Letzten Freitag haben wir uns mit Foucault und seinem Text „Subjekt und Macht“ beschäftigt. Er stellt hier Thesen auf, die eine völlig andere Sicht auf Menschen und die Gesellschaft bis hin zum Staat haben als die klassischen alten Denker. Er stellt das Individuum in den Mittelpunkt seiner Analyse und versucht Machtanalysen anzuleiten. Dies ist ein zentrales Thema seines Textes: Die Macht und ihre Strukturen, in denen jede*r einzelne lebt.
In unserem Ausschnitt führt er den Zusammenhang zwischen Subjekt und Macht auf, während das Subjekt der Schwerpunkt der Arbeit ist (laut eigener Aussage), die Beschreibung von Macht aber ausführlicher ist.
Der Zusammenhang zwischen Macht und Subjekt ist bei Foucault nicht linear, sondern steht im ständigen Wechselspiel. Durch Interaktion von Menschen untereinander entsteht Macht erstmals, diese formt durch Objektivierung ein Individuum und daraus entstehen in der Auseinandersetzung Subjekte. Diese wiederum lassen wieder Macht in der Interaktion untereinander entstehen.
So entsteht ein zirkulärer Zusammenhang auf verschiedenen Ebenen. Wie eine Spirale zieht es sich selbst immer weiter, Macht lässt Subjekt entstehen, und Subjekte formen Macht.
Die Menschen streben selber danach, Individuum zu werden, und Freiheit im Handeln zu erlangen. Ich unterstelle hier, dass Menschen, die Subjekte sind, und nicht mit ihrer Kategorisierung übereinstimmen, nicht ganz frei sind, weil sie sich von diesen Kategorien eingeschränkt fühlen.
Diese Theorie lässt sich beispielhaft sehr gut an der Einführung eines dritten Geschlechts in den Registern, beziehungsweise der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht im letzten Jahr vergleichen. Die klagende Person war zuvor durch alle Instanzen gegangen, um vor dem Bundesverfassungsgericht schließlich Recht zu bekommen. Nun soll es möglich werden, bei der Geburt von Kindern neben Junge/Mädchen und den dritten „Nichts“ eine positive nicht dichotom eindeutige Geschlechtsidentität eintragen zu lassen. Die klagende Person hatte selber nur ein X-Chromosom, war also nicht als männlich oder weiblich einzustufen, sondern eben intersexuell.
Das System der zwei Geschlechter im Geburtenregister ist also nun offiziell als unzureichend markiert worden.
In Foucaults Denken ist das ein klarer Fall: Die durch die Macht reproduzierten Kategorien Mann/Frau sind nicht ausreichend und wurden hier in Rebellion gegen und im Diskurs mit den Machtstrukturen des Subjektes hinterfragt und schließlich geändert. In der breiten Gesellschaft ist es jedoch immer noch sehr schwierig, sich keinem Geschlecht zuordnen lassen zu können. Dann bleibt den Personen nach Foucault der Rückzug in die eigene Identität, da sie aus den Kategorien herausfallen und von anderen nicht „individualisiert“ werden können.
Warum wollen nicht alle Menschen rebellieren und aus ihren Kategorien ausbrechen? Die sogenannte „freiwillige Knechtschaft“ (S.257) ist laut Foucault die Antwort drauf, warum sich nicht jede*r Einzelne gegen die Kategorien auflehnt. Die Relativität des Wollen und die Intransitivität (Nicht-Übertragbarkeit) der Freiheit bilden den Kern der Machtbeziehungen, weil die Freiheit (Anzahl möglicher Handlungsoptionen) eines Individuums davon abhängt, in welche Kategorie es durch Objektivierung eingeteilt wurde. Freiheit ist somit von außen (durch die Gesellschaft, in die man hineingeboren wird) zugeschrieben.
„Das Hauptziel besteht heute zweifellos nicht darin, herauszufinden, sondern abzulehnen, was wir sind.“
Wir empfehlen euch noch eine Artedoku, „Foucault gegen Foucault“ die wir selber sehr spannend fanden und euch gerne in der Sitzung einen Ausschnitt zeigen wollten:
Eribon, Didier: Michel Foucault, eine Biographie (OV) 1992, Frankfurt, Suhrkamp Verlag
Keller, Schneider, Viehöver: Diskurs – Macht – Subjekt 2011, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften