Frantz Fanon – Gewalt als Ausweg aus der kolonialen Abhängigkeit?

Innerhalb der letzten Sitzung haben wir uns zum Abschluss des ‚Neue Perspektiven‘-Blocks haben wir uns mit Frantz Fanon auseinandergesetzt. Im Fokus stand dabei Fanons Werk ‚Schwarze Haut, weiße Masken‘, welches im Jahr 1952 veröffentlicht wurde.

Frantz Fanon – Public Domain via Wikimedia Commons

Fanon befasst sich innerhalb des behandelten Werkes mit den Folgen des Kolonialismus. Er tut dies, indem er, ausgehend von seinen eigenen Erfahrungen, die Folgen der französischen Besetzung Martiniques (Fanons Heimat) auf die Schwarze Bevölkerung diskutiert. Ganz konkret befasst er sich dabei mit der Entfremdung des Schwarzen Menschen und diskutiert dabei sowohl die Bedeutung der Zeitlichkeit, als auch vermeintliche Lösungsvorschläge um dem Problem entgegenzutreten.

Der Kern dessen, was Fanon als das ‚schwarze Problem‘ bezeichnet, besteht darin, dass die schwarze Bevölkerung kolonialisierter Regionen durch die Unterdrückung und Herrschaft der weißen Kolonialmächte als minderwertig determiniert wird und sich als ebendies wahrzunehmen beginnt. Daraus resultiert laut Fanon, dass die Schwarzen sich nach Anerkennung und Wertschätzung von Seiten ihrer Besetzer sehnen und deswegen versuchen, sich ihnen auf unterschiedlichsten Wegen anzugleichen.

Wird heute über Fanon gesprochen und diskutiert, spielt dabei auch die Gewalt und Fanons Einstellung zu eben dieser eine essentielle Rolle. Eine Thematik, welche auch in unserer Sitzung aufgekommen ist und deshalb hier noch einmal genauer betrachtet werden soll.

Gewalt spielt in Fanons Vorschlag zum Ausweg aus der Unterdrückung und Entfremdung der Schwarzen eine zentrale Rolle. Grundlegend dafür ist Fanons Ansicht, dass ein Gros der Gewalt zwischen Kolonialisten und Kolonialisierten durch erstgenannte ausgeht. Als Gewalt definiert Fanon dabei zum einen strukturelle Gewalt (durch Gesetze und Regeln festgeschrieben), zum anderen aber auch explizit physisch ausgeübte Gewalt, welche von Seiten der Kolonialmächte genutzt wird um ihre Macht zu erlangen und später zu erhalten. Fanon kritisiert diese Gewalt zwar einerseits, erklärt allerdings auch, dass sie aus Sicht der Kolonialisierten der einzige Weg ist, um sich zu befreien. So schreibt er in ‚Schwarze Haut, weiße Masken‘ unter anderem, dass bloßes Appellieren an Vernunft und Menschlichkeit nichts bewirken wird und der Kampf vor allem für die schwarzen Arbeiter auf Plantagen der einzige Ausweg ist. In seinem zweiten großen Werk, ‚Die Verdammten dieser Erde‘, geht Fanon sogar noch weiter und erklärt Gewalt nicht nur zu einem Ausweg aus der kolonialen Unterdrückung, sondern auch zu einem Mittel, um die gefühlte Minderwertigkeit der Kolonialisierten zu bewältigen. Er präsentiert den Aufstand und gewalttätigen Protest als Wege für die Subjekte der Kolonialverhältnisse um sich den Objekten wieder ebenbürtig zu fühlen, ohne sich ihnen anzugleichen. Trotz allem Potenzial, welches Fanon Gewalt zuschreibt, ist er sich auch über deren negative Effekte durchaus im Klaren. Sowohl die negativen physischen, als auch die psychischen Folgen von Gewalt sind ihm bewusst, weshalb er beispielsweise Gewaltanwendung ohne Ziel verurteilt.

In unserer Sitzung haben wir folglich auch ausgearbeitet, dass Gewalt für Fanon keinesfalls ausreicht, um sich aus der physischen und psychischen Unterdrückung des Kolonialismus und dem daraus entstandenen System zu befreien. So fordert Fanon die Menschen eindringlich zu einem Umdenken auf und fordert die Abschaffung von Hautfarben-bezogener Kategorisierung. Statt zwischen Weißen und Schwarzen zu unterscheiden, fordert Fanon dazu auf einzelne Individuen schlichtweg als Mensch anzusehen.

Fanons eindringlichster Appell an die Leser seiner Arbeit ist jedoch, dass sie hinterfragen sollen und nicht auf Grundlage von bereits Geschehenem und der Vergangenheit handeln sollen. Fanon fordert dazu auf darüber nachzudenken wie die Zukunft gestaltet werden kann, anstelle sich mit Konzepten wie Rache oder Vergeltung zu beschäftigen. Er hält es für essentiell, dass die Menschen sich selber und ihr Handeln kritisch und rational hinterfragen.

