The Final Destination

71 Tage. So weit liegt unsere erste Projektmanagementvorlesung zurück. Aufgeregt, skeptisch, enthusiastisch, neugierig, optimistisch. Alle gingen mit gemischten Gefühlen in die erste Vorlesung von Professor Braun. Die Aufregung war groß. Auch nach rund 2 Monaten ist diese nicht kleiner geworden.

Mit großer Freunde stellen wir euch in diesem letzten Blogbeitrag unsere Ergebnisse vor, die wir im Rahmen unserer Gruppenarbeit erarbeitet haben.

Über die letzten Wochen beschäftigten wir uns intensiv mit dem Großprojekt Flughafen Berlin Brandenburg. Im Vordergrund stand dabei die Beeinflussung und der Einfluss der Stakeholder, wobei unser Fokus auf den Fluggesellschaften lag.

Um logische Schlussfolgerungen ziehen zu können, untersuchten wir zunächst ohne Einbeziehung der Fluggesellschaften, ob der Standort Berlin aus strategischer Sicht großes Potenzial hat, einen internationalen Flughafen zu besitzen.
Als Indikator zogen wir die Fluggastzahlen heran.

Anhand von diesen kann man mit großer Sicherheit sagen, dass das Potenzial Berlins bezüglich des Flugverkehrs bei Weitem noch nicht ausgeschöpft ist. Für einen für die Flugbranche strategisch wichtigsten Standort hat er aber noch nicht die nötigen Fluggastzahlen erreicht.

Quelle:  Fraport. n.d. Entwicklung des Passagieraufkommens am Frankfurter Flughafen in den Jahren 1991 bis 2017 (in Millionen). Statista. Zugriff am 23. Juni 2018. Verfügbar unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/5819/umfrage/passagieraufkommen-am-flughafen-frankfurt-seit-1991/.

Quelle : ADV, Berlin-Brandenburg Airport. n.d. Entwicklung des Passagieraufkommens an den Berliner Flughäfen* in den Jahren 1991 bis 2017. Statista. Zugriff am 23. Juni 2018. Verfügbar unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/5805/umfrage/passagieraufkommen-an-den-flughafen-berlin-seit-1991/.

Fraglich ist, welche Struktur das Fluggastaufkommen in Berlin aufzeigt. Die Wirtschaftskraft Berlins ist in Vergleich zu anderen deutschen Großstädten vergleichsweise gering – nur wenige Großkonzerne haben in Berlin ihren Sitz. Zudem ist Berlin für seine StartUp-Szene bekannt, welche zwar einen großen Beitrag zur Innovationsfähigkeit leistet, jedoch finanziell nicht so gut wie Großunternehmen ausgestattet ist. Folglich ist der Anteil an Geschäftsreisenden, die in der für Fluggesellschaften sehr profitablen Business-Class fliegen, deutlich geringer. Berlin zieht mehr Low-Cost-Touristen als Standorte wie Frankfurt oder Düsseldorf an und bedient relativ gesehen weniger Business-Class-Kunden.

Schlussendlich sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass der Standort Berlin tendenziell eher für das mittlere- bis untere Preissegment bedeutend ist und allgemein ein sehr hohes Wachstum des Fluggastaufkommens verzeichnet. Der Standort Berlin könnte sich so zu einem international relevanten Standort entwickeln.

Doch spielt dabei nur die Anzahl der Passagiere eine Rolle? Wollen Fluggesellschaften deswegen kein Drehkreuz am neuen BER aufbauen? Was genau macht einen Flughafen attraktiv?

Fehlt es dem BER aus Sicht der Airlines im Vergleich zu internationalen Großflughäfen an Attraktivität?

Sowohl unsere Recherche, als auch das Interview mit Stationsmanager Klaus Marx zeigte, dass die Attraktivität des Flughafens von der richtigen Positionierung abhängt. Einfacher gesagt gibt es aus wirtschaftlicher Sicht vier wichtige Arten von Flughäfen.

Primary Hub – ein Transit- und Transferflughafen. Der Flughafen wird zum Drehkreuz, wenn er sich auf den transnationalen Verkehr von Passagieren und der Fracht konzentriert.

Secondary Hub – wirkt im geographischen und kommerziellen Rahmen als ein primärer Hub (Barcelona, Basel, Seattle, Mumbai, Nairobi). Solche Flughäfen sind ausschließlich auf die Flugverbindungen der regionalen Transporte ausgerichtet und befinden sich in weniger bewohnten Siedlungen. Oft sind sekundäre Hubs an Flughäfen erfolgreich, an denen primäre Hubs scheiterten.

Regionale Airports – solche Flughäfen dienen in der Regel etwa 10-15 Millionen Passagieren pro Jahr, und spielen die Rolle der «Speichen», das heißt sie senden Passagiere auf Flügen von regionalen Fluggesellschaften nach Hubs für den Transfer von größeren Fluggesellschaften. Der kommerzielle Erfolg des regionalen Flughafens basiert auf der Möglichkeit der Bedienung der nahegelegenen geographischen Region und der Nachbarschaft mit dem Zentrum der Region.

