Bei der ganzen Debatte um die Schuldigen der momentanen politischen Misere in den USA, die sich hauptsächlich auf die Spitzenpolitker beider Parteien und die die Republikanische Partei im Besonderer fokussiert, geraten wichtige Interessen und Sponsoren im Hintergrund aus dem Blick. Zwar versichern die Koch-Brüder immer wieder, dass sie sich nicht in den aktuellen politischen Streit eingemischt haben, allerdings sponsern sie mit mehreren 100 Millionen US-Dollar unterschiedlichste Gruppierungen, die hinter den Tea-Party Abgeordneten im Repräsentantenhaus und im Senat stehen. Dazu passt doch wunderbar ein Zitat von Woodrow Wilson aus dem Jahr 1913: „If the government is to tell big business men how to run their business, then don’t you see that big business men have yet to get closer to the government even than they are now? Don’t you see that they must capture the government, in order not to be restrained too much by it?“ (Woodrow Wilson, The New Freedom: A Call for the Emancipation of the Generous Energies of a People, New York: Doubleday, Page & Co., 1913, 201-202). Eine geschlossene Regierung ist hier sicherlich ein guter erster Schritt!
Shutdown Madness & Showdown in D.C.
Die Republikaner haben schon “gewonnen”
von Curd Knüpfer
Es ist ein liebgewonnenes Verhaltensmuster amerikanischer Medien, über Politik wie über ein Pferderennen zu berichten: wie über einen elitären Sport also, in dem es um viel Geld geht.[1] Wer liegt vorne? Wer verliert? Welche Strategie wird verfolgt und wer schickt welchen Gaul ins Rennen? Und immer gibt es die zwei Lager, die Parteien, die wie zwei ebenbürtige, ewig rivalisierende Teams behandelt werden – El Clásico von Washington.
Es ist nicht verwunderlich, dass auch in Zeiten, in denen Washington gelähmt ist und sich dies glasklar auf die politischen Ziele der Republikanischen Partei zurückführen ließe, die Presse sich nicht ganz lossagen kann von diesem Modus Operandi.
“Who’s winning?” fragt man sich derzeit beim (vermeintlich) neutralen Kabelfernsehsender CNN. Beim (vermeintlich) linken Sender MSNBC heißt die Frage eher “Who’s losing?” und die Antwort schwankt zwischen: Washington, die Republikaner, Amerika, die Demokratie, das amerikanische Volk, etc. Auf dem (zweifelsohne) rechten Sender Fox News ist man sich derweil absolut sicher, wer gewinnt: Die Grand Old Party!
Wer keinen Zugriff auf den Kabelsender hat, dem sei gesagt: das Internet ermöglicht durchaus einen Besuch im konservativen „Echo Chamber“. Sei es der Drudge Report, RedState.com, Rush Limbaugh, das Wall Street Journal, Glenn Beck’s The Blaze, etc. pp. – hier herrscht eine Parallelwahrnehmung. Republikanische Politiker und konservative talking heads bestätigen sich gegenseitig, wie sehr sie tatsächlich im Recht sind. Gegnerische (= alle anderen) Stimmen werden entweder ausgeblendet oder als Beispiele genutzt, die beweisen, warum die eigene Position die einzigrichtige ist.
Dieses Phänomen der isolierten, selektiven Wahrnehmung drückt sich aus in Aussagen wie der von Michelle Bachmann, die behauptet, seit dem Beginn des shutdowns seien ihre Parteifreunde “about the happiest I have seen members in a long time.” Oder in der Annahme führender Republikaner, dass eine Supermacht es sich erlauben könnte, ihre Schulden nicht zu zahlen.
Zu den verbreitetesten Repräsentationen, übrigens auch in der deutschen Presse, gehören derweil die Annahmen, dass… Den ganzen Beitrag lesen »
Buchbesprechung
Im Tagesspiegel bespricht Thomas Greven die Graphic Novel „Auf dem Drahtseil“ von James Vance und Dan E. Burr. Ein Auszug:
Die Graphic Novel „Auf dem Drahtseil“ (im Original „On the ropes“) ist die etwas weniger dicht erzählte Fortsetzung des zuerst 1990 in Buchform erschienenen modernen Comic-Klassikers „Kings in Disguise“, 2006 wiederveröffentlicht, aber bisher auf Deutsch nicht erhältlich. Diese erste Geschichte des deutschstämmigen Fred Bloch, der in den Wirren der „Great Depression“ der 1930er Jahre erwachsen wird und ohne Familie klar kommen muss, wird im neuen Band an verschiedenen Stellen kurz rekapituliert, doch der Leser braucht sie im Grunde nicht, um das neue Abenteuer zu verstehen.
