Von: Kristina Stier (Masterstudiengang Interdisziplinäre Lateinamerikastudien, 3. Fachsemester)
Kolumbien ist auch im Jahr 2017 der weltweit größte Kokainproduzent. Programme zur Substitution illegaler Anbaukulturen (die in Kolumbien neben der Kokapflanze auch Marihuana und Amapola umfassen) existieren in dem Andenland bereits seit den 1980er Jahren. Neben solchen Substitutionsprogrammen bestand die eigentliche Strategie der kolumbianischen Regierung im Kampf gegen den Drogenanbau – mit Unterstützung der USA – lange Zeit in der reinen Vernichtung der entsprechenden Pflanzen. Allerdings brachte dieses Vorgehen kaum die gewünschten Resultate und wirkte sich im Gegenteil schädlich auf Mensch und Umwelt aus. Im Rahmen einer „Alternativen Entwicklung“ (die Transformation von illegalen zu legalen Anbaukulturen, und daher die Möglichkeit für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, ihren Lebensunterhalt auf legale Weise zu bestreiten, (vgl. Brombacher und Maihold 2009) wurden z.B. die Programme Familias Guardabosques: incentivos económicos condicionados y acompañamiento integral (2003-2013), in Zusammenarbeit der Regierung mit dem UNOCD (United Nations Office on Drugs and Crime) und Proyectos Productivos y Estrategia de Graduación: fortalecimiento de las economías solidarias y del capital social (2003-2016) umgesetzt (UNODC 2015).
In der akademischen Debatte (vgl. u.a Brombacher und Maihold 2009, Lupu 2004) wird als Voraussetzung für eine ganzheitliche „Alternative Entwicklung“ allem voran die Beseitigung struktureller Defizite, die als Hauptursachen für das Entstehen und Florieren von Drogenökonomien gelten, gesehen: Fehlende staatliche Präsenz in vielen Anbauregionen, fehlende physische und soziale Infrastruktur, mangelnde Bildungsmaßnahmen, fehlende Landrechte und eine prekäre Sicherheitslage, die einen Nährboden für Gewaltakteure bietet. Genau an diesen Defiziten scheinen die genannten Programme – zumindest in weiten Teilen – anzusetzen. Trotz der partiellen Erfolge dieser Programme – nach Angaben des UNOCD sei es in 40% der Gebiete in den letzten drei Jahren nicht zum Wiederanbau illegaler Anbaukulturen gekommen – wird in Kolumbien aktuell so viel Koka wie nie zuvor angebaut: Allein zwischen 2014 und 2015 hat sich die Anbaufläche für Koka Daten des UNODC zufolge von 69.000 auf 96.000 Hektar ausgeweitet. Als Gründe dafür werden vor allem das Auftreten neuer Akteur*innen im Drogenhandel sowie fehlende Kontinuität der Politik zur Substitution der illegalen Kulturen angesehen. Laut der kolumbianischen Tageszeitung Semana beträgt die Anbaufläche für Koka derzeit zwischen 150.000 und 200.000 Hektar. Auffallend ist jedoch, dass lediglich in 32 Prozent des Gebiets, in dem illegale Kulturen angebaut werden, jemals ein Programm zur „Alternativen Entwicklung“ zum Tragen kam (UNODC 2015). Ursachen hierfür sind u.a. die prekäre Sicherheitslage in einigen Gebieten durch die Präsenz bewaffneter Gewaltakteure sowie gesetzlichen Regelungen, die staatliche Unterstützung ohne vorherige Vernichtung der Pflanzen verbieten (UNODC 2015, Semana 2017).
Die Umsetzung des Nationalen Integralen Programms zur Substitution illegaler Anbaukulturen (Programa Nacional Integral de Sustitución de Cultivos de Uso Ilícito – PNIS) ist integraler Bestandteil unter Punkt 4 („Lösung des Problems der illegalen Drogen“, der neben dem PNIS auch Strategien zur Prävention des Drogenkonsums und Bekämpfung des Drogenhandels und der organisierten Kriminalität enthält) des zwischen den FARC und der kolumbianischen Regierung im November 2016 verabschiedeten Friedensvertrages. Die Tatsache, dass die Substitution von nun an nicht mehr inmitten der bewaffneten Auseinandersetzungen mit der Guerilla stattfinden soll sowie die durch die FARC zugesicherte Unterstützung schaffen eine neue Situation, die Anlass zur Hoffnung, auch auf dauerhafte Erfolge des Programms gibt (Semana 2017).
Ziel des PNIS, der unter der ruralen integralen Landreform (Reforma Rural Integral) umgesetzt wird, ist es, im Rahmen der Schaffung eines dauerhaften Friedens „zu Wohlstand und verbesserten Lebensbedingungen für die Bevölkerungsgruppen, die vom Anbau illegaler Kulturen betroffen sind, im Besonderen ländliche Gemeinden, die aktuell ihren Lebensunterhalt durch den Anbau illegaler Kulturen bestreiten, beizutragen und auf diese Weise auch eine nachhaltige und definitive Lösung des Problems der illegalen Anbaukulturen und aller damit verbundenen Probleme in den Regionen zu finden“ (Friedensvertrag, eigene Übersetzung).
Durch das Programm, in dessen Planung und Umsetzung sowohl die FARC als auch die betroffenen Gemeinden eingebunden werden, sollen Verträge zwischen der nationalen wie den territorialen Regierungen und den Gemeinden über die freiwillige Substitution der Anbaukulturen unterzeichnet werden, in denen dem Nicht-Wiederanbau, sowie der Unterlassung von Arbeiten, die mit dem Anbau sowie der Weiterverarbeitung illegaler Anbaukulturen in Verbindung stehen, zugestimmt wird. Diese Verträge bilden die Grundlage für staatliche Unterstützung – angepasst an die territorialen wie kulturellen Gegebenheiten der einzelnen Gemeinden. Diese soll zur Sicherung der unmittelbaren Ernährungssicherheit der Familien, zur Schaffung von Anbauflächen für andere, legale Agrarprodukte, zur Etablierung von kurzfristigen einkommensgenerierenden Projekten und letztlich zur Bildung einer langfristigen Lebensgrundlage beitragen. Darüber hinaus wird angestrebt, Landtitel zu formalisieren, in die Infrastruktur zu investieren, technische Unterstützung zu leisten, Bildungsmöglichkeiten zu schaffen, Umweltschutzmaßnahmen zu implementieren und den Zugang zu Krediten zu ermöglichen. Zur Schaffung einer langfristigen Lebensgrundlage sollen vor allem Wertschöpfungsketten unterstützt und die Bildung von Kooperativen unter dem Leitbild des solidarischen Wirtschaftens gefördert werden. Zusätzlich soll die Strafverfolgung für diejenigen ausgesetzt werden, die wegen Beteiligung an illegalem Anbau straffällig geworden sind, jedoch innerhalb eines Jahres vor den zuständigen Behörden ihre Entscheidung, sich nicht mehr am illegalen Anbau zu beteiligen, demonstrieren (wofür ein entsprechendes Gesetz allerdings noch nicht verabschiedet wurde). Ergänzend soll durch mehr staatliche Präsenz die Sicherheitslage in den betroffenen Gebieten erhöht werden.
Im Falle fehlender Bereitschaft zur freiwilligen Substitution oder bei Nichteinhaltung der vertraglich festgelegten Vereinbarungen soll eine manuelle Vernichtung der Kulturen erfolgen. In Fällen, in denen keine Vereinbarungen zwischen der Regierung und den Gemeinden zustande kommen, soll, wenn möglich, eine manuelle Vernichtung der Pflanzen – unter Beachtung der Menschenrechte und des Umweltschutzes – stattfinden (vgl. Friedensvertrag).