Problembasiertes Lernen (PBL) – erste Erfahrungen

Laut Studien- und Prüfungsordnung des Einführungs- und Orientierungsstudiums EinS@FU soll bei der Lehrveranstaltungsform „Lernwerkstatt“ zunächst ein Problem im Vordergrund, für das die Studierenden weitgehend selbstständig eine Lösung finden sollen. Hier lernen sie, ein Thema oder eine Frage zu analysieren, geeignete Informationsquellen zu finden und zu nutzen und schließlich Lösungen zu vergleichen, auszuwählen und umzusetzen.

Meinem Verständnis nach klingt diese Beschreibung der Lehr- und Lernform „Lernwerkstatt“ nach Problembasiertem Lernen (PBL). Beim PBL steht ein „Problem“ im Vordergrund und die Studierenden erarbeiten sich selbstständig eine Lösung – ohne bereits über fachspezifisches Wissen zu verfügen.

„The learning results from the process of working towards the understanding of a resolution of a problem. The problem is encountered first in the learning process.“

H.S. Barrows, R. Tamblyn: Problem-Based Learning: An Approach to Medical Education. New York: Springer, 1980, 1.

Die Studierenden entscheiden selbst, welches Wissen für die Lösung des Problems einschlägig ist und welche Wege sie dafür beschreiten können. Diese Lernmethode erfordert im hohen Maße produktives Denken.

Was macht PBL aus?

Präsentation erstellt mit Pitch

Barrows (1996) definiert sechs spezifische Charakteristika:

1. Learning is student-centred.

2. Learning occurs in small student groups.

3. Teachers are facilitators or guides.

4. Problems form the original focus and stimulus for learning.

5. Problems are a vehicle for the development of clinical problem-solving skills.

6. New information is acquired through self-directed learning.

Problem-based learning in medicine and beyond: A brief overview. In L. Wilkerson & H. Gilselaers (eds.), Bringing problem-based learning to higher education: Theory and practice. San Franscisco, CA: Jossey-Bass Inc.

Damit ist PBL eine dezidiert teilnehmerorientierte Methode; die Studierenden stehen im Mittelpunkt und handeln selbstverantwortlich während ich als Dozentin den Lernprozess begleite, aber nicht das Zentrum der Aufmerksamkeit bilde. Sich in die Rolle eines Beobachters und Tutors, der bei Gelegenheit mit Rat zur Seite steht, zu versetzen, ist eine Herausforderung – meiner Erfahrung als Studierende und als Lehrende nach ist eine Fixierung auf die Dozierenden (nicht nur in der Arabistik sondern vielleicht allgemein in der Lehre) eher an der Tagesordnung.

Dozentenorientierte Lehrveranstaltung
Kleingruppe – tutorzentriert
Problembasiertes Lernen – teilnehmerzentriert

Lernziele

Mit problembasiertem Lernen verknüpfen sich drei grundlegende Lernziele:

  1. Studierende machen sich neues Wissen selbststädig zu eigen;
  2. Studierende lernen wie man lernt und können diese Erkenntnisse später auf andere Lernszenarien übertragen;
  3. Studierende lernen, selbstständig Probleme zu analysieren und Lösungen zu reflektieren.

Beim problembasierten Lernen geht es darum, Wissen nicht nur zu konsumieren sondern auch kritisch zu reflektieren.

VM
Schlüsselqualifikationen nach Weber, Agnes: Problem-Based Learning – Ansatz zur Verknüpfung von Theorie und Praxis, in: Fachzeitschrift zu Theorie und Praxis der Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern: Beiträge zur Lehrerbildung 23 (1), 2004.

