Verfassungsersatz, Fast Track und Frieden

Autor: Jorge Ernesto Roa Roa

Dozent für Verfassungsrecht an der Universidad Externado de Colombia

Image: Palacio de Justicia (Bogotá)
® Manuel Góngora-Mera

Die Anforderungen des Verfassungsgerichts in Bezug auf das juristische Sonderverfahren, auch Fast Track genannt, stärken die Vermutung der Rechtsgültigkeit der durch dieses Verfahren vereinbarten Rechtsnormen und erhöhen die vom Gericht zu erwartende Rücksicht hinsichtlich der notwendigen Reformen für die Erfüllung des Friedensabkommens. 

Die meisten Anmerkungen, die gegen die verfassungsgerichtliche Entscheidung für das Fast Track Verfahren geschildert wurden, basieren auf folgender Prämisse: Das Gericht entschied sich für eine maximalistische Anwendung der verfassungsgerichtlichen Lehre zur Ersetzung der Verfassung. Auf diese Prämisse beruhend werden die Argumente der Kritiker präsentiert: Das Gericht hätte unter Betracht ziehen sollen, dass der Verfassungsersatz, gerade in Zeiten des Übergangs und der Veränderung, keinen geeigneten Evaluierungsrahmen für die strukturellen Veränderungen bildet, die sich aus dem Friedensabkommen ergeben.

Eine andere Auffassung dieses Sachverhalts ist jedoch, dass die Entscheidung des Verfassungsgerichts zu einer minimalistischen Anwendung des Urteilsvermögens für den Verfassungsersatz führt, die gleichzeitig einen Mindeststandard für den Kompromiss von Seiten des Verfassungsgerichts hinsichtlich aller Rechtsnormen (Gesetzen und verfassungsgerichtlichen Reformen) legt, die mittels dem neuen Fast Track getroffen werden.

In der Tat kann das angekündigte Urteil (Sentencia C-332/17) als ein Fall von minimalistischer Anwendung der Theorie des Verfassungsersatzes interpretiert werden, da das im Mittelpunkt der Verfassungsgerichtbarkeit stehende Objekt nicht die Kernbestandteile des Friedensabkommens waren, sondern das vereinbarte juristische Verfahren, um dieses Abkommen anhand von Verordnungen, Gesetzen und Verfassungsreformen zu erfüllen. Das Verfassungsgericht hat nämlich nur geprüft, ob das juristische Sonderverfahren, das im Rechtsetzungsakt 1 von 2016 bestimmt wurde, einen Mindestmaß an Debattemöglichkeiten bei der Umsetzung jedes einzelnen Elements im Friedensabkommen sichert, und nicht, ob eine aus dem mit der FARC-Guerilla unterzeichneten Friedensabkommen ausgehende normative Veränderung einen Hauptpfeil der Verfassung ersetzt.

Selbst die stärksten Kritiker des Urteilvermögens und der Verfassungsgerichtbarkeit sehen das Bedürfnis ein, dass die Prozesse und deren Qualität vom Verfassungsgericht überprüft werden, damit diese die Beteiligung aller interessieren oder eventuell betroffenen Akteure versichern (Ely). Dieser gemäßigte Eingriff in die Verfassungsgerichtbarkeit garantiert, dass die Ergebnisse der rechtlichen Verfahren selber das Endergebnis einer qualitativ hochwertigen, öffentlichen Debatte sind. Nur wenn dies der Fall ist, verfügen die vom Kongress bestimmten Normen über höchste Rechtsmäßigkeit und sollten vom Verfassungsrichter in besonderer Weise berücksichtigt werden. Die prozessnahen Theoretiker des Verfassungsrechtes behaupten, dass wenn juristische Verfahren optimal verlaufen, der Rahmen für eine verfassungsrechtliche Überprüfung stark eingeschränkt ist.

In diesem Fall hat das Verfassungsgericht bestimmt, dass die Sicherung einer Debatte im Rahmen des Rechtseztungsakt 1 von 2016 nicht ausreichend war. Aus diesem Grund wurden zwei Elemente des Fast Track Verfahrens für ungültig erklärt (En-bloc Abstimmung und Genehmigung der Regierung für die Einführung von Abänderungen). Laut den Aussagen des Verfassungsgerichts wird der neue Fast Track mittlerer Geschwindigkeit ohne die zwei ungültigen Elemente dafür sorgen, dass eine qualitativ hochwertige, öffentliche Debatte während des rechtlichen Verfahrens für die Erfüllung des Friedensabkommens stattfindet.

Obwohl man behaupten kann, dass Fast Track hinsichtlich der Beschlusstermini keine allumfassende Lösung ist (genauso wie einige Regelverfahren), beinhaltet die Entscheidung des Verfassungsgerichtes deren Kompromiss, in wessen Rahmen die durch das Sonderverfahren vereinbarten Bestimmungen das Produkt einer demokratisch wertvollen und respektablen Debatte sein werden. Gleichzeitig muss das Verfassungsgericht jedoch die Kontrolle über die durch den Friedensprozess vereinbarten Bestimmungen eingrenzen, da diese mit einer hohen Vermutung der Rechtsgültigkeit in die Verfassungsgerichtbarkeit in Kraft treten.

Im Fall von verfasungsgerichtlichen Reformen als Ergebnis des neuen Fast Track Verfahrens, kann das Verfassungsgericht das Urteilsvermögen für den Verfassungsersatz aus zwei Gründen nicht anwenden. Einerseits dient dieses Vermögen nicht dazu, die Verfassungsreformen zu prüfen, die in Zeiten des Übergangs vereinbart werden (wie auch die Kritiker richtig argumentieren). Andererseits werden die durch das Friedensabkommen verursachten Verfassungsänderungen im Rahmen eines Prozesses mit einer hohen Zuverlässigkeit der Debatte angenommen, da dies vom Verfassungsrichter selbst bestimmt wurde.

Wenn diese Interpretation stimmt, dann ist die Angst vor einer zukünftigen maximalistischen Anwendung des Urteilsvermögens hinsichtlich des Verfassungsersatzes in der Verfassungsgerichtbarkeit unbegründet, da das Verfassungsgericht die notwendigen Grundlagen für die Einschränkung dieser Lehre in Bezug auf die Erfüllung des Abkommens bereitstellt. Um die interne Kohärenz beizubehalten, sollte das Gericht in Betracht ziehen, dass anhand des neuen Fast Track Verfahrens die Gesellschaft durch den Kongress in der Lage ist, die strukturellen Reformen, die das Friedensabkommen benötigt, zu ratifizieren. Dadurch wird der Kontrollrahmen des Verfassungsgerichts insofern eingeschränkt, dass dieses den vom Kongress bestimmten juristischen Ergebnissen zustimmt.

Dieser Unterschied zwischen einer restriktiven Überprüfung der Umsetzungsprozesse des Friedensabkommens und einer permissiven Überprüfung der rechtsnormativen Ergebnisse des Fast Track Verfahrens ist entscheidend für das Verständnis der Rolle der Verfassungsrichter bei der Erstellung von Übergangsverfassungsverfahren. Das kolumbianische Verfassungsgericht hat bereits ausreichend bewiesen, dass es seine Rolle im gegenwärtigen Übergangsprozess versteht. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass diese Diskussion aufgrund der eigenen Entscheidung des Verfassungsgerichtes stattfindet, die vor einigen Monaten für die Inkraftsetzung des Fast Track Verfahrens mit einer fraglichen Interpretation der Bürgerbeteiligung getroffen wurde.

Das Inkrafttreten des juristischen Sonderverfahrens bietet dem Kongress, der Regierung, der Opposition und der Bevölkerung einen Raum zur konstruktiven Debatte um unsere tiefsten Meinungsverschiedenheiten zu lösen. Davon hängt der Erfolg des Friedensprozesses, die Nachhaltigkeit der Abkommenserfüllung, sowie unsere Zukunft als konstitutionelle Demokratie ab.