschäftsführung den Bau. „Selbstbetrug“ und ein „kollektive[r] Realitätsverlust“ prägten die Bauphase des Flughafen BER.
Man hat das Gefühl, alles was bei einem Großprojekt falsch laufen kann, ist hier falsch gelaufen.

Terminal im BER immer noch eine einzige Baustelle

Um herauszufinden, wie ein solches Desaster in Zukunft verhindert werden könnte, fragten wir die Politiker nach „lessons learned“, die sie aus dem BER-Projekt mitgenommen haben und was bei künftigen Großprojekten auf keinen Fall so passieren darf. Interessanterweise fiel das Fazit der beiden in zwei Punkten sehr ähnlich aus. Für Frank Zimmermann muss zukünftig „maximale Transparenz“ durch „internes Controlling“ sichergestellt werden. Außerdem plädiert er für eine „verlässliche und eher einfache Planung“. Es sollten lieber weniger komplizierte Entwürfe gefertigt werden, was zu geringeren Kosten und vor allem dazu, dass technische und architektonische Fehler vermieden werden können, führen würde. Auch Matuschek nennt eine funktionierende „baubegleitende Planung“ und funktionierende „Kontrollmechanismen“ mit einer gewissen „Risikodisziplin“ als maßgebliche Punkte. Weiterhin sollte die Unternehmensführung ihre Rechte und Pflichten kennen und „sich nicht davor scheuen, […] die Unternehmensstruktur extern untersuchen zu lassen“.
Die dritte Erfahrung für Frank Zimmermann ist, die Wichtigkeit „einer zusammengefassten baulichen Verantwortung für die gesamte Baustelle.“ Seiner Meinung nach hätte man mit „einem Generalunternehmer eine viel bessere Steuerung des Gesamtunternehmens hinkriegen“ können.
Jutta Matuschek sieht das anders. Sie glaubt, dass auch ein einzelner Generalunternehmer nicht alle Probleme hätte lösen können. Das Projekt wäre dann zwar nicht an der Struktur, aber sicherlich an anderen Faktoren gescheitert und sagt, dass „auch öffentliche Unternehmen durchaus in der Lage sein müssen und sein können, Großprojekte zu stemmen.“

In einem weiteren Punkt sind sich Matuschek und Zimmermann allerdings sehr einig: „Es gibt eigentlich gar keine andere vernünftige Idee als fertig bauen, in Betrieb nehmen.“ (Matuschek) Und auch Frank Zimmermann ist überzeugt, dass der Flughafen fertig gestellt werden müsse.
Den Eröffnungstermin im Herbst 2020 erachtet Frank Zimmermann nun aber – sofern nichts „Unerwartetes passieren wird“ – für „realistisch“.

Vergleicht man die Interviews von Jutta Matuschek und Frank Zimmermann in Hinblick auf ihre Einstellung zum Stakeholdermanagement, fällt auf, dass Matuschek eher projektbezogenes Stakeholdermanagement befürwortet, um die gleichberechtigte Diskussion zwischen allen Beteiligten zu fördern und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, während Zimmermann eher den Blickwinkel des organisationsbezogenen Stakeholdermanagements vertritt, indem Stakeholdermanagement mehr von einer Organisation als Abwehr gegen äußere Einflüsse mit einzelnen Stakeholdern geführt wird.

Während unserer Recherche und den Interviews für unser Projekt ist uns darüber hinaus besonders bewusst geworden, was für einen enormen Einfluss insbesondere die Medien auf Großprojekte dieser Art haben. Die Medien können nicht nur die Meinung der Öffentlichkeit durch Bashing einzelner Personen, wie z.B. im Fall Wowereit beeinflussen. Auch die Politik nutzt die Medien, um dem was in Parlamenten und Ausschüssen keinen Platz findet, eine Plattform zu geben und auf diese Weise an Reichweite zu gewinnen. Auch Jutta Matuschek schätzt „das Nehmen und Geben zwischen Medien und Akteuren.“

Abschließend jedoch bleibt die Frage: Hätte das Scheitern des Projekts verhindert werden können?

Hätte ein einzelner privater Großunternehmer das Projekt zum Erfolg geführt, lag es an der mangelhaften Kommunikation zwischen allen Beteiligten oder an technischen und architektonischen Problemen?

Rückblickend ist so viel schiefgelaufen, dass die Frage, woran das Scheitern genau gelegen hat, nicht eindeutig zu beantworten und die Schuld nicht nur bei einer Stakeholdergruppe zu suchen ist.
Fest steht aber, dass die Politik und somit auch die Parteien SPD und Linke ihren Teil zur Verzögerung des Großprojekts BER beigetragen haben. Zu hoffen bleibt nur, dass für die Fertigstellung dieses und weiterer Großprojekte aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt werden wird.

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