Anpassung der Sieben-Sprung-Methode der Universität Maastricht

Bei der Gestaltung der einzelnen Sitzungen meiner Lernwerkstatt diente mit die Sieben-Sprung-Methode der Universität Maastricht als Grundlage, im Folgenden nach Weber, Agnes: Problem-Based Learning, Bern, 2007; mit Ergänzungen durch Slemeyer, Andreas: Problemorientiertes Lernen für eine Einzelveranstaltung – ein Fallbeispiel aus dem Ingenieurbereich. Neues Handbuch Hochschullehre.Berlin, Stuttgart. 59. Ergänzungslieferung, Mai 2013:

Phase 1: Erstes Gruppentreffen
Sprung 1:
Begriffe klären
Text sorgfältig lesen und alle unklaren Begriffe klären. Dazu gegebenenfalls Fachbücher, Skripte oder elektronische Ressourcen verwenden.
Sprung 2:
Problem bestimmen
Die wichtigsten Kernthemen und Teilprobleme auflisten und ordnen.
Sprung 3:
Problem analysieren
Brainstorming, Einbringen von Vorwissen, Assoziationen. Bildung von Hypothesen. Alle Aussagen und Ideen protokollieren. Noch keine Diskussion!
Sprung 4:
Erklärungen ordnen
Diskutieren und Strukturieren der Hypothesen.
Auswahl treffen und Prioritäten setzen.
Sprung 5:
Lernziele formulieren
Wissenslücken erfassen. Lernfragen formulieren.
Rechercheaufträge an die Gruppenmitglieder verteilen. Kommunikationswege und Termin für Sprung 7 vereinbaren.
Phase 2: Selbststudium
Sprung 6:
Individuelle Erarbeitung der Antworten zu allen Lernfragen („neues“ Wissen) mit Aufbereitung und Dokumentation unter Nennung der verwendeten Quellen.
Phase 3: Zweites Gruppentreffen
Sprung 7:
Informationen austauschen
Ergebnisse in eigenen Worten präsentieren. Lösungsvorschläge diskutieren, evtl. korrigieren. Fragen einbringen und klären. Ergebnisbericht zusammenstellen und präsentieren.
(Sprung 8:)
Evaluation
Gruppenprozess offen analysieren. Effizienz des Lernverhaltens (auch des eigenen!) prüfen. Ergebnisse in einem Protokoll festhalten.

Auf dieser Grundlage entwickelte ich die Idee, mit den Studierenden in unterschiedlichen Kleingruppenzusammensetzungen (drei Gruppen à 5 Studierenden jeweils) zwei Runden problembasierten Lernens mit zwei unterschiedlichen Fallskizzen zu durchlaufen. (Zu den Fallskizzen später mehr.)

Präsentation erstellt mit Pitch

Dies hat nicht nur den Vorteil, dass die Studierenden über das Semester in der Kleingruppenarbeit nicht immer mit denselben fünf Studierenden in einer Gruppen sind, sondern bietet auch die Möglichkeit, beim zweiten Durchlauf gegebenenfalls Änderungen in den eigenen Prozessen in der Gruppen- und Individualarbeit zu vollziehen und so das eigenen Lernverhalten noch einmal zu evaluieren.

Daher streckte ich die sieben Sprünge – plus Evaluation, also eigentlich acht Sprünge – auf drei Sitzungen und konzipierte die Sitzungen selbst jeweils mit einem Anteil Gruppenarbeit und einem Anteil des Austauschs im Plenum zwischen den drei Gruppen und mit mir:

Präsentation erstellt mit Pitch

In der ersten Session sollten also die Sprünge 1 bis 5 des problembasierten Lernens getätigt werden. Nach einer kurzen Einführung in PBL warf ich die Studierenden quasi ins kalte Wasser, indem ich sie zufällig Gruppen zuordnete, ihnen im Blackboard die Sieben-Sprung-Methode der Universität Maastricht als Handreichung zur Verfügung stellte und sie anhand der ersten Fallskizze zunächst 15 Minuten lang Begriffe sammeln und über diese diskutieren ließ.

Präsentation erstellt mit Pitch

Fallskizze: Arabisches in Herr der Ringe?