Wie schon im ersten Band dient dieses nämlich vor allem dazu, einen gründlichen Blick auf die amerikanische Gesellschaft in dieser Periode zu werfen.
Zum kompletten Text geht es hier.
Government Shutdown in den USA
Zum zweiten Mal seit 1995 muss die Bundesregierung in den USA einige ihrer Pforten schliessen, weil sich die beiden Kammern im Kongress auf keinen gemeinsamen Hauahalt haben einigen können. Die US-Regierung unfähig zu handeln, die beiden Parteien im Kongress blockieren sich selber: Politische Experten ziehen gleich eine gute Erklärung aus dem Ärmel: Die zunehmende Polarisierung zwischen den beiden Parteien; Die politischen Eliten in den USA sind unfähig zur Konsensfindung in zentralen wichtigen Fragen, Parteipolitik erscheint wichtiger als die Lösung zentraler Probleme. Wie sonst ist zu erklären, dass die Republikaner im Repräsentantenhaus die Verabschiedung eines Haushalts an die Bedingung knüpfen die Gesundheitsreform der Obamaadministration wieder rückgaängig zu machen bwz. und hier meinen die Republikaner Kompromissbereitschaft geziegt zu haben: die Reform wenigsten um ein Jahr zu verschieben. Ist das irrational? Eigentlich nicht. Gleich mehrere Faktoren lassen diesen politischen Schachzug rational erscheinen : Zum einen ist die Ausetzung der Umsetzung der Gesundheitsreform, die mit der Errichtung der „exchanges“ in diesem Monat einen der wichtisgtens Schritte genommen hat, gerade mit Blick auf die Zwischenwahlen politisch nachvollziehbar. Funkioniert die Reform und findet so eine breite Untertützung in der Bevölkerung, so wohl die Befürchtung der Republikaner, dann hätte dies negative Auswirkungen für die Republikaner bei den Zwischenwahlen im kommenden Jahr. Eine Aufschiebung würde die Debatte über den Sinn der Reform und den möglichen Folgen aufrechterhalten, ein zentrales politisches Thema bliebe auf der Republikanischen Wahlagenda.
Zum anderen ist ein zentraler Aspekt der Funktionsweise des US-amerikanischen politischen Systems im Zuge der Debatte um die Elitenpolarisierung ein wenig aus dem Blick geraten. Was motiviert den einzelnen Abgeordenten zu seiner politischen Handlungsweise? In manchen Analysen erscheint es momentan so, als könne man infolge der ideologischen Polarisierung im Kongress eine Art Fraktionszwang erkennen, der den einzelnen Abgeordneten keinerlei Spielraum bei ihren Entscheidungen lasse. Es ist die Parteiführung in beiden Kammer und insbesondere im Repräsentantenhaus, die die Richtlinein der Politik vorgibt, die Abgeordneten müsen folgen. Davon hat Obama in den ersten beiden seiner Amtsjahre profitiert: Nancy Pelosi führte im Repräsentantenhaus ein so striktes politisches Regime, dass Obama bis zu den Zwischenwahlen einer der ‚erfolgreichsten‘ Präsidenten in den USA war: er hat eine Erfolgsquote von weit über 90 Prozent. Mit dem Verslust der Demokratischen Mehrheit im Repräsennatenhaus im Jahre 2010 hat sich das dann grundlegenden verändert: die Republikansiche Mehrheit blockiert wo es nur geht, politischer Stillstand ist eingezogen in D.C. Es scheint also so, als habe der einzelnen Abgeordnete seine Entscheidungsfreiheit an die Parteiführung abgegeben. Aber diese Erklärung greift zu kurz! Eigentlich könnte man die die Kausalitätswirkung sogar herumdrehen und fragen, warum es einer radikalen Minderheit in der Republlikanischen Fraktion gelingt, die Partei für ihre politischen Zwecke zu instrumentalisieren. Rund 80 Republikanische Abgeordeneten im House fordern schon seit längerem, was jetzt genau passiert ist: die Schliessung der Regierung oder die Erpressung der Administration: Haushalt gegen Rücknahme Obamacare. Und dieses politische Verhalten lässt sich absolut rational erklären! All diese Abgeordnete kommen aus Wahlkreisen, die sehr konservativ sind, überwiegend weiss und in denen Obama bei den letzten Wahlen mit durchschnittlich 20 Przentpunkten verloren hat. Diese Abgeordenten agieren immer noch als Kirchturmpolitker (Lösche 1989, S.189), als Kleinunternehmer in Sachen Politik, der mit der Wiederwahl belohnt wird, solange er auf die Interessen seines Wahlkreises achtet. Durch die Neuzuschneidung der Wahlkreise (gerry mandering) enstehen idelogisch und ethnisch immer homogenere Wahlkreise. Da die Parteien in diesem Prozess eine zentrale Rolle spielen, werden die Wahlkreise immer so umgetsaltet, dass sich stabile politische Mehheiten darin wiederfinden. In der Folge verschiebt sich die politische Mitte in den einzelnen Wahlkreisen jeweils an die radikalen Ränder und entsprechend produzieren die Vorwahlen in den Parteien auch radikalere Kandidaten, die aber im eigentlichen Sinne die Interessen des Wahlkreises wiedespiegeln. Erst wenn dieser Prozess durchbrochen wird und die Kontrolle der Zuschneidung der Wahlkreise den Parteien entzogen wird und von einer unbahängigen Kommission nach rein formalen Kriterien der Repäsentation von statten geht, werden auch wieder Abgeordnete in den Kongress gewählt, die zu politischen Kompromissen und Konzessionen bereit und fähig sind. Mit Blick auf die momentane politische Krise in den USA stellt sich vielmehr die Frage, warum sich die Republikansche Partei von diesen radikalen Abgeordneten instrumentalisieren lässt? Und auch nur hier ist eine Lösung des momentanen Problems zu suchen!
Peter Lösche (1989), Amerika in Perspektive, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Washingtons vierte Gewalt: Die professionelle Presse
Curd Knüpfer
Touristen, Schülergruppen und interessierte Bürger zieht es beim Besuch der amerikanischen Hauptstadt zunächst meist zu den weißen Prachtbauten der National Mall. Zu jenen Gebäuden im Stile griechischer Tempel, in denen entweder den mystifizierten Granden der amerikanischen Geschichte gehuldigt wird oder welche als zentrale Lokalitäten der staatlichen Macht dienen. Zu letzteren gehören bekanntlich das Weiße Haus (Exekutive), das Kapitol (Legislative), und das Supreme Court Building (Judikative).
Es ist eine Vermengung aus Repräsentanz und tatsächlicher Macht, wie sie auch aus anderen Hauptstädten, nicht zuletzt Berlin, dem Flaneur wohl bekannt sein dürfte. Doch diese Vermengung beschränkt sich nicht auf die nominellen drei Gewalten des amerikanischen Staats. Denkmäler und Museen, aber auch Geschäftsgebäude wie etwa die amerikanische Handelskammer, die Chamber of Commerce, sollen durch ihre Platzierung im Herzen der amerikanischen Hauptstadt öffentlich demonstrieren, wie zentral die jeweilige gesellschaftliche Rolle einzelner Personen, kultureller Traditionen oder privater Institutionen ist.
Eine Gruppe von Akteuren, die in allen drei Kategorien vertreten sind, ist die der Presse: Professionelle Journalisten, die vermeintlich eine „vierte Gewalt“ vertreten.
Der Journalist als Denkmal, Institution und Museumsartefakt
Unweit der Lobbymeile K-Street kann man beispielsweise die Mittagspause auf einer Bank im Edward R. Murrow Park verbringen, benannt nach jenem Fernsehjournalisten, der in den 1950er Jahren den berüchtigten Senator Joseph McCarthy öffentlich dekonstruierte.
In der direkten Nachbarschaft des Weißen Haus befindet sich der Sitz des National Press Club, eines 105-jährigen Privatvereins für Journalisten und PR-Agenten. (Die Bundespressekonferenz am Schiffbauerdamm in Berlin bildet den modernen deutschen Counterpart.)
