„Aber auch die Gesetze müssen ihre Grenzen haben“ (Constant 1819)

Benjamin Constant – Public Domain via Wikimedia Commons

Der Schriftsteller, liberal Politiker und Staatstheoretiker Benjamin Constant wurde 1767 in Lausanne (Schweiz) geboren und starb 1830 in Paris. Er untersuchte das in der Französischen Revolution aufgekommene problematische Verhältnis zwischen Staatsmacht und Individuum. Sein von uns betrachteter Vortrag „Über die Freiheit der Alten im Vergleich zu der der Heutigen“ wurde 1819 in seinem Werk „Politische Schriften“ veröffentlicht und behandelt die Entwicklung der Freiheit. Im folgenden soll nun weiter auf sein Werk eingegangen und wichtige Begrifflichkeiten betrachtet werden.

Rolle von Krieg und Handel

Ergebnisse der Gruppenarbeit

Wenn man den Freiheitsbegriff von Constant analysieren möchte, muss man die Rolle von Krieg und Handel betrachten. Beides ermöglicht einem zu bekommen, was man haben möchte, weshalb Handel auch als „Krieg mit anderen Mitteln“ betrachtet werden kann. „…Krieg und Handel sind nur zwei verschiedene Mittel, um zum gleichen Ziel zu gelangen, nämlich das zu besitzen wonach man verlangt“ (Constant 1819: 371). Constant ist der Meinung, dass Handel den Krieg ablösen müsste bzw. abgelöst hat, da Handel berechenbarer ist, während Krieg aus einem spontanen Antrieb entsteht und zu unvorhersehbaren Ereignissen. Das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit ist jedoch nun ein anderes als zuvor. Ein Überlegener würde keinen Handel betreiben, denn er könnte ale Dinge auch durch Gewalt erreichen. Die meisten sind jedoch nicht überlegen und erreichen daher ihre Ziele sicherer durch den Handel, der gleichzeitig die Völkerverständigung und den Drang zur Unabhängigkeit verstärkt. Handel zu betreiben macht den Einzelnen frei, führt zu einer ständigen Beschäftigung. Dies sieht jedoch Constant als Nachteil, da der Einzelne so weniger Zeit für politische Partizipation aufbringt. Der Handel mach die Staatsmacht unabhängig. Dennoch hat der Staat durch den Handel weniger Einfluss auf das Eigentum, es ist unangreifbar und mobil. da er jedoch Geld benötigt um zu handlungsfähig zu sein, erzeugt dies eine Abhängigkeit von privaten Geldern, also den Handel treibenden Bürgern.

Der „moderne Staat“

Ergebnisse der Gruppenarbeit

Nach Constants Verständnis eines „modernen Staates“ bzw. einer „modernen Politik“ darf die politische Unabhängigkeit niemals zugunsten der politischen Freiheit geopfert werden. Politische Freiheit – also auf die Regierung Einfluss nehmen – gewährleistet die persönliche Freiheit – also freie Meinungsäußerung, freie Wahl des Gewerbes, mit anderen zusammentreffen usw. Öffentliches Wohl basiert auf der Achtung von Verfahren, Rechtsgarantien und Gesetzen. „Aber auch die Gesetze müssen ihre Grenzen haben“ (Constant 1819: 383). Erziehung und Religion sind nicht mehr Angelegenheiten des „modernen Staates“, der Staat agiert zurückhaltend. Gewohnheiten, Neigungen und Unabhängigkeit des Individuums werden geachtet, Institutionen lassen Raum zur Selbstentfaltung. Diese Institutionen müssen die politische teilhabe erstrebenswert machen, sodass trotz der Ausübung politischer Rechte genug Zeit für Privatinteressen vorhanden ist. In einem „modernen Staat“ ist das Individuum vor Willkür geschützt und hat Möglichkeiten zur gerechten politischen Partizipation.

Der freie Mensch – Menschenbild

Insgesamt zeichnen sich die Ideen von Rousseau und Constant dadurch aus, dass sie sich mit dem Verhältnis zwischen Staat und Individuum befassen, ausgehend von der größtmöglichen Freiheit des Individuums. Das einzelne Individuum steht im Zentrum, befreit von äußeren Zwängen. Der Mensch ist von sich aus gut. Er strebt nach Selbstliebe, nach Constant inklusive der eigenen Nutzenmaximierung, ist geleitet von Mitleid und Vernunft. Das Bedürfnis des modernen Menschen ist die persönliche Unabhängigkeit und die Möglichkeit der Mitbestimmung. Der Mensch kann sich frei entwickeln und sich politisch beteiligen, ohne dabei auf seine persönlichen Freiheiten zu verzichten. Der moderne Mensch passt sich der Gesellschaft an, ohne dabei seine persönlichen Rechte aufzugeben. Abschließend lässt sich sagen, dass Rousseau und Constant für den freien Menschen als eigenständiges Individuum einstehen, welches sich jedoch politisch auf allen Ebenen beteiligen kann.

Weiterführende Literatur:

Constant, Benjamin 1815: Principles of Politics Applicable to All Governments. via Online Library of Liberty.

Quellen:

Constant, Benjamin: Von der Freiheit der Alten. In: Constant, Benjamin Werke in Vier Bänden (hrsg. von Axel Blaeschke und Lothar Gall). 4. Band. Berlin: Propyläen.

Ettlinger, Josef 1909: Benjamin Constant. Der Roman eines Lebens. via Projekt Gutenberg.

„Allein durch die Gnade…“

Portal der Schlosskirche in Wittenberg mit den 95 Thesen. Quelle: Fewskulchor [CC BY-SA 3.0 de, via Wikimedia Commons.
Dieser reformatorische Grundgedanke – sola gratia – ist aufs Engste verbunden mit den Konflikten dieser Zeit. Im Mittelalter war die (katholische*) Kirche ebenso eine weltliche Instanz wie eine geistliche. Bischöfe waren Fürsten mit geistlicher Autorität. Religion war im öffentlichen Leben ein wichtiger Faktor – anders als heute, wo die Kirche eine unter verschiedenen zivilgesellschaftlichen Stimmen ist. Die Angst vieler Menschen vor dem ewigen Fegefeuer war real und durch die Kirche, so der landläufige Glaube, konnte Absolution gewährt werden. Umso bequemer, wenn man statt einer Pilgerreise oder anderer Buße nur einen Ablass kaufen musste…. Luther war dies ein Dorn im Auge und er hatte mit seinen 95 Thesen – als Aufruf zu einer akademischen Auseinandersetzung geschrieben – gegen den Ablasshandel gewettert.

Der Text „Von der Freiheit des Christenmenschen“ ist eine Reaktion auf die Androhung des Bannes (der später auch verhängt wurde). Und es ist ein Text voller Spannungen. Aus euren Texten und der Diskussion stechen besonders drei Spannungen hervor.

  1. Besonders häufig in euren Texten debattiert wurde der Zusammenhang zwischen Leib und Seele, hier ausgedrückt in der Trennung von Seelenheil und weltlichem Handeln. Dies ist tatsächlich eine ganz grundsätzliche philosophische Frage, auf die es in der Philosophiegeschichte viele Antworten gab. In Luthers Argument steht diese Unterscheidung in einem breiteren Zusammenhang, der sich an den anderen beiden Spannungen ausdrückt.
  2. Da ist als zweiter zentraler Punkt zu nennen, was sich auch in dem Zitat ausdrückt, dass wir als Grundlage unsere Diskussion genommen haben: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem Untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ (Luther 1520). Doch wie kann mensch gleichzeitig frei und unfrei sein? Hier kommt sola gratia ins Spiel. Das geistige Heil ist durch Gottes Gnade den (Christen-)Menschen gegeben – der Glaube allein zählt, die Gnade und damit das Seelenheil kann nicht verdient werden. Das macht den Menschen frei zu weltlichem Handeln, dass nicht auf die jenseitige Erlösung gerichtet ist. Darin liegt die Freiheit. Doch der Glaube führt den (Christen-)Menschen dazu, aus der Liebe zum Nächsten das Gute zu tun. Es ist nicht die Androhung von Strafe die gutes Handeln ermöglicht, es ist die Liebe zu den Anderen. Und darum ist der (Christen-)Mensch Knecht seinen Mitmenschen gegenüber, ihnen ein Diener. Überzeugt dieses Luthersche Argument? Theologisch, wie es gemeint war, wohl viele (darum ja auch die Reformation als mehr als eine opportunistisch genutzte politische Strömung), aber politisch-theoretisch ergeben sich viele weitergehende Fragen, die Wichtigste ist vielleicht: Was tun angesichts der offensichtlichen Fehlbarkeit des Menschen in Bezug auf das gute Handeln?