Die Fallskizze für diese erste und die folgenden beiden Sitzungen lautet wie folgt:

Präsentation erstellt mit Pitch

In der ersten Diskussionsrunde im Plenum warfen die Studierenden unter anderem folgende Begriffe ein, die sich teilweise auch schon aus der Betrachtung des Szenenausschnitts der Großaufnahme eines Ostling-Kriegers generierten:

Ostlinge – Osten – fremd – schwarz – dunkel – grausam – böse – arabisch – Klischee – westlich – stereotypisch – Kostüm – Wüste – Kajal – Verschleierung – Farbe – geografische Lage – Mordor – Burka – literarische Vorlage – filmische Darstellung – Gruppe – Individuum – Armee – Kämpfer – Pharaonen – …

Wie es auch mir selbst ging, als ich PBL zum ersten Mal in einem Workshop kennenlernte, gingen auch die Studierenden schon früh in die Formulierung von Kernthemen und Problemstellungen über.

In der zweiten Kleingruppensession in dieser Sitzung sollten die Studierenden dann Hypothesen zu dieser Fallskizze bilden und erste Wissenslücken ausmachen und gegebenenfalls Rechercheaufgaben untereinander verteilen.

Präsentation erstellt mit Pitch

Für die Gruppenarbeit hatte ich die Studierenden in Blackboard bereits entsprechend der Zuteilung in den Breakout-Sessions in Cisco WebEx Meetings bereits in Arbeitsgruppen eingeteilt, sodass sie auch die Möglichkeit hatten, ihre Gruppenarbeit zum Beispiel im Wiki zu dokumentieren.

Die Ergebnisse dieser Gruppenarbeit besprechen wir erst in der kommenden Sitzung, sodass die Studierenden noch Zeit haben, sich auch außerhalb der Sitzung miteinander abzusprechen.

Präsentation erstellt mit Pitch

Erster Eindruck

Dadurch, dass problembasiertes Lernen von Studierenden ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeiten, Selbstständigkeit und Selbstreflektion verlangt, scheint sich bei den Studierenden zunächst eine gewisse Unsicherheit und Verwirrung ergeben zu haben. Mein Eindruck aus der Diskussion im Plenum und der Dokumentation im öffentlichen Wiki in Blackboard war aber, dass dies durchaus eine produktive Unsicherheit war.

Eine erste Umfrage, bei der aber bisher erst die Hälfte der Studierende teilnahm, ergab, dass ein Teil der Studierenden die erste Sitzung mit PBL durchaus gut fanden und ein anderer Teil noch nicht genau weiß, was er von PBL und den Fallskizzen halten soll.

Erstellt mit Mentimeter

Auch für mich als Dozentin ergibt sich eine gewisse Unsicherheit, nämlich in der Hinsicht, als dass ich mich zurückhalte, Input zu geben und Wissen einfach konsumierbar zur Verfügung zu stellen. Dies ist eine ungewohnte Rolle, die ein Unbehagen mit sich bringt, nämlich in der Hinsicht, dass es es sich seltsam anfühlt, selbst nicht wirklich viel des eigenen Wissens darzustellen. Ich frage mich ehrlicherweise, ob ich in dieser Rolle des Begleiters studentischer Lernprozesse meiner „Lehrverpflichtung“ tatsächlich nachkomme.

Allerdings denke ich mir auch:

Wenn ich mit meiner Lehrveranstaltung einen Raum schaffe, in dem sich Studierende Kompetenzen erwerben, mit Hilfe derer sie in ihrem Studium und auch im Arbeitsleben persönliche und professionelle Erfolge erleben, dann sehe ich darin den „Sinn“ von Lehre erfüllt.

Ich verstehe „gute Lehre“ nicht so, dass es zwischen den Studierenden und mir als Dozentin lediglich ein Wissensgefälle gibt, das dadurch am besten auszugleichen ist, dass ich von oberhalb des Wissenswasserfalls nur genug Fachinhalte runterfließen lassen muss – am besten durch Frontalunterricht und mühsames Durchpflügen von Sekundärliteratur.

Ist es nicht vielmehr so, dass Lehre dann ihren Zweck erfüllt, wenn Studierende lernen, wie sie zu Wissen – egal welcher Art – kommen?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Captcha
Refresh
Hilfe
Hinweis / Hint
Das Captcha kann Kleinbuchstaben, Ziffern und die Sonderzeichzeichen »?!#%&« enthalten.
The captcha could contain lower case, numeric characters and special characters as »!#%&«.