Martin Delius war Piraten-Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus und hat mehrere Jahre lang den Untersuchungsausschuss zum BER geleitet. Im Interview verrät er, was beim Bau des Hauptstadtflughafens schiefgelaufen ist und was die Politik daraus für andere Großprojekte lernen kann.
Der Untersuchungsausschuss hat seinen Auftrag erfüllt, auch wenn er nicht dabei geholfen hat, den BER fertigzustellen. Das sagt Martin Delius, damals der Vorsitzende des Ausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus. Die Fragen seien beantwortet, damit sei die Aufgabe erfüllt. Die Parlamentarier seien schließlich keine Aufsichtsräte. „Ein Untersuchungsausschuss hat sehr viel Macht“, sagt Delius. „Er kann Bußgelder verhängen, Leute einsperren lassen, Hausdurchsuchungen veranlassen. Mit dieser Macht geht auch eine große Verantwortung einher. Der Untersuchungsausschuss darf zum Beispiel nicht zu einem dauerhaften Ausschuss werden.“ Zwei Mal sei der Auftrag des BER-Ausschusses aber vom Parlament erweitert worden, damit auch neu aufgekommene Fragen geklärt werden konnten. Während des Untersuchungsausschusses konnte Martin Delius als Vorsitzender den öffentlichen Diskurs prägen, wie er selbst sagt. „Ich konnte die Diskussion stark beeinflussen.“ Am Anfang habe er sich mit politischen Äußerungen zurückgehalten, später nicht mehr, nachdem er gemerkt habe, dass Abgeordnete anderer Parteien sich häufig äußern.
Was kann die Politik aus den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses lernen?
Martin Delius: Wer den Abschlussbericht ernsthaft liest, lernt darin sehr viel. Parlamentarier sollten lernen, sich an die eigene Nase zu fassen. Sie waren lange Zeit zu faul, Anfragen zu stellen. Die öffentliche Verwaltung sollte lernen, dass sie Leute mit Aufsichtsratsposten nicht überlasten sollte. Was gelernt worden ist: Es gibt jetzt wesentlich mehr öffentliche Transparenz über sogenannte Interna von Unternehmen, die am Bau beteiligt sind.
Warum konnten sich die Parteien nicht auf einen gemeinsamen Abschlussbericht einigen?
Es gibt einen gemeinsamen Bericht und zusätzlich noch Sondervoten von den Grünen, von den Linken und von mir. Im Bericht selbst steht nichts Falsches drin, die Beurteilung ist jedoch Meinung der damaligen rot-schwarzen Koalition. Da ist klar, dass die Parteien ihre eigenen Leute – Michael Müller, Klaus Wowereit, Frank Henkel – besonders gut aussehen lassen wollten.
Wann wurde bei der BER-Planung der erste Fehler gemacht?
Schon ganz am Anfang. Es gab ein Standortfindungsverfahren, wo verschiedene Standorte geprüft wurden. Zum Beispiel wurde gefragt, wie gut sie erreichbar sind, ob es machbar ist, dort einen Großflughafen zu bauen, etc. Auf dem ersten Platz landete Sperenberg, Schönefeld hingegen war nicht unter den ersten drei Favoriten. Wenn sich aus einem ordentlichen Verwaltungsverfahren erst einmal eine Reihung ergeben hat, dann ist es schwer, dagegen zu argumentieren. Damals wurde das Ergebnis aber in den politischen Diskurs gegeben. Dann gab es ein 6-Augen-Gespräch zwischen Eberhard Diepgen, Manfred Stolpe und Matthias Wissmann. Da ist dann ein Papier herausgekommen, das wir heute als Konsens kennen und wo Schönefeld als Standort vorgeschlagen wird.
Am Anfang sollte der Flughafen nicht alleine von öffentlicher Hand gebaut werden…
Richtig. Das hat aber drei Mal nicht geklappt und dann gab es Neuwahlen und unter Wowereit hieß es dann: Wir lassen das mit der Privatisierung und bauen lieber selbst.
Da gingen die Probleme aber erst los.
Es wurde kein Generalbauunternehmer beauftragt, von denen es einige gibt. Zuerst hat man einen Preis festgelegt. Das waren 2,8 Milliarden, mit Puffer bis zu 3,4 Milliarden Euro. Die Firmen wollten aber alle mehr. Also ist man selbst als Bauherr aufgetreten. Das hat aber nicht geklappt. Beim Terminal zum Beispiel wollten die Firmen alle mehr als die Politik bereit war zu zahlen. Statt zu diskutieren und zu reagieren, hat man entschieden: Wir teilen das Projekt weiter auf, z.B. in Hochbau und Tiefbau.
Was ist daran schlimm?
Es ist ein Irrglaube, dass der Bau am Ende soviel kostet wie die Summe der Aufträge. Man braucht mehr Geld, zum Beispiel für die Steuerung. Am Ende waren es 37 einzelne Projekte, die so klein waren, dass man lokale Firmen als Auftragnehmer bekommen hat. Die unterliegen aber einem ganz anderen Preisdruck und die haben sich beeinflussen lassen von der politischen Kommunikation. Die haben ihre Angebote gemacht im vollen Bewusstsein, dass sie den Preis nicht halten können. Die haben mit Nachträgen gerechnet. Gleichzeitig war die Flughafengesellschaft überfordert. Sie muss nicht mehrere Flughäfen betreiben, sondern nun auch 37 Aufträge vergeben, überwachen und sich mit den Unternehmen herumschlagen.
Was ist Ihr Fazit daraus?
Wenn man merkt, dass man auf dem freien Markt ein Produkt nicht bekommt zum gewünschten Preis, dann ist es nicht die beste Idee, es selber herzustellen. Das ist unverantwortliches Projektmanagement.
Was hätte man stattdessen tun sollen?
Man hätte im Haushalt Geld bereitstellen können für eine ordentliche Entwurfsplanung. Und erst danach dann weitersehen.
Später sollte ein construction management etabliert werden. Was hat es damit auf sich?
Im Jahr 2008 haben die Banken gesagt: Wir finanzieren das Projekt, aber ihr braucht ein construction management, ihr könnt nicht einfach ein Generalbauunternehmen ersetzen, ihr braucht jemanden von außen. Also gab es eine Ausschreibung und es wurde auch eine Firma gefunden. Die hat nach einem Jahr festgestellt, dass der Zeitplan geändert werden sollte. Das passte der Geschäftsführung aber offenbar nicht in den Kram. Die Firma wurde nach einem Jahr Probezeit nicht weiter beschäftigt. Die Geschäftsführung hat immer entschieden, nichts zu machen und das durch Einsatz von Geld zu verschleiern.
Ihr Rat für eine Geschäftsführung eines Großprojekts?
Man sollte auf die hören, die man dafür bezahlt, dass sie einem die richtigen Hinweise geben.
Die Zukunft des BER ist unklar. Sie wollen das Gelände in einen Messe-Standort verwandeln?
Im Jahr 2015 war überhaupt nicht klar, wie es weitergehen soll. Ich habe damals gesagt: Das ist ein hervorragendes Messegelände. Wir brauchen einen neuen Großflughafen für Mittel- und Osteuropa, mit größerer Beteiligung der Bundesregierung. Gut geeignet wäre ein Standort in Brandenburg, nicht direkt neben Berlin, besser gut angebunden an Polen und Tschechien.