    Thomas Müntzer
  3. Die dritte Spannung ergibt sich aus den weitreichenden politischen Konsequenzen, die Luthers theologisches Argument hat. Luther hat sich nicht – wie Machiavelli oder auch Thomas Müntzer – aktiv in die Politik eingemischt. Und doch hat er sich nicht mit Ratschlägen in politischen Angelegenheiten zurückgehalten. Die theologische Trennung von Seelenheil und weltlichem Handeln auf der Ebene des Individuums entwickelt sich hier zu einer, aus politisch-theoretischer Sicht, durchaus schwierigen Perspektive. In „Von weltlicher Obrigkeit: wieweit man ihr Gehorsam schuldig sei“  (1523) entfaltet Luther warum der weltlichen Obrigkeit im Zweifel immer Gehorsam zu leisten ist – und rechtfertigt damit quasi jede Herrschaft. Verstehen lässt sich das nur, wenn man bedenkt, dass einerseits auch hier ein theologisches und kein politisches Argument entfaltet wird und andererseits Luther selbst von der unmittelbaren Endlichkeit der Welt und damit auch vom baldigen Ende weltlicher Herrschaft überhaupt überzeugt war. Das soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der prekären Lage des 16. Jahrhunderts gerade diese radikale Trennung zwischen geistlich
    Dietrich Bonhoeffer im August 1939, Quelle: Bundesarchiv

    und weltlichem – und die Rechtfertigung weltlicher Herrschaft auch in äußerst fragwürdigen Situationen, eine weitreichende Wirkung hatte. Auch darum Leben wir heute in säkularen Staaten – wegen eines theologischen Arguments. Im 20. Jahrhundert wurde diese Lehre für die Christen zu einer radikalen Bewährungsprobe und erst Dietrich Bonhoeffer gelang mit seiner Interpretation der Weltlichkeit christlichen Handelns  als „Verantwortung für die Welt“ eine Neuorientierung.

Es ist sicher nie ein Gedanke an sich, der wirkmächtig wird – dazu kommen immer jene historischen und politischen Umstände, die ihm Raum geben. Und Luther war weder der einzige, der im 16. Jahrhundert Neues formulierte, noch war er der einzige der ähnliche Probleme durchdachte. Das 16. Jahrhundert war eine Zeit vielfältiger grundsätzlicher Fragen und die Zeit in der neue Antworten gehört wurden.  Auch das ist ein Zeichen für den großen Umbruch der stattfand.

Nettling, Astrid 2017: „Heiliger Sokrates, bitte für uns!“ Luther im Streit mit Erasmus. (Hörfunkfeature), Deutschlandfunk, 4. Januar 2017

Thaidigsmann, Edgar 2007: Macht über sich selbst? Der Mensch und die »Mächte« bei Luther: Aspekte theologischer Anthropologie. In: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie. 49:1, 42-70.

Leseliste zum Thema bei der EKMD

*Das Wort „katholisch“ kommt aus dem Griechischen und heißt „allumfassend“. Insofern, auch wenn es damals nur eine Kirche gab, ist katholisch das richtige Wort.