Auf der Homepage des National Press Club findet sich die folgende Beschreibung:
“Through its doors have come presidents, premiers, kings and queens, Cabinet secretaries, senators and House members, movie stars and sports heroes, titans of business and finance – just a who’s who of the 20th and the 21st centuries. Here they have found a willing audience of reporters waiting to grill them with questions, interpret what they say and send the news around the world.”
Nochmal auf deutsch: Im National Press Club dienen Journalisten als ein ‚williges Publikum’ und als Interpretationsfilter zwischen den Reichen/Schönen/Mächtigen und dem Rest der Welt. Auch wenn das im Original doch etwas blumiger klingen mag, so ist es vielleicht eine eher unglücklich formulierte Beschreibung der journalistischen und gesellschaftlichen Funktion des traditions- und selbstbewussten Clubs.
Wer also noch tiefer eintauchen will in die Rolle der Medien im demokratischen System der USA, dem bietet in unmittelbarer Nähe zum Kongress seit 2008 das Newseum dazu Gelegenheit. Ein Museum, das die Öffentlichkeit über den Wert einer freien Presse in einer freien Gesellschaft aufklären soll.
Weshalb Global Cities in der Internationalen Beziehungstheorie keine Rolle spielen
New York City, Los Angeles und Chicago sind die Global Cities der Vereinigten Staaten. Diese Städte sind Knotenpunkte der Globalisierung. In ihnen verdichten sich nicht nur Menschen-, Güter- und Kapitalströme: Sie werden dort gelenkt und organisiert. Städte sind geostrategische Räume, ihre Infrastruktur ist kritisch für das Funktionieren nationaler politischer Ökonomien. Neben Fragen nach Krieg und Frieden versucht sich die Politik mit anderen gesellschaftlichen Akteuren in global und mega cities den Problemen der Umweltverschmutzung, globaler Epidemien und sozio-ökonomischer Ungleichheiten zu stellen. Anders ausgedrückt: Die in Städten verhandelten gesellschaftlichen Konfliktfelder umfassen, keineswegs zufällig, auch viele der Kernthemen der Internationalen Beziehungstheorien. Warum aber werden Städte und Urbanisierungsprozesse in der Internationalen Beziehungstheorie fast gänzlich ignoriert? Den ganzen Beitrag lesen »
Rezension zu „Barack Obama and the New America“
[Erscheint demnächst in WeltTrends]
Sabato, Larry J. (Hrsg.): Barack Obama and the New America. The 2012 Election and the Changing Face of Politics. Rowman & Littlefield, Lanham 2013, 241 S.
Bei Büchern, die kurz nach einer Wahl einen „first look“ (S. viii) wagen, ist Skepsis angebracht. Wie solide können Schnellschussanalysen schon sein? Auch der von Larry Sabato, einem Doyen der US-amerikanischen Wahlforschung, herausgegebene Band enthält Verweise auf notwendige weitere Untersuchungen und einige Redundanz, ist aber insgesamt ein Qualitätsnachweis US-amerikanischer Mainstream-Politikwissenschaft: Zwar ist die Reichweite und Tiefe der Fragen begrenzt, doch werden sie von Fakten gestützt beantwortet. Kritisch gewendet könnte man argumentieren, dass das Buch zur amerikanischen Eigenart passt, Wahlen wie sportliche Wettkämpfe zu betrachten (horse race): Es ist die Analyse nach dem Spiel. Im Zentrum stehen folgende Fragen: Warum gewann Präsident Obama trotz der schlechten Wirtschaftslage bzw. warum verlor sein Herausforderer Romney? Welche Rolle spielten demografische Entwicklungen im Vergleich zu anderen Faktoren und wie nachhaltig werden sie zukünftige Mehrheitskonstellationen prägen? Wie dauerhaft ist der Sieg der Demokraten und welche Chancen haben die Republikaner, sich von der Niederlage zu erholen sowie jenseits ihrer Mehrheit im Repräsentantenhaus erfolgreich zu sein.
