Verhandlungen sexualisierter Gewalt im Kreuzberger Viktoriapark

„Der seltene Fang“ und „Wir haben Gesichter“

von Lucia Fuchs (April 2020)

Eigentlich bin ich gerne im Viktoriapark unterwegs. Kleine Wege führen zwischen alten Bäumen und Felsen auf den Kreuzberg, von dem nicht nur das gleichnamige Stadtviertel, sondern die halbe Stadt überblickt werden kann – immerhin handelt es sich um die höchste natürliche Erhebung Berlins! Im Sommer plätschert ein imposanter Wasserfall den Hang hinab und ergießt sich in einen Teich am Fuß des Berges, dort, wo der Park an die Kreuzbergstraße grenzt und in direkter Sichtachse der Großbeerenstraße.

Trügerisches Idyll

Die romantische Naturkulisse ist sorgfältig inszeniert: Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Berg, auf dem bis dahin Landwirtschaft und Kiesgruben betrieben worden waren, zum Park umgestaltet. Mit seinen Felsen und angelegten Gewässern soll er die Illusion einer schlesischen Gebirgslandschaft erzeugen. Auch wenn dieses Gebirgsidyll im Dienst des preußischen Militarismus und Nationalismus erschaffen wurde – das Nationaldenkmal auf dem Gipfel des Kreuzberges sollte besser zur Geltung kommen – bietet es eine nette Abwechslung in der Kreuzberger Betonwüste. Doch der Entspannungswert wird schnell getrübt, denn schon vor Betreten des Parks konfrontiert ein umstrittenes Dekorationsobjekt die Spazierenden damit, dass die Inszenierung von Idylle nicht bedeutet, ein möglichst gewaltfreies Umfeld für alle Menschen gleichermaßen zu schaffen.

Mein Weg zum Viktoriapark führt über die Großbeerenstraße und je näher ich komme, desto deutlicher hebt sich die Skulptur ab, diese in Bronze gegossene Szene am Ufer des Teiches, in den der Wasserfall mündet: ein muskulöser Mann* hält eine Frau* fest.[i] Ihr scheint das nicht recht zu sein, sie kann aber nichts dagegen ausrichten. Während der Mann* fest auf seinen Füßen steht und die Frau* anscheinend mit Leichtigkeit halten kann, ist sie in eine unnatürliche und unbequeme Position gedrängt, ihr nackter Körper ist verdreht und exponiert, mit ihren Armen scheint sie sich vom Mann* wegstemmen zu wollen. Erst bei näherem Herantreten, zeigen sich die Details: die Frau* hat einen Fischschwanz und wird von dem Mann* mit einem Netz gehalten.

Normalisierung von Gewalt gegen Frauen*

Eine kurze Recherche ergibt: es soll sich bei der Darstellung um einen Fischer handeln, dem eine Nixe ins Netz gegangen ist – eben „der seltene Fang“, wie die Skulptur von Ernst Gustav Herter (1846-1917) heißt. Seit 1896 steht sie am Ufer des Teiches am Fuße des künstlichen Wasserfalls. Und auch wenn die Geschichte, die durch den Namen suggeriert wird – ein Fischer fängt versehentlich und zu seiner eigenen Überraschung eine Nixe – das nahelegt, ist die Darstellung alles andere als unschuldig. Sie verharmlost und mystifiziert eine Situation, in der ein Mann* Gewalt über den Körper einer Frau* hat. Der Mann* wirkt stark und aktiv, während die Frau* ihm hilflos ausgeliefert zu sein scheint. Zudem sind die intimen Körperpartien des Mannes* verborgen, während der Körper der Frau*, einzig von ein paar Blättern bedeckt, den Betrachter*innen entgegengestreckt wird. Die Tatsache, dass das Portal berlin.de sie als „erotisch anmutende Bronzeskulptur“ beschreibt, zeigt, dass es auch heute im Bereich des Sagbaren liegt, die gewaltsame Verfügbarmachung von Frauen*körpern zu verharmlosen und gar als legitime Erotik zu bezeichnen. Diese Einladung scheint bei den Besucher*innen der Skulptur anzukommen: die linke Brust der Nixe sieht aus wie blankpoliert. Im Denkmalschutz wird dies als Griff- oder Handpatina bezeichnet; sie bildet sich an Stellen, die häufig angefasst werden.

Dass sich sexualisierte Gewalt im Viktoriapark nicht auf Übergriffe auf Skulpturen beschränkt, wird spätestens 100 m weiter klar, wo der*die Flaneur*in auf eine ganz andere Intervention in den öffentlichen Raum stößt. Links vom Wasserfall, ein kleines Stück bergauf, steht ein Mahnmal. An dieser Stelle wurde 2002 eine Frau* vergewaltigt – ein Ereignis, das 2005 im Rahmen der feministischen Aktion „Wir haben Gesichter“ zum Anlass genommen wurde, eine Stele als Zeichen gegen sexualisierte Gewalt gegen Frauen* zu installieren. Betrachter*innen müssen nah an sie herantreten, um die Inschriften entziffern zu können. Auf der Stele selbst befinden sich Verse („Wir haben Gesichter“) und auf einer dreieckigen Platte prangert ein Text „Männergewalt und Frauenverachtung“ als „Krieg gegen Frauen“ an.[ii] Die Stele selbst ist eine Stahlplatte, in der durch Aussparungen ein Gesicht mit weit geöffnetem Mund, abstehende Haare sowie Brüste angedeutet werden.

Empowerment durch Umgestaltung

Mein Unwohlsein wird durch diese Intervention noch weiter verstärkt. So gut es mir erscheint, dem Eindruck des „Seltenen Fangs“ etwas entgegenzusetzen, so deprimierend wirkt „Wir haben Gesichter“ auf mich. Gerade der Kontrast zwischen der aufwändig gestalteten Skulptur, die direkt am Teich einen prominenten Platz einnimmt und der unscheinbaren Stele, die mit ihrer kaum leserlichen handschriftlichen Inschrift versteckt am Wegesrand steht, symbolisiert ein Ungleichgewicht. Zumal die Skulptur einzig der Dekoration und Unterhaltung dient, während die Stele auf ein ungleich ernsteres Thema aufmerksam macht. Und auch wenn ihre Inschrift kämpferisch zur Abschaffung des Patriarchats aufruft, transportieren die Ausdrucksweise und vor allem die Bildsprache, zumindest in meiner Empfindung, eher den Eindruck eines stummen Schreies als den von Empowerment. Dass sie dabei auf ein binäres und starres Geschlechterverhältnis rekurriert, schließt zudem viele Menschen aus, die ebenfalls unter den kritisierten Strukturen leiden.

Anders sieht es mit der feministischen Umgestaltung des „Seltenen Fangs“ im Rahmen des Frauen*kampftages 2019 aus: Aktivist*innen haben die Nixe mit Pfeil und Bogen ausgestattet und eine Informationstafel angebracht, die die Skulptur als ein Beispiel von Rape Culture entlarvt – eine Kultur, die sexualisierte Gewalt verharmlost und legitimiert.[iii] Leider war diese Umgestaltung von kurzer Dauer. Deshalb: Wasserfall und Panoramablick hin oder her – Ausflüge in das Gebirgsidyll im Viktoriapark sind weiterhin nicht geeignet, sich der Gewaltförmigkeit der Gesellschaft zu entziehen. Vielleicht bieten sie aber ja einen guten Anlass, über diese Themen nachzudenken und zu sprechen.

Literatur:

Bilder:

Bilder: die ersten beiden Fotos wurden von der Autorin aufgenommen, das Bild der umgestalteten Skulptur stammt von „Fight Rape Culture“, gefunden auf https://de.indymedia.org/node/29717 (cc-by-sa)

Anmerkungen:

[i] Ich schreibe hier von Männern* und Frauen*, um zum Ausdruck zu bringen, dass diese Menschen als Männer oder Frauen gelesen werden, aber gleichzeitig auf die Konstruiertheit eines binären und essentialistischen Geschlechterverständnisses hinzuweisen. Dass die Verhandlung von Geschlechterverhältnissen und sexualisierter Gewalt im Park sich weitgehend in binären Kategorien bewegt, ist der Dominanz dieser Lesart geschuldet und kann ebenfalls als symbolische Gewalt verstanden werden.

[ii] Der Gesamte Text lässt sich auf Wikipedia nachlesen

[iii] Der Text der Infotafel sowie eine Beschreibung der Aktion ist auf Indymedia nachzulesen.

 

 

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