Tourismus in Kolumbien nach dem Friedensvertrag

Autor: Ricardo Werchez (M.A. Interdisziplinäre Lateinamerikastudien, FU Berlin)

Image: Villa de Leyva. ® Manuel Góngora-Mera

Der Konflikt in Kolumbien gilt mit Hundertausenden von Todesopfern als der blutigste Binnenkonflikt Lateinamerikas seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Der seit Jahrzehnten andauernde Konflikt hat seinen Ursprung unter anderem in der ungleichen und mitunter unrechtmäßigem Landverteilung in Kolumbien. Er brachte die gewaltsame Vertreibung von Millionen von Menschen mit sich. Insbesondere die ländlichen Bevölkerung, die sich zu einem bedeutenden Teil aus Afrokolumbianern und Indigenen zusammensetzt, war davon betroffen. Während des Konflikts wurden auch Grundstücke im Sinne von „buena fe“, also im guten Glauben, auf die „Terratenientes“ genannten Großgrundbesitzer umgeschrieben, die damit zu den rechtmäßigen Besitzern wurden.

Nach mehr als 50 Jahren Gewalt zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-Guerrilla, konnten diese Konfliktparteien Ende 2016 einen Friedenspakt schließen. Die Friedensverhandlungen wurden im Jahr 2012 durch den kolumbianischen Präsidenten Santos initiiert und von Chile und Norwegen als neutrale Beobachter begleitet. Vier Jahre später unterzeichneten die Konfliktparteien in der kubanischen Hauptstadt Havanna den Friedensvertrag und Santos erhielt für seine Bemühungen den Friedensnobelpreis 2016. Seit Dezember 2016 hat die Guerilla offiziell ihre militärischen Aktivitäten eingestellt und die Behörden verkünden die Demobilisierungs- und Entwaffnungsphase für weitgehend erfolgreich abgeschlossen.

Allerdings kann die Umsetzung elementar wichtiger Punkte des Abkommens nicht mit endgültiger Sicherheit gewährt und nachvollzogen werden. In Kombination mit der mangelhaften Infrastruktur in ruralen Gebieten sowie der fehlenden Transparenz im öffentlich-bürokratischen Apparat, ist weiterhin von einem erhöhten Konfliktpotenzial in den für staatliche Sicherheitsorgane schwerzugänglichen ländlichen Gebieten auszugehen.

Ebenso ist der Anspruch auf Entschädigungszahlungen für Opfer von Vertreibungen und Enteignung und deren Umsetzung aufgrund von nichtexistierender oder falscher Dokumentation schwer durchführbar. Zudem erschwert ein weiterer bedeutender Faktor die Umsetzung des Friedensvertrags in Kolumbien: Der Anbau von Koka sowie die damit zusammenhängende Drogenproduktion und deren Export, beispielsweise über Venezuela, ein Staat, der zunehmend von Korruption und Straffreiheit geprägt ist. Ein weiterer Faktor sind die andauernden territorialen Machtkonflikte zwischen den noch aktiven bewaffneten Gruppen, die weiterhin unschuldige Opfer fordern. FARC-Dissidenten sowie andere illegale Gruppen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität sind hier die Hauptakteure, die Anschläge verüben und um die Vorherrschaft in dem durch die Demobilisierung der FARC entstandenen Machtvakuum kämpfen. Diese Gruppen sind in vielfältige Delikte verwickelt, zu denen unter anderem die Drogenökonomie, illegaler Bergbau, Schmuggel, Erpressung, Entführung, Anschläge und gezielte Morde zählen.

 

Individualreisen durch Kolumbien

Im Zuge der Friedensverhandlungen hat sich Kolumbien zu einem attraktiven Touristenziel gewandelt. 2017 haben mehr als 6,5 Millionen ausländischer Touristen das Land besucht -ein Besucherrekord. Dank der vielfältigen Landschaft und der günstigen geografischen Lage mit Küstenabschnitten sowohl am karibischen Atlantik als auch am Pazifik, den drei Andenkordillere, dem Amazonasregenwald sowie urbanen und kulturellen Zentren ist das Land sehr facettenreich. In den vergangenen Jahren wurde daher in die Erschließung von wirtschaftlich lukrativen Gebieten und den Ausbau der touristischen Infrastruktur investiert.

