The State of American Democracy

Research-based Analysis and Commentary by the Department of Politics at the John-F.-Kennedy Institute

Thomas Greven: Wandel oder doch nur Wechsel? – Eine Antwort auf „Stars and Stripes“

In der Tat, nach acht Jahren mit George W. Bush im Weißen Haus wollen viele Amerikaner den Wechsel. Was sich mit der Abstrafung des Präsidenten für den Irak-Krieg und der Kongress-Republikaner für ihre Arroganz und ihre Skandale im Jahr 2006 andeutete, bekommt möglicherweise eine Fortsetzung bei der Präsidentschaftswahl im November 2008. Aber wird es wirklich „einschneidende Reformen … sozialdemokratisch[er]“ Art geben, wenn der Bewohner im Weißen Haus wechselt, wie Frank Unger „mit Sicherheit“ voraussagt? Wollen die Amerikaner einen grundlegenden Politikwandel überhaupt? Daran kann man begründet zweifeln, auch wenn nun sowohl die Demokraten als auch die Republikaner den diversen Versprechen von „change“ zujubeln.

Neben einem Ende der Präsidentschaft von George W. Bush sehnen sich viele Amerikaner nämlich außerdem nach dem, was dieser einst zu sein versprach: Ein Einiger, kein Spalter. So erklärt sich der Erfolg von Barack Obama, dem aktuell Führenden der Gesamtwertung im Demokratischen Nominierungswettlauf (die Analogie zur Sprache des Sportjournalismus ist beabsichtigt). Sein Charisma beruht auf der Fähigkeit, stets eine leidenschaftliche Stimme der Vernunft und der Werbung für mehr gegenseitiges Verständnis zu sein. Ob es ihm aber dauerhaft gelingen kann, den mehrheitlich weißen Amerikanern ihre „Angst vor dem Schwarzen Mann“ zu nehmen, ist fraglich – auch wenn die weißen Amerikaner das in Exit Polls und anderen Umfragen auch dann nicht zugeben würden, wenn sie denn gefragt würden. Aber auch wenn wenige offen rassistisch agieren, lebt die Diskriminierung der Schwarzen u.a. auf dem Wohnungs-, Arbeits-, Bildungs- und Versicherungsmarkt doch subtil weiter. Das Bestrafungssystem der USA ist sogar recht offen auf Benachteiligung junger schwarzer Männer angelegt (nebenbei bemerkt ein geeignetes Studienobjekt für die Diskussion um eine Verschärfung des deutschen Jugendstrafrechts) (vgl. Massey 2007). Schon jetzt lebt Obama mit nur notdürftig kodierten Bezügen auf seine „Rasse“, insbesondere mit dem Vorwurf, illegale Drogen konsumiert zu haben. Bei Bush waren der Alkoholismus und möglicherweise auch der Kokainkonsum noch „youthful indiscretions“, die nicht gleich Bilder von Kriminalität und Verwahrlosung heraufbeschwörten.

Für ein im amerikanischen Sinn „liberales“, also ungefähr sozialdemokratisches Programm steht am ehesten John Edwards, der ehemalige Senator aus North Carolina, mit Haftungsklagen – übrigens einem amerikanischen Substitut für ernsthafte staatliche Regulierung von Unternehmenshandeln – reich gewordener Anwalt. Er hätte wohl in Iowa und/oder New Hampshire gewinnen müssen, um mit seiner Variante von „Populismus“ weiter im Spiel zu bleiben. Noch wird er nicht aufgeben, aber um „mehr Staat“, also z.B. die Sinnhaftigkeit von progressiver Besteuerung und Regulierung, wirklich zu popularisieren, bedürfte es einer entschlossenen und geschlossenen Demokratischen Partei und vermutlich auch einer großen wirtschaftlichen Krise für die amerikanische Mittelklasse – die Krise am Häuser- und Kreditmarkt kann sich vielleicht ja noch dazu auswachsen. Tatsächlich ist aber Hillary Clinton eine Kandidatin des Democratic Leadership Council, der u.a. empfiehlt, keinesfalls politische Forderungen der Gewerkschaften zu übernehmen, sondern sich so weit wie möglich von diesen zu distanzieren (nicht im Wahlkampf selbstverständlich, da werden sie ja als Geldgeber und für die Fußtruppen gebraucht) – obwohl ein einfacher Blick in die Wahlstatistik einen klar erkennbaren positiven Zusammenhang zwischen gewerkschaftlichem Organisationsgrad und Demokratischem Erfolg zeigt. „Mehr Staat“ ist hier also nicht unbedingt zu erwarten, allerhöchstens inkrementale Reformen z.B. im Gesundheitssystem oder nicht länger absinkende Reallöhne. Barack Obama wird gewöhnlich als „links von Hillary Clinton“ wahrgenommen, aber in Programmatik und Substanz ist er ihr recht ähnlich. Die Tage, als er mit im weitesten Sinne linken Positionen und entsprechender Rhetorik im Wahlkampf um den Senatssitz für Illinois kämpfte, sind lange vorbei.

