Einleitung
Insbesondere in der Tradition des Liberalismus und der (europäischen) Aufklärung werden Sprache, Wissen und Wissenschaft vor allem als Ausdruck von und Mittel zur Erlangung von Freiheit und Selbstbestimmung angesehen. Gewalt wird hierbei als etwas der Sprache und dem Wissen Äußerliches verstanden und nur selten mit ihnen in Verbindung gebracht (vgl. Dhawan 2012, 47-49 und Brunner 2015, 48). Mit diesem Verständnis bricht der aus der Feministischen und Postkolonialen Theorie stammende Begriff der epistemischen Gewalt (vgl. Dhawan 2012, 49-50). So bezeichnet epistemische Gewalt eben „jenen Beitrag zu gewaltförmigen gesellschaftlichen Verhältnissen, der im Wissen selbst, in seiner Genese, Ausformung, Organisation und Wirkmächtigkeit angelegt ist“ (Brunner 2015, 39). Diese Verschränkung zwischen Wissen und Gewalt wird exemplarisch an rassistischen, sexistischen, klassistischen oder ableistischen Diskursen deutlich. In dieser Hinsicht ist der Begriff der epistemischen Gewalt Teil eines weiten Gewaltverständnisses, das – über direkte (physische und psychische) Gewalthandlungen hinaus – unter anderem auch gesellschaftliche Strukturen, kulturelle und symbolische Sinnzuschreibungen sowie Wissensdiskurse umfasst (vgl. dazu Chojnacki 2019).
In diesem Begriffsexposé[1] setzen wir uns einführend mit den unterschiedlichen Facetten und Diskussionen des Begriffs epistemische Gewalt auseinander. Dazu geben wir im ersten Abschnitt zunächst einen kurzen Überblick über den Entstehungskontext des Begriffs. Im zweiten Abschnitt versuchen wir daraufhin die unterschiedlichen Dimensionen epistemischer Gewalt nachzuvollziehen und dabei auch auf zentrale Diskussionslinien in der Forschungsliteratur einzugehen. Im dritten Abschnitt widmen wir uns abschließend Möglichkeiten und Praktiken des Widerstands gegen epistemische Gewalt und gehen auf konkrete Konsequenzen für die wissenschaftliche Praxis ein.
1. Entstehung des Begriffes
Der Begriff epistemische Gewalt wurde 1988 von Gayatri Shakravorty Spivak in dem Aufsatz „Can the Subaltern Speak?“, in kritischer Anlehnung an die Arbeiten von Michel Foucault, eingeführt.[2] In Foucaults Vokabular bezeichnet eine Episteme so etwas wie eine Wissensordnung, durch die das, was gesagt werden kann sowie das, was als wahr oder wissenschaftlich gilt, strukturiert ist. Er schreibt in der Archäologie des Wissens: „Unter Episteme versteht man […] die Gesamtheit der Beziehungen, die in einer gegebenen Zeit die diskursiven Praktiken vereinigen können, durch die epistemologischen Figuren, Wissenschaften und vielleicht formalisierten Systeme ermöglicht werden“ (Foucault [1969] 2018, 272-273; Hervorhebung im Original). Zu diesen Beziehungen zählen für Foucault neben diskursiven auch nicht-diskursive Elemente wie „Institutionen, politische Ereignisse, ökonomische Praktiken und Prozesse“ (ebd., 231; vgl. auch Sarasin 2016, 117-118).
Während es Foucault (in dem Text, auf den Spivak sich bezieht) vornehmlich um die geschichtlichen Veränderungen des psychiatrischen Diskurses in Europa geht, kritisiert Spivak, dass Foucault nicht hinreichend über seine eigene ideologische Stellung reflektiert und fragt, ob der psychiatrische Diskurs nicht mit der rassifizierenden Konstruktion der Kolonialisierten als ,Andere‘ als „dislozierte und uneingestandene Teile einer immensen zweiarmigen Maschine […] gearbeitet hätte[ ]?“ (Spivak [1988] 2008, 42). Dieser auch als Othering bezeichnete Prozess schafft einerseits die Grundlage dafür, nicht-westliche Perspektiven abzuwerten oder gar zum Verschwinden zu bringen und bildet andererseits das konstitutive Außen für die Selbst-Repräsentation des Westens.
Im Weiteren untersucht Spivak anhand des Beispiels der sogenannten Witwenverbrennung, wie indische Frauen im Kontext des Kolonialismus zum Schweigen gebracht wurden. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Deutungssysteme des vermeintlich befreienden Diskurses der Kolonisierenden auf der einen und des patriarchalen Diskurses der kolonisierten Elite auf der anderen Seite, den diskursiven Raum derart konstituieren und begrenzen, dass die Subjektivität indischer Frauen nicht zur Geltung kommen kann und sie stets nur als Objekt in einem der beiden Diskurse erscheinen. Dieser Prozess des Zum-Schweigen-Bringens (auch silencing) ist für Spivak ein paradigmatisches Beispiel der Wirkungsweisen epistemischer Gewalt. Solche Gruppen, denen durch hegemoniale Diskurse jedwede Möglichkeit genommen wird, sich selbst zu repräsentieren, bezeichnet Spivak auch als subaltern. Der Begriff der Subalternität lässt sich als Grenzbegriff verstehen: In dem Moment, in dem subalterne Gruppen tatsächlich gehört werden können, sind sie nicht mehr subaltern.
2. Dimensionen und Diskusionslinien epistemischer Gewalt
Im Anschluss an Spivaks Arbeiten wurde der Begriff der epistemischen Gewalt vielfach aufgenommen und weiterentwickelt (vgl. etwa Shiva 1990, Dotson 2011, Dhawan 2012 und Brunner 2020).[3] Vor dem Hintergrund dieser vielstimmigen Diskussionen wäre es an dieser Stelle unangebracht, zu versuchen, eine eindeutige, abschließende Definition epistemischer Gewalt geben zu wollen – vor allem da eine solche Definition wiederum selbst eine Ausübung epistemischer Gewalt bedeuten kann. Daher ist es für uns wichtig, den Begriff für andere Zugänge und bisher nicht theoretisierte Formen epistemischer Gewalt offenzuhalten (vgl. analog Pohlhaus 2017, 14 und Brunner 2020, 273). Als eine erste Annäherung wollen wir an dieser Stelle erneut Claudia Brunners Vorschlag aufnehmen, epistemische Gewalt als „jenen Beitrag zu gewaltförmigen gesellschaftlichen Verhältnissen [zu verstehen], der im Wissen selbst, in seiner Genese, Ausformung, Organisation und Wirkmächtigkeit angelegt ist“ (Brunner 2015, 39). Davon ausgehend werden wir im Folgenden versuchen, unterschiedliche Dimensionen und Diskussionslinien epistemischer Gewalt zu skizzieren, um so eine bessere Vorstellung von den verschiedenen Teilaspekten des Begriffs gewinnen zu können.
Eine erste wichtige Unterscheidung betrifft die Ebenen, auf denen epistemische Gewalt wirksam wird. So lässt sich epistemische Gewalt, nach Brunner, analytisch sowohl auf der Mikro-, Meso- und Makroebene verorten (vgl. Brunner 2020, 275f.). Diese sind zum einen als heuristische Differenzierungen zu verstehen und nicht als ein Versuch, die gesellschaftliche Realität abzubilden. Zum anderen sind die drei Ebenen auch miteinander verschränkt und bedingen sich wechselseitig: Konkrete Fälle epistemischer Gewalt auf der Mikroebene ereignen sich stets vor dem Hintergrund und vermittelt durch die gesellschaftlichen und epistemischen Macht- und Gewaltverhältnisse auf der Meso- und Makroebene; diese wiederum werden durch die Interaktionen auf der Mikroebene (mit-)konstituiert und reproduziert. Ähnliches gilt für das Verhältnis zwischen Meso- und Makroebene.[4]
(i.) Die Mikroebene soll Phänomene epistemischer Gewalt in der konkreten Erfahrung von Menschen sichtbar machen, und zwar sowohl derjenigen, die epistemische Gewalt erleiden als auch derjenigen, die sie ausüben (vgl. ebd. 279). So ließe sich etwa die Erfahrung einer Schülerin, die durch ein rassistisches und/oder sexistisches Redeverhalten eines Lehrers zum Schweigen gebracht wird, der Mikroebene zuordnen. Ein zentraler Beitrag zur Theoretisierung epistemischer Gewalt auf der Mikroebene ist Kristie Dotsons Konzeptualisierung von testimonial quieting und testimonial smothering (vgl. Dotson 2011). Mit dem Begriff testimonial quieting bezeichnet Dotson Fälle epistemischer Gewalt, in denen eine sprechende Person etwa aufgrund diskriminierender Vorteile und Stereotypen, durch ihr Publikum nicht als Wissende anerkannt wird. Testimonial smothering hingegen bezieht sich auf Fälle, in denen sich eine sprechende Person aufgrund einer von ihr (bewusst oder unbewusst) wahrgenommenen Ignoranz des Publikums, selbst zum Schweigen bringt, ihr Sprechen verstellt oder verkürzt (vgl. ebd., 244).