Allerdings führt die zweitgrößte Guerillagruppe ELN, die seit Frühjahr 2017 Friedensgespräche mit der Regierung führt, seit dem 10. Januar 2018 wieder gezielte Angriffen auf staatliche Einrichtungen wie zum Beispiel Polizeistationen und auf Infrastruktur wie Stromleitungen oder Ölpipelines durch. Die Zivilbevölkerung ist derzeit zwar kein direktes Ziel solcher Aktionen, jedoch werden Kollateralschäden in Kauf genommen. Daher muss insbesondere in den Grenzregionen und in ländlichen, dünn besiedelten Gebieten mit mangelhafter Infrastruktur und unzureichender staatlicher Kontrolle von einem erhöhten Sicherheitsrisiko ausgegangen werden. In den betroffenen Regionen sind Entführungen, Raub und andere Gewaltdelikte bis hin zu offenen Konfrontationen zwischen kriminellen Banden und paramilitärischen Gruppen sowie Anschläge auf den Staat daher jederzeit möglich. Besonders betroffen ist die gesamte Pazifikküste, vor allem die Departments Chocó und Nariño (mit Ausnahme des Touristenzentrum Nuqui), der Norden Antioquias und die Region Norte de Santander. Es lässt sich feststellen, dass abgesehen eines Anschlages auf ein Einkaufszentrum in der Hauptstadt Bogotá, Touristenziele bis dato weithin verschont geblieben sind.

 

Grenzgebiet zu Venezuela

Die kolumbianischen Politik sieht sich gegenwärtig neben der Reintegration von ehemaligen Angehörigen revolutionärer Bewegungen einer weiteren Herausforderung gegenüber: die Aufnahme, Unterbringung und Eingliederung der Menschen aus dem Nachbarland Venezuela, die aufgrund der prekären Wirtschafts- und Versorgungslage nach Kolumbien migrieren. Nach Schätzungen haben bislang mehr als 800.000 Personen diesen Weg eingeschlagen. Ein Teil davon war aufgrund der Gewalt des Konflikts und der prekären Lebensumstände in Kolumbien nach Venezuela ausgewandert, das aufgrund großen Erdölnachfrage und des hohen Ölpreises wirtschaftlich florierte. Nun, nach fast 20-jähriger „chavistischer“ Regierung, explodierender Inflation und gravierenden Krisen in der medizinischen Versorgung und mit Nahrungsmitteln, migrieren nicht nur jene zurück, die seinerzeit einen Neuanfang im bolivarischen Nachbarstaat suchten. Und auch diejenigen, die das Vertrauen in die Regierung Maduros verloren haben und aufgrund der repressiven Politik sowie der prekären Wirtschafts- und Sicherheitslage ihres Landes keine Zukunft mehr sehen, wandern nach Kolumbien aus.

Diese Entwicklung beeinflusst auch den transnationalen Drogenhandel in besonderem Maße. Wie bereits erwähnt, hat sich über den Nachbarstaat Venezuela eine neue Handelsroute von Kolumbien über das karibische Meer Richtung Florida, Honduras und Mexiko sowie den Antillen eröffnet. Dies hat zur Folge, dass über die gegenwärtigen stark frequentierten Grenzübergänge zwischen Kolumbien und Venezuela Drogenkuriere und Schmuggler unbehelligt agieren können. Somit sind die Grenzregionen zunehmend der Gefahr ausgesetzt, die von dem erpresserischen und gewalttätigen Schmuggel ausgeht.

 

Zeitnahe Entwicklung

In Bezug auf den Tourismus lässt sich perspektivisch festhalten, dass Kolumbien in diesem Sektor ein enormes und noch weiter ausbaufähiges Potential besitzt. Dieses ist allerdings auf sichere, über gute Infrastruktur verfügende Zonen des Landes begrenzt. Ferner ist dabei zu berücksichtigen, dass die Alltagskriminalität in vielen Großstädten (z.B. Cali) erschreckend hoch ist.

Die kolumbianische Gesellschaft ist gespalten und von Eliten geprägt. Die Mehrheit der ländlichen Bevölkerung ist nicht ausreichend repräsentiert. Der Friedensvertrag sollte diese Situation ändern, aber aufgrund der fehlenden Implementierung wird es sehr schwer fallen, in absehbarer Zukunft einen realen Frieden zu installieren. Den Konflikt durch einen Friedensvertrag zu beenden ist nur eine Seite und ein Schritt in die richtige Richtung. Aus Sicht der Verhandlungspartner wurde dadurch der Grundstein gelegt. Dennoch hat der über Generationen andauernde Konflikt eine tiefe Wunde in der Volksseele und großen Schmerz in den Herzen und Köpfen hinterlassen. Zudem sind der Kokaanbau und der Kokainhandel höchst lukrativ. Daher kann es nicht unmittelbar zu einer Versöhnung und dem Ende der Gewalt kommen.