Nach einer Woche voller Online-Meetings ergibt sich für mich ein Gefühl der Erschöpfung. Zoom-Sitzungen, WebEx-Meetings und andere Video-Calls erschöpfen mindestens so viel Energie wie physische Treffen von Angesicht zu Angesicht, aber ohne die positiven physio-psychologischen Effekte eines persönlichen Gesprächs mit Personen in einem Raum, wo auch die haptische und olfaktorische Wahrnehmbarkeit einer physischen Realpräsenz eine Rolle spielt. Bei Videokonferenzen jedoch klebt förmlich vor dem Bildschirm und der Kamera, rutscht wahrscheinlich nicht mal auffällig auf dem eigenen Stuhl hin und her oder schaut in der Gegend herum; Gesichtszüge scheinen teilweise eingefroren (und damit meine ich nicht, dass die Videoübertragung eingefroren wäre) oder seltsam monoton. Vielleicht hängt das aber auch einfach mit der besonderen Perspektive eines solchen Online-Meetings zusammen.
Von der statuesken Performanz eines Nachrichtensprechers
Bei einem Online-Meeting mit 18 weiteren Personen bietet einem die Galerieansicht in einem Videokonferenzsystem wie Zoom auf kleinstem Raum (bei mir aktuell ein 13-Zoll-Bildschirm) einen Eindruck von 18 Gesichtern – so nah, wie man ihn in einem Treffen mit denselben Menschen in einem Raum nicht hätte. Selbst in der Active-Speaker-View, bei der nur die gerade sprechende Person groß in der Mitte ist, während die anderen Personen in einer Reihe darüber zu sehen sind, bleibt der Eindruck natürlich eher der einer Nachrichten-Live-Schaltung zu einem Korrespondenten in einem anderen Land.
Eine Stunde lang bewegt sich niemand großartig; Mimik und Gestik entsprechen eher der Performanz von Nachrichtensprechern – auch der Bildausschnitt ist ja meist ähnlich: von der Brust aufwärts, bei manchen auch eher vom Schlüsselbein aufwärts.
Das ist in der Wahrnehmung alles sehr starr, fast schon statuesk.
Das liegt zum einen natürlich daran, dass bei Online-Meetings die Personen nie in Gänze zu sehen sind; selbst wenn sie also bewusst oder unbewusst Gestik und Körpersprache nutzen würden, um sich auszudrücken, würden die anderen Personen im Online-Meeting diese gar nicht wahrnehmen können. Zum anderen verhalten sich Menschen in Online-Meetings vielleicht anders als bei physischen Treffen:
Wenn man sich die ganze Zeit auch selbst auf einem Bildschirm sieht, wird man sich der eigenen Mimik, Gestik und Körpersprache noch einmal mehr (oder überhaupt?) bewusst, was möglicherweise in Zurückhaltung und Statuenhaftigkeit resultiert.
Galerieansicht – ein flimmerndes Mosaik aus Köpfen und Büsten
Selbst wenn die beteiligten Personen weniger auf ihren Stühlen an ihren Schreibtischen klebten und mindestens die Beweglichkeit zeigten, die sie in der gleichen Situation in einem Besprechungsraum an den Tag legen würden, wäre das für die Einzelnen zwar wahrscheinlich als ‚lebendiger‘ wahrnehmbar; aber diese Lebendigkeit würde sich in der Gallery-View immer noch in 18 kleinen Fenstern auf einem Bildschirm abspielen, die alle gleichzeitig sichtbar sind – ein flimmerndes Mosaik aus Köpfen und Büsten, meist schlicht eine Flut von Reizen ist (bestenfalls nur eine Kakovision, wenn die Beteiligten verstanden haben, ihre Mikrofone auf stumm zu stellen, wenn sie gerade nicht sprechen).
In einem physischen Treffen würde man Mimik, Gestik und Körpersprache von 18 Menschen nie gleichzeitig wahrnehmen, wobei Präsenz im Raum sicher in gewisser Weise ‚spürbar‘ ist; eher verfügt man über die Freiheit, wen auch immer anzuschauen oder wo auch immer hinzuschauen. Im Online-Meeting scheint dies durch verschiedene Parameter wie Sitzplatz, Hardware, gewählte Ansicht im Meeting selbst, Aufmerksamkeitsspanne, und so weiter, eingeschränkt. Die Freiheiten oder Selbstverständlichkeiten eines physischen Treffens von Angesicht zu Angesicht in den virtuellen Raum eines Online-Meetings zu übertragen fordert natürlich auch das Selbstbewusstsein der Einzelnen.
Als könnte man nicht nebenbei einen Schluck Tee* trinken, eine Notiz machen, sich im eigenen Zimmer umschauen, oder sogar einmal aufstehen, um auf die Toilette zu gehen (idealerweise ohne das Equipment vom Tisch zu reißen, weil man vergessen hat, das man ein kabelgebundenes Headset nutzt …).
Den Blick schweifen lassen
Solch simple Aktivitäten wie den Blick schweifen lassen oder Teetrinken können natürlich eine Ablenkung für die Beteiligten sein:
Vielleicht trinkt man aus einer auffälligen Tasse oder im Gesicht ist deutlich ein Genussempfinden abzulesen. Vielleicht reagiert jemand aus der Gruppe im Chat darauf. Vielleicht sind die Chattenden dann im weiteren Verlauf des Online-Meetings nicht mehr so aufmerksam, weil sie sich quasi ausklinken. Aber ist das überhaupt schlimm? Und entspricht dies nicht eigentlich der Realität von sonstigen Meetings? Zwar kann ich mich nicht zu meinem Sitznachbarn herüberlehnen, um ihm einen Kommentar ins Ohr zu flüstern. Aber ich kann ihn direkt im Chat anschreiben, auch ohne dass die anderen Beteiligten dies mitbekommen. Und wenn ich von einem solchen Chat erheitert werde, dann ist es eventuell in der Kamera für alle sichtbar – eventuell schaut aber auch gar niemand hin, also was soll’s?
Gerade, wenn man eher in der Zuhörerposition in einem Online-Meeting ist, muss man nicht zu einer Statue erstarren. Sonst könnte man genauso gut ein Standbild von sich anzeigen lassen.
Lehren statt performen
Wahrscheinlich müssen die Beteiligten noch vertrauter mit der Interaktion und Wahrnehmung im virtuellen Raum werden – gerade, wenn sie andenken, auch ihre Lehre teilweise in Live-Sessions mit mehreren Studierenden abzuhalten. Es wäre einfach, in Frontalunterricht zu verfallen und eine Live-Session mehr performend als lehrend abzuhalten. Das mag für Vorlesungen sogar sinnvoll sein; bei austausch- und diskussionslastige Lehrformaten bilden aber die Studierenden den Mittelpunkt und dementsprechend kann auch eine Online-Sitzung mit Studierenden die Interaktion zwischen ihnen als peers ins Zentrum rücken. Welche Mittel und Tools sich dafür konkret eignen, darauf gehe ich in einem nächsten Beitrag ein.
Gemeinsam Tee trinken, und zwar online!
Um noch einmal auf Kollegiatstreffen zurückzukommen:
Überhaupt bin ich der Meinung, dass Online-Meetings mit Teammitgliedern nicht nur stattfinden sollten, wenn es Tagesordnungspunkte gibt. Wenn man sich im Kollegiat nur trifft – ob online oder offline –, um „Probleme“ oder Anstehendes zu besprechen, neigt man vielleicht dazu, die Beteiligten auch nur aus dieser Perspektive und in einem solchen Ambiente wahrzunehmen; und so etwas verankert sich im Bewusstsein. Ich möchte nicht den Begriff team building bemühen (was ich hiermit doch getan habe), aber das Korridorgespräch über einen Horrorfilm, den man am Wochenende geschaut hat, oder das Teeküchengespräch über einen neuen Wasserfilter gehört ebenso zum Arbeitsalltag wie die Arbeit selbst.
Sonst gehe ich vielleicht am Nachmittag mit meiner Teetasse zu einem Kollegen gehe, um einfach mal zu hören, wie der Tag so lief oder wie es so geht, und vielleicht gesellt sich noch jemand dazu, der auch etwas abschalten möchte. Warum dies nicht auch im virtuellen Raum praktizieren? Ein virtuelles Gespräch bei Tee über die letzte Unterrichtseinheit, einen Artikel, an dem man gerade schreibt, oder über Marvel-Filme, Wanderziele im Vereinigten Königreich, Lovecraft’sche Videogames und Brotbackrezepte.
*Aus Gründen der Lesbarkeit wird im Folgenden auf die gleichzeitige Nennung verschiedener Heißgetränke verzichtet; ‚Tee‘ steht an dieser Stelle für alle Heißgetränke; überall, wo vom Teetrinken die Rede ist, ist selbstverständlich auch Kaffee- oder Kakaotrinken gemeint. Da Trinkgewohnheiten aber fluide sind, können hier auch Kaltgetränke mitgedacht werden, Wein oder Spirituosen jedoch dann erst nach Feierabend.