Ergenisse der Gruppenarbeit aus der letzten Sitzung

 

Weiterführende Literatur
Fanon, Frantz (1981). Die Verdammten dieser Erde. Frankfurt. Suhrkamp Verlag.
Fashina, O. (1989). Frantz Fanon and the Ethical Justification of Anti-Colonial Violence. Social Theory and Practice, 15(2), 179-212.

„…Der Mensch ist von Natur aus gut, ich glaube es, nachgewiesen zu haben…“ (Rousseau 1755)

Rousseau 1753, Gemälde von Maurice Quentin de La Tour – Public Domain, via Wikimedia Commons

 

Der Philosoph, Schriftsteller und Staatstheoretiker Jean-Jacques Rousseau wurde 1712 in Genf geboren und starb 1778 in Paris. Er gilt als einer der Größten Denker des 18. Jahrhunderts, dem Zeitalter der Aufklärung und vertat die Lehre der Freiheit und Gleichheit der Menschen. Sein von uns betrachtetes Werk „Contrat Social“ von 1762 fordert den „Zusammenschluss der freien Bürger aus der Basis gleicher Rechte“. Im folgenden soll nun weiter auf sein Werk eingegangen und wichtige Begrifflichkeiten betrachtet werden.

 

Der Naturzustand

Thomas Hobbes und Jean-Jacques Rousseau hatten beide die Vorstellung eines Naturzustandes. Der Naturzustand von Hobbes besagt, dass alle Menschen grundsätzlich gleich sind, angetrieben von der Selbsterhaltung, jedoch agieren sie misstrauisch, egoistisch und hinterhältig (Mehr zu Hobbes im Blogbeitrag).

 

Von Hobbes zu Rousseau

Bei Rousseau sind im Naturzustand alle Menschen gleich und auch glücklich und zufrieden sind. Sie werden von Selbsterhaltung bzw. Selbstliebe und Empathie angetrieben. Konflikte werden erst durch Eigentum ausgelöst, dies sorgt nämlich für Ungleichheit, Misstrauen und ist letztendlich Grund für Krieg.

Rousseaus Theorie

Rousseaus Theorie ist vor allem durch den Begriff des  „Willen“s geprägt. Zum einen prägt Rousseau seinen Freiheitsbegriff damit: Freiheit ist den eigenen Willen auszuüben; Solange man tut, was man will, ist man frei. Jedoch wird der eigene Wille („volonté particulière“) dem Gemeinwillen (volonté générale) untergeordnet, dass heißt der Gesamtwille einer Gesellschaft kann mitbestimmt werden, jedoch muss sich der eigen Wille unterordnen zum Wohle der Gesellschaft. Daraus ergibt sich der Gesamtwille („volonté de tous“).

Dies wurde am Beispiel der Todesstrafe besprochen: Wenn das Töten einer Person der Gesellschaft hilft/schützt/ sie erhält, dann ist die Tötung gerechtfertigt. „Der Gesellschaftsvertrag hat die Erhaltung der Vertragschließenden zum Zweck. Wer den Zweck will, will auch die Mittel und diese Mittel sind mit einigen Gefahren, selbst mit einigen Verlusten untrennbar verbunden“ (Seite 37). Es gibt in diesem Sinne also keine Rechte-Übertragung sondern eine Willens-Übertragung, heißt das akzeptieren/annehmen des Gesamtwillen trotz gegenteiliger bzw. anderer Einstellung.

Des weiteren prägt Rousseau den Begriff Souverän. Mit Souverän betitelt er den Staat, bestehend aus dem Volk, welcher den Gemeinwillen ausübt. Die Vereinigung des Einzelnen mit der Gesellschaft beschreibt er wie folgt: „Je­der von uns stellt ge­mein­sam sei­ne Per­son und gan­ze Kraft un­ter die obers­te Richt­li­nie des all­ge­mei­nen Wil­lens; und wir neh­men in die Ge­mein­schaft je­des Mit­glied als un­trenn­ba­ren Teil des Gan­zen auf.“ (Rousseau 1961: 44)

Durch die Zuordnung des Souveränitätsbegriff zu einer bestimmten Personengesamtheit begründet er die Idee der Volkssouveränität. Souveränität ist nach Rousseau „unveräußerlich; unteilbar“ und beruht auf einem „heiligen“ Vertrag. Macht kann an den Souverän übertragen werde, aber nicht der eigene Wille.

„Jeder Vorbehalt von Menschenrechten des Einzelnen wird von Rousseau ausdrücklich und nachdrücklich verworfen […] Rousseau kennt keine persönliche Freiheit des Einzelnen, die vom Staat zu respektieren wäre“ -Sibylle Tönnies (Tönnies 2011: 83)

Die Französische Revolution – Sturm auf die Tuilerien 1792 – Gemälde von Jean Duplessi-Bertaux – Public Domain via Wikimedia Commons

Rousseau als Inspiration der Französischen Revolution?

Das Motto „Liberté, Egalité, Fraternité“ prägte die Französische Revolution von 1789 bis 1799 und überschneidet sich auf den ersten Blick mit dem Denken Rousseaus: Liberté als natürliche Freiheit des Menschen, Egalité als natürliche Gleichheit der Menschen und Fraternité als Souveränität des Volkes. Die Verteidigung des Gemeinwillens gegenüber dem absolutistischen Staat war eines der wichtigsten Ziele der Revolution.