In der US-amerikanischen Politikwissenschaft gibt es die Realignment-Forschung, die der Frage nachgeht, ob eine Wahl als Richtungswahl bezeichnet werden kann. Eine critical election leitet eine längere Dominanzperiode einer Partei ein und spiegelt eine grundlegende Verschiebung der Wählerpräferenzen. Abgesehen davon, dass dies nur im Rückblick festgestellt werden könnte, geht die Frage für die Wahl 2012 fehl: Wenn überhaupt, dann wäre 2008 eine solche Richtungswahl gewesen. In seinem Einführungsbeitrag bezeichnet Sabato Obamas Wiederwahl dementsprechend als confirmation election, die eine Reihe von Trends bestätigte, z. B. die Stärke der Demokraten in urbanen Räumen, bei jungen Wählern und vor allem bei ethnischen Minderheiten. Gleichzeitig argumentiert er, dass einige „Grundregeln“ US-amerikanischer Wahlen gebrochen wurden, insbesondere der angenommene Zusammenhang zwischen der Höhe der Arbeitslosigkeit und dem Wahlausgang. Und obwohl die Wahlbeteiligung gegenüber 2004 und 2008 gesunken ist, war die Beteiligung der Minderheiten erneut hoch.
Dies ist eine entscheidende Frage, denn ob der sinkende Anteil weißer Wähler der GOP (Grand Old Party, Republikaner) mittelfristig die bundespolitische Machtperspektive verstellt, hängt nicht zuletzt von der Wahlbeteiligung der Minderheiten ab. Es kommt darauf an, wie viel „Obama“ im Sieg der Demokraten steckt bzw. wie viel „Romney“ in der republikanischen Niederlage. Campbell betont den statistischen Vorteil eines first party-term incumbent. Ein Amtsinhaber, der auf einen Präsidenten der anderen Partei folgt, ist bislang in der US-Geschichte fast unschlagbar gewesen. Romney machte nach den quälend langen Vorwahlen zudem den strategischen Fehler, nach rechts zu rücken und mit der Nominierung des Tea-Party-Favoriten Ryan die Wahl nicht zu einem Referendum über Obamas Wirtschaftspolitik zu machen. Owen, Sabato und MacManus betonen die technologische Überlegenheit der Obama-Wahlkämpfer in Sachen voter identification, microtargeting und get out the vote – allerdings gilt dieser Vorsprung nicht für die Demokratische Partei insgesamt.
Obwohl Romney 59 Prozent der Stimmen der Weißen gewann, konnte dies seine Nachteile bei den Minderheiten nicht ausgleichen – was auch daran lag, dass er große Mehrheiten unter den Weißen eben nicht in den Battleground States erzielte, sondern im Süden und in den Appalachen, wo er ohnehin gewonnen hätte. Bei den Wahlen 2012 gewann Obama 24 Staaten mit mehr als fünf Prozent Vorsprung. Alleine diese Staaten mit ihren 272 Wahlmännerstimmen hätten für den Sieg gereicht. Dementsprechend gelassen agierte die Obama-Kampagne, die ihren eigenen Umfrageinformationen vertraute.
Dennoch: Jenseits spezifischer Gründe für den Wahlausgang 2012, die von der demografisch fundierten These einer „Emerging Democratic Majority“ (Judis / Teixeira 2002) abweichen, ist durchaus Skepsis angebracht: Die demokratische Wählerkoalition ist nicht erweitert, sondern lediglich durch eine höhere Wahlbeteiligung von Minderheiten sowie jungen Wählern vergrößert worden. Republikaner haben weiterhin Chancen in traditionell demokratischen Staaten, z. B. im industriellen Mittleren Westen bzw. Nordosten. Außerdem ist die demokratische Koalition von Spannungen durchzogen; es droht eine „revolt from the left“, sollte Obama weitere soziale Kürzungen verhandeln. In den Zwischenwahlen dominieren nach wie vor die weißen Wähler, weil die Beteiligung der Minderheiten sinkt.
In dem Werk finden sich ebenfalls Analysen zum Kongress, wo die GOP dank Gerrymandering und der Konzentration der demokratischen Wähler in urbanen Räumen die Mehrheit im Repräsentantenhaus halten konnte, sie im Senat aber u. a. durch extreme Äußerungen einzelner Kandidaten verspielte. In den Einzelstaaten hält die GOP zudem die Mehrheit der Gouverneursämter und Parlamente. Ferner enthält der Band grundlegende Informationen zur Wahlkampffinanzierung, zum medialen Wahlkampf sowie den Übersättigungseffekten in den Battleground States.
Thomas Greven, Freie Universität Berlin