(ii.) Auf der Mesoebene setzt Brunner vor allem die Verstrickungen von Wissen, Wissenschaft und kolonialer Moderne an (vgl. ebd. 284f.). Dabei geht es unter anderem darum, zu verstehen und sichtbar zu machen, wie sich andro- und eurozentrische Wissensdiskurse zu einem universellen Standard herausgebildet haben sowie welche Funktionen diese in Bezug auf die Legitimierung und Verdeckung anderer Gewaltformen erfüllen (vgl. ebd. 285). Exemplarisch lässt sich hier auch Dotsons Analyse der dominanten akademischen Philosophie anführen, in der sie untersucht, wie über eine bestimmte culture of justification, unreflektiert Normierungen gesetzt und marginalisierte Gruppen ausgrenzt werden (vgl. Dotson 2012).
(iii.) Auf der Makroebene fragt Brunner schließlich nach dem Zusammenhang zwischen Wissen und der vorherrschenden Ordnung auf globaler Ebene (vgl. Brunner 2020, 275). Diese sieht sie gekennzeichnet durch den „Kapitalismus als universell durchgesetztes Ausbeutungsmodell, […] de[n] Staat als universell durchgesetzte Form öffentlicher Autorität und […] de[n] Eurozentrismus als dominante Form von Rationalität und Wissensproduktion“ (Brunner 2020, 297). Brunner lehnt ihre Überlegungen dabei unter anderem auch an Boaventura de Sousa Santos Begriff des Epistemizids an, der die – oftmals parallel zu Völkermorden ablaufende – Vernichtung sozio-kultureller Wissensbestände und Praktiken im Zuge kolonialer Eroberung und Herrschaft beschreibt (vgl. Santos 2016, 18).
Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Auseinandersetzung mit epistemischer Gewalt betrifft die Frage, inwieweit der Begriff an die Geschichte und Gegenwart des Kolonialismus gebunden wird oder ob er sich auch auf andere Bereiche übertragen lässt. Brunners Verständnis epistemischer Gewalt ist sehr eng an eine Theoretisierung der kolonialen Moderne angelehnt. Sie schreibt: „[Epistemische Gewalt] hat eine spezifische Herkunft (Europa), eine spezifische Geschichte (Kolonialismus und Kapitalismus), spezifische Wirkungsweisen (Rassismus/Sexismus als Grundlage von globaler Arbeits- und Ressourcenteilung)“ (ebd., 274-275). Unserer Auffassung nach geht es zum einen darum, die koloniale Moderne als umfassendes globales Gewaltverhältnis anzuerkennen und ihr eine zentrale Bedeutung in der Auseinandersetzung mit epistemischer Gewalt beizumessen. Zum anderen verweist aber vielleicht bereits Spivaks Metapher der „zweiarmigen Maschine“ aus psychiatrischem Diskurs in Europa und kolonialem Diskurs (Spivak [1988] 2008, 42) auf ein (noch) komplexeres Bild, in dem unterschiedliche Unterdrückungsstrukturen und -diskurse sowohl eine gewisse Eigendynamik besitzen als auch ineinandergreifen. Wir würden daher dafür argumentieren, dass sich die Theoretisierung epistemischer Gewalt auch sinnvoll auf andere Bereiche übertragen lässt.