Deshalb liegt es nahe Rousseau als Begründer der Französischen Revolution zu sehen. Auch viele Revolutionäre sahen sich als Umsetzer der Ideen Rousseaus. Das lag aber nicht am „Gesellschaftsvertrag“. Im Vergleich zu anderen Werken Rousseaus (etwa dem Erziehungsratgeber „Émile“) war dieser im vor-revolutionären Frankreich kaum verbreitet, sogar verboten. Das führte dazu, dass sich Revolutionäre wie La Révellière-Lépeaux oder d’Eymar zwar auf Rousseau bezogen, tatsächlich aber Ideen propagierten, die seinen Ansichten widersprachen. Die Missverständnisse betrafen etwa Rousseaus Idee von gesellschaftlicher Freiheit als Mitentscheidungsrecht, zu deren Gunsten die persönliche Freiheit zurücktreten sollte. Auch seine Vorstellungen vom „unteilbaren Gemeinwillen“ und „unveräußerbarer Souveränität“ deckten sich nicht mit so manchen Forderungen von Revolutionären, etwa nach repräsentativer Demokratie.

Rousseaus „Gesellschaftsvertrag“ war also nicht Auslöser der französischen Revolution. In der Zeit nach 1789 wurde ihm allerdings zunehmend Interesse geschenkt – auch von Vertretern der Restauration, die beweisen wollten, dass Rousseau falsch verstanden worden war.

Rousseaus Menschenbild

Das Menschenbild Rousseaus werden wir noch eingehender in der nächsten Sitzung im Vergleich zu Constant betrachten.

Weiterführende Quellen:

Jean Starobinski: „Rousseau – Eine Welt von Widerständen“; Fischer Taschenbuch, 2012.

Quellen

Joane McDonald: „Rousseau and the French Revolution 1762-1791“; Bloomsbury Academic, 2013.

J. J. Rousseau: „Vom Gesellschaftsvertrag“ (Originaltitel: Du Contrat Social); Reclam Verlag, 1986.

Sibylle Tönnies: „Die Menschenrechtsidee – ein abendländisches Exportgut“; VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2011.

 

Leben in aufregenden Zeiten

Victoria Harbour, HongKong (by The Photographer, CC 0)

Leben in aufregenden Zeiten ist keine leichte Aufgabe. Neue Kommunikationsmittel ermöglichen ganz neue Formen der Interaktion. Viele Menschen, denen Wissen bisher verwehrt blieb, haben nun Zugang zu einer Vielzahl von Ideen. Etablierte Institutionen verlieren an Autorität und neue entstehen. Andere Formen des Zusammenlebens und Wirtschaftens werden entwickelt, Städten kommt eine neue Bedeutung zu. Ständig vergrößert sich das Wissen über die Welt, ja ganze Weltbilder geraten ins Wanken. Die Vielzahl der Veränderungen bringt zahlreiche Kontroversen hervor – und mit ihnen politische Instabilität.

Die Welt Machiavellis und Luthers, die von Leonardo da Vinci, William Shakespeare, Thomas Morus, Ferdinand Magellan, Erasmus von Rotterdam, Henry VIII, der Bauern Mitteldeutschlands und der Fugger war mitnichten eine, in der sich nur wenig änderte. Im Gegenteil, innerhalb weniger Jahrzehnte wurde vieles grundlegend auf den Kopf gestellt. Wenn man bedenkt, dass seit der Mondlandung fast 50 und seit der Erfindeung des WorldWideWeb immerhin auch schon 30 Jahre vergangen sind, kann man ermessen, wie schnell die Veränderungen des 16. Jahrhunderts wirksam wurden.

Magellans Schiff Victoria

Heute, im Nachhinein, ist es leicht zu erkennen, wer die prägenden Ideen hatte, wer seiner Zeit voraus war oder – freiwillig oder nicht – zur Veränderung beigetragen hat. Für diejenigen, die unmittelbar beteiligt waren, war das nicht so leicht zu erkennen, im Gegenteil. Es ist schwer aus der Masse der Äußerungen, Einschätzungen und Fragen diejenigen zu erkennen, die erklärungsstark sind, wie Machiavellis, oder wirkmächtig, wie Luthers. Und so ist denn auch der Text zunächst zu lesen mit der Frage, was von Luther gewollt und bezweckt wurde, wozu dieses Argument in seiner Zeit diente. Erst im Anschluss lohnt es zu fragen, wie es so weit über seine eigentliche Intention hinaus Wirkung entfalten konnte – und ob es zwingend so kommen musste, oder ob hier schlicht der Zeitgeist hervortrat. Was macht einen Text so prägend? Und wie könnten wir heute erkennen, welche Äußerung bedeutsam ist?

 

Höppner, Ulrike 2010: Thinking in Turbulent Times: On the Relevance of Sixteenth-Century Political Thought. In European Political Science 9:3, 291–303.

Skinner, Quentin 1969: Meaning and Understanding in the History of Ideas. In: History and Theory 8:1, 3-53.