Cargo Airport – der Flughafen ist dem Frachtgeschäft mit der Entwicklung von intermodalen Transporten gewidmet.

Nach Meinung vieler Experten hat der BER aufgrund riesiger Konkurrenz, der Sättigung des Marktes und der schwachen wirtschaftlichen Lage Berlins, keine Chancen gegenüber anderen Städten, zum Primary Hub zu werden

Große Fluggesellschaften sind in erster Linie an großen Hubs interessiert, da es ihnen ermöglicht, die Kosten durch den Umfang zu senken und die Gewinne durch eine große Anzahl von Reisenden zu erhöhen. Aus diesem Grund verliert der Berliner Flughafen an seiner Attraktivität. Er zieht nicht genug Reisende und ist gleichzeitig zu klein, um zum Primary Hub zu werden und zu groß und teuer, um ein Regionalflughafen oder Secondary Hub zu sein.

Und wie steht es um Tegel? Da Berlins zweiter Flughafen beim Bau des BER eine große Rolle spielt und gespielt hat, hielten wir es für wichtig, auch diesen in unsere Ausarbeitung mit einzubeziehen.

Im Vordergrund stand dabei die Untersuchung der zukünftigen Tragfähigkeit des Flughafen Tegels und dessen womöglich notwendigen Offenhaltung aufgrund fehlender Kapazität des BER.

Wie in unserem ersten Beitrag erläutert wird, sind sich die Airlines, wenn es um die Schließung bzw. Offenhaltung Tegels geht, äußerst uneinig.
Die Fluggesellschaften führen dabei unterschiedliche Argumentationen ins Feld, die nicht zuletzt stark von der jeweiligen strategischen Grundausrichtung geprägt sind.
Ähnlich wie bei den Parteien in der politischen Diskussion, ist es bei den stark konträren Meinungen der Airlines für den Dritten oftmals schwer nachzuvollziehen, welche Seite die objektiv schlüssigeren Argumente liefert.
Über der Debatte um den Flughafen Tegel schwebt dabei stets die Frage der juristischen Rechtmäßigkeit einer Offenhaltung. So besteht ein vertraglicher Anspruch auf die Schließung Tegels. Stand jetzt erlischt sechs Monate nach Inbetriebnahme des BER die Genehmigung für den Weiterbetrieb Tegels. Für eine weitere Offenhaltung müssten daher die drei Gesellschafter (Berlin, Brandenburg und Bund) die Landesplanung ändern. Die Opposition, sowie Tegel befürwortende Airlines sehen in dieser Maßnahme keine unüberwindbare Hürde. Klaus Marx, jahrelanger Station-Manager am Standort Berlin von Airfrance-KLM, verriet uns im Interview: „Where there’s a will there’s a way.“

Aber wieso besteht überhaupt Interesse daran Tegel auch nach Fertigstellung des BER weiter zu betreiben? Grund ist die Frage nach ausreichender Kapazität.
Der BER wird nach ursprünglicher Planung bei der Eröffnung zu klein sein – das steht fest.
So soll der neue Flughafen maximal 30 Millionen Passagiere pro Jahr aufnehmen können.
Prognosen nach sollen die Fluggastzahlen in Berlin bis 2025 jedoch auf mindestens 41 Millionen Passagiere, bis 2030 sogar auf bis zu 60 Millionen Passagiere ansteigen.
Zwar legte BER-Cheff Engelbert Lütke Daldrup in einem Masterplan dar, wie zusätzliche Kapazität geschaffen werden soll. Jedoch bezweifeln Opposition und viele Airlines, dass der BER dem Passagieraufkommen in Berlin in Zukunft standhalten kann.

An diesem Punkt setzt auch die Forderung nach der Offenhaltung des Flughafen Tegels an. So könnte hier die dringend benötigte zusätzliche Kapazität gewährleistet werden.

Diesem Vorschlag stehen dabei jedoch drei Risiken entgegen: Kosten, Konkurrenz und Qualität.

Ein Weiterbetrieb würde eine starke wirtschaftliche Belastung darstellen. So entstünden bei einem Doppelbetrieb jährliche Mehrkosten zwischen 100 und 200 Millionen Euro. Da die Fluggastzahlen jedoch weitestgehend die gleichen wären, stünden diesen Kosten keine signifikanten Mehreinnahmen entgegen.
Die größten Kostentreiber sind jedoch Sanierung und Lärmschutzmaßnahmen. Schätzungen zufolge wären hierzu rund 2 Milliarden Euro notwendig.
Ein Teil dieser Kosten würde auch auf die Fluggebühren für die Airlines abfallen, die diese wiederum durch Anhebung der Ticketpreise auf die Fluggäste überwälzen.

Neben den Kosten stellt zudem die Frage der Kannibalisierung bzw. Konkurrenz der beiden Flughäfen ein Risiko dar. Derzeit plant keine Airline am BER ein Drehkreuz einzurichten. Für die meisten Fluggesellschaften bestünde daher wenig Anreiz außerhalb von Tegel zu operieren. Die zentrale Lage des City-Airports TXL bietet sich dabei besonders für Point-to-Point Anbieter wie Ryanair an. Angesichts dieses Risikos zeigt sich auch Lufthansa-Chef Carsten Spohr besorgt. Der BER könne bei einem Doppelbetrieb der beiden Flughäfen sein Potenzial niemals voll entfalten.

Ein weiterer entscheidender Faktor ist die mangelnde Qualität des Flughafen Tegels. So prangern vor allem die großen Linienanbieter seit Jahren die fatalen Zustände am TXL an.
Schlechte Infrastruktur, veraltete IT, Sicherheitsmängel und grundlegende strukturelle Probleme führen immer wieder zu großer Unzufriedenheit bei Personal und Passagieren.
Der TXL ist in diesem Zustand ohne grundlegende Sanierung eines Hauptstadtflughafens nicht angemessen. Der BER gilt hier als Chance in Berlin endlich einen qualitativ hochwertigen, reibungslosen Flughafenbetrieb zu gewährleisten.

Den Rufen nach der Offenhaltung Tegels stehen somit eine Reihe ungeklärter Fragen und Risiken entgegen. Auch Interviewpartner Klaus Marx sieht daher im Weiterbetrieb Tegels nicht die Lösung des Kapazitätsproblems. Wie Landesregierung und Flughafengesellschaft hofft er vielmehr auf eine schnelle Fertigstellung sowie konsequente Umsetzung des Masterplans und resümiert: „The BER is desperately needed.“

Da im Laufe des Projekts auch das Framing rund ums Thema BER zu untersuchen war, stellten wir folgende zudem These auf:

Fluggesellschaften leisten einen (in)direkten Beitrag zum Framing um das Thema BER.

Unter Frames versteht man im Allgemeinen Interpretationsrahmen innerhalb derer ein Thema auf unterschiedliche Arten transportiert werden kann. Dies führt zu einem bestimmten Verständnis von Problemen, Ursachenzuschreibungen und moralischen Bewertungen. Framing beeinflusst also direkt oder indirekt die öffentliche Meinung.  Um das kontroverse Thema des BER kursieren viele Gerüchte, Meinungen und Stellungnahmen. Auch die Airlines können ihre Meinung zu dem Thema nicht vollkommen von der Öffentlichkeit abschotten, obwohl sie recht sparsam mit ihren Aussagen zum BER umgehen. Das hat zur Folge, dass ein indirekter Beitrag zum Framing rund um diesen Sachverhalt geleistet wird, unabhängig davon, ob es von den Airlines beabsichtigt und gewollt wurde oder nicht.
Klaus Marx von Air France erklärte uns im Interview, warum die Fluggesellschaften nur sehr wenige öffentliche Aussagen zu den mehrmaligen Verzögerungen der Eröffnung des BERs abgeben. Zum einen sollen die bereits vorhandenen politischen Spannungen nicht noch verschlimmert werden. Zum anderen sollte auch die Öffentlichkeit selbst nicht noch mehr gegen den BER aufgebracht werden, denn das bringt keinen näher an das gewünschte Resultat. Direktes Framing wird also von den Fluggesellschaften eher gemieden.
So war auch die Aussage vom Lufthansa Vorsitzendem Thorsten Dirks, dass der BER abgerissen und neu gebaut werden sollte, nicht hilfreich. Im Gegenteil polarisierte sie die Öffentlichkeit nur noch mehr, was zu erneuten Spannungen führte. Mit direkten Aussagen solle man also vorsichtig umgehen.
Die Frage bleibt also, wie die Airlines indirekt framen? Zum Beispiel dadurch, dass sich bis heute noch keine Airline gefunden, hat die bereit wäre am BER ein Drehkreuz zu errichten. Oder die Tatsache, dass kein Vertrauen zu den Bauherren des BERs vorhanden ist. Auch die Stellung zur Offenhaltung oder Schließung Tegels kann einiges über die Meinung der Fluggesellschaften zum BER verraten.
Während direktes Framing der Airlines zum BER kaum zu erkennen ist, kann man sehr wohl behaupten, dass indirekt, oft auch unbewusst, die öffentliche Meinung beeinflusst wird.

Nun stehen wir am Ende unserer Projektarbeit. Über die letzten Wochen haben wir viel über das Großprojekt BER gelernt und verfolgen den Bau auch zukünftig mit Spannung weiter. Zum Abschluss noch ein Zitat von der polnischen Feuilletonistin, Jadwiga Rutkowska:

„Wir sollten uns mit großen Problemen beschäftigen, solange sie noch klein sind.“

Vielleicht hätte man dies den BER-Planern vor 12 Jahren sagen sollen?

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