Der letzte Aspekt, den wir an dieser Stelle kurz skizzieren möchten, ist die Frage, in welchem Verhältnis epistemische Gewalt zu anderen Gewaltbegriffen steht. So weist epistemische Gewalt unter anderem enge Parallelen zu kultureller und symbolischer Gewalt auf.[5] Anders als der Begriff der kulturellen Gewalt geht es bei epistemischer Gewalt aber nicht ausschließlich um die Rechtfertigung anderer (direkter und struktureller) Gewaltformen, sondern auch um die gewaltvollen Einschreibungen in die Wissensproduktion selbst. Und während sich Theoretisierungen symbolischer Gewalt auf die Frage fokussieren, warum Unterdrückungsverhältnisse von den Betroffenen oftmals als selbstverständlich hingenommen und mit-reproduziert werden, wird von Autor*innen, die zu epistemischer Gewalt arbeiten, eher danach gefragt, warum die Stimmen der Unterdrückten nicht gehört werden bzw. was sie daran hindert, für sich selbst zu sprechen. Schließlich ist epistemische Gewalt auch auf verschiedene Weisen mit direkter und struktureller Gewalt verflochten. Auf der einen Seite trägt epistemische Gewalt zur Legitimierung und Verdeckung direkter und struktureller Gewaltverhältnisse bei. Zum anderen wirken sich aber auch direkte und strukturelle Gewalt auf das, was gesagt werden kann und was als Wissen(-schaft)[6] gilt, aus.
3. Widerstand gegen epistemische Gewalt
Bisher haben wir das Konzept der epistemischen Gewalt anhand einiger zentraler Diskussionslinien erörtert. Nun möchten wir abschließend auf Möglichkeiten und Praktiken des Widerstandes gegen epistemische Gewalt eingehen und konkrete Konsequenzen für die wissenschaftliche Praxis reflektieren. Unter epistemischem Widerstand verstehen wir in einer ersten Annäherung im Anschluss an José Medina „the use of our epistemic resources and abilities to undermine and change oppressive normative structures and complacent cognitive-affective functioning that sustains those structures” (Medina 2013, 3). Die zentrale Seite des Widerstands gegen epistemische Gewalt wird dabei von den von ihr unterdrückten Gruppen über „Hidden Transcripts“ (Scott 1990), das Unterlaufen und Umdeuten von Normen und Begrifflichkeiten (vgl. Brunner 2020, z.B. 301) oder (subalterne) Gegenöffentlichkeiten gebildet (vgl. dazu z.B. Fraser [1997] 2001).[7] Diese sind nie losgelöst, sondern immer im Zusammenhang mit anderen, stärker materiell ausgerichteten Formen des politischen und sozialen Widerstands zu verstehen. Mit Spivak stellt sich jedoch auch die Frage, ob und inwieweit unterdrückte Gruppen gehört werden (können) sowie wo die Grenzen und Möglichkeiten liegen, ihre Stimmen zu repräsentieren (vgl. dazu auch Dhawan 2012). Ebenfalls sollten deren Erfahrungen und Perspektiven nicht fälschlicherweise romantisiert oder von der Gefahr der Reproduktion epistemischer Gewalt gänzlich ausgenommen werden.
Eine weitere wichtige Frage ist, wie sich epistemischer Widerstand innerhalb der Institutionen denken lässt, die zum Teil mit an hegemonialen Wissensproduktionen beteiligt sind.[8] Ein erster und unumgänglicher Schritt scheint uns darin zu bestehen, ein Problembewusstsein – insbesondere im wissenschaftlichen Kontext – für Phänomene epistemischer Gewalt zu entwickeln, und zwar sowohl im Hinblick auf die individuelle als auch auf die kollektive Wissensproduktion. Hierfür bedarf es unter anderem verstärkter Kontextualisierungen konkreter Wissen(-schaft)spraktiken und ihres Zusammenhangs mit gewaltvollen Prozessen. Insbesondere die Aufarbeitung und ständige Reflexion unserer Verstrickungen in Geschichte, Gegenwart und Folgen kolonialer Herrschaft ist in dieser Hinsicht ein entscheidender Ausgangspunkt. In den Worten von Brunner: „Den globalen Rahmen der kolonialen Moderne sehen zu lernen ist Voraussetzung dafür, konkrete Verschiebungen epistemischer Gewalt anzustoßen“ (Brunner 2020, 309).
Davon ausgehend wollen wir abschließend reflektieren, welche konkreten Konsequenzen sich für unsere wissenschaftliche Praxis ergeben, wenn wir versuchen wollen, epistemische Gewalt zu reduzieren. Zunächst scheint es uns geboten zu sein, unsere eigene soziale Position – in unserem Fall unter anderem weiß, cis-männlich und ohne Behinderung – und die der verwendeten Autor*innen zu berücksichtigen. Dabei sind Fragen nach spezifischen Verantwortlichkeiten, aber auch nach Grenzen der Kompetenz, die sich aus bestimmten Positionen innerhalb von vielgestaltigen Herrschaftsgefügen ergeben, entscheidend. Nicht zuletzt ist es unserer Auffassung nach in diesem Zusammenhang wichtig, keinen Anspruch auf eine neutrale Wissensproduktion zu erheben, sondern die eigene Arbeit vielmehr als einen Versuch zu verstehen, durch kritische Wissensproduktion und Reflexion in von Herrschaft durchzogene gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu intervenieren. Das heißt unter anderem aktiv nach widersprechenden, vielstimmigen und vom akademischen Mainstream abweichenden Perspektiven zu suchen und eine produktive Auseinandersetzung mit diesen anzustreben (vgl. auch Medina 2013, 10). In der wissenschaftlichen Praxis sollte etwa nicht nur auf Publikationen etablierter Verlage und Zeitschriften zurückgegriffen werden, die durch vermeintlich universelle ‚Wissenschaftssprachen‘ immer auch Ausschlüsse befördern, sondern auch Wissensproduktionen im globalen Süden sowie andere Wissensformen, wie Musik, biografische Erzählungen oder verschiedene Kunstformen, stärker einbezogen werden – ein Punkt, dem auch wir in diesem Begriffsexposé nicht entsprechen.
Fußnoten
[1] Für eine Auseinandersetzung mit epistemischer Gewalt in Form einer Collage vgl. Khaled 2020.
[2] Es gibt natürlich eine sehr lange Geschichte verschiedener Ansätze, die sich unter anderem auch kritisch mit Wissen und Wissensproduktion auseinandersetzen (vgl. auch May 2014 und Pohlhaus 2017, 13). Siehe z.B. Wollstonecraft [1792] 1995, Truth [1867] 1995, Cooper [1892] 1988, Said [1978] 1994 und Davis 1981. Auch wenn diese Autor*innen selber nicht den Begriff der epistemischen Gewalt verwendet haben, lassen sie sich als Theoretiker*innen epistemischer Gewalt avant la lettre verstehen. Ebenso lassen sich auch verschiedene neuere Arbeiten als Beiträge zur Thematisierung epistemischer Gewalt in einem weiten Sinne lesen, ohne dass die Autor*innen den Begriff immer selber verwenden (für ein derart weites Verständnis vgl. auch Brunner 2020, z.B. 77).
[3] Daneben haben sich auch Diskussionen zu verwandten Begriffen wie epistemischem Ungehorsam (vgl. Mignolo [2006] 2019) oder epistemischer Ungerechtigkeiten (vgl. u.a. Fricker 2007 und die Beiträge in Kidd, Medina & Pohlhaus (Hg.) 2017) herausgebildet.
[4] Für eine ausführlichere Ausarbeitung vgl. Brunner 2020, 275f.
[5] Für einen Überblick über die verschiedenen Gewaltbegriffe vgl. Chojnacki 2019 und für eine ausführliche Diskussion ihres Verhältnisses zu epistemischer Gewalt vgl. Brunner 2020, 147f.
[6] Diese Formulierung ist an Brunner angelehnt, die darüber unter anderem „die fließenden Grenzen zwischen mehr oder weniger autorisiertem Wissen in Erinnerung rufen [will]“ (Brunner 2020, 13).
[7] Dies wird unter anderem auch von den aus Critical Race Theory und Feministischer Theorie stammenden Standpunkttheorien gestützt, die davon ausgehen, dass unterdrückte Gruppen aufgrund ihrer Erfahrungen tendenziell eine in epistemischer Hinsicht privilegierte soziale Stellung einnehmen (vgl. z.B. Collins 2000 oder Harding 2004).
[8] Dabei sollte stets mit bedacht werden, dass das, was als hegemoniale und gegenhegemoniale Wissensproduktion gilt, selber umkämpft ist sowie dass der Wissensprozess durch unterschiedliche Standpunkte und Perspektiven geprägt ist, die sich nicht immer eindeutig der einen oder der anderen Seite zuordnen lassen.
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Autor*innen dieses Eintrags: Luca Kluziak und Johan Schlüter
Zuletzt überarbeitet: 06.07.2021