Und selbst wenn ein Demokratischer Präsident z.B. die Rechte der Gewerkschaften stärken wollte oder die Gutverdienenden und Unternehmen wieder stärker besteuern wollte – welche Aussichten auf Erfolg hätte dies? Der seit drei Jahrzehnten erfolgreiche spezifisch Republikanische Populismus, welcher der Bevölkerung u.a. vorgaukelt, dass Steuersenkungen, Privatisierungen und Deregulierung ihr nützen (bzw. diese Agenda mit einem Fokus auf „Werte“ verschleiert), verschwindet ja nicht einfach, wenn die Wahl ums Weiße Haus für die Grand Old Party verloren geht. In den Einzelstaaten, im Repräsentantenhaus und vor allem im Senat wird er lebendig bleiben. Dort verfügt auch eine Minderheit Republikanischer Senatoren mit dem Filibuster über weitreichende Blockademöglichkeiten. Im Extremfall können 40 Senatoren aus Staaten mit einem insgesamt minimalen Anteil an der Gesamtbevölkerung der USA alle Gesetzgebungsverfahren blockieren oder jedenfalls substantielle Verwässerungen heraushandeln (Geogeghan 2005). Die Rücknahme zentraler Schwächungen des Arbeitsrechts ist bei Demokratischen Mehrheiten im Kongress und einem Demokratischen Präsidenten Carter gescheitert, unter Präsident Clinton wurde solches nicht einmal mehr versucht. Jüngst scheiterte der Employee Free Choice Act im Senat – ein Veto des Präsidenten wäre aber ohnehin sicher gewesen.

Mithin, die Aussichten auf einen Politikwechsel nach der Präsidentschaftswahl 2008 sind nicht gut. Die Kandidaten diskutieren z.B. die Reform des Gesundheitssystem, welches mehr als 47 Millionen Menschen nicht versichert, dazu viele Millionen mehr drastisch unterversichert und also selbst die Versicherten stets mit der totalen Finanzkatastrophe bedroht. Inkrementale Veränderungen reichen hier nicht aus. Es bedürfte eines Paradigmenwechsels hin zu einem öffentlich finanzierten System – aber die private Versicherungsindustrie und die Pharmaindustrie haben ja selbst vorsichtige Reformen bisher erfolgreich mit dem Vorwurf des Sozialismus verhindert, z.B. gegen die vereinten Kräfte der Clintons (die ja auch jetzt wieder als Doppelpack im Angebot sind). Wo ist die gesellschaftliche Bewegung, die eine Demokratische Partei und genug Republikaner dazu zwingen könnte, eine solche Veränderung gegen alle Widerstände zu bewerkstelligen?

Literatur:

Geoghegan, Thomas, 2005: The Law in Shambles, Chicago: Prickly Paradigm Press.

Massey, Douglas S., 2007: Categorically Unequal. The American Stratification System, New York: Russell Sage Foundation.

Frank Unger: WER EIGENTLICH IST MIKE HUCKABEE? – Nachtrag zu den „Vorwahlen“ in Iowa

Am Donnerstag fand im amerikanischen Bundesstaat Iowa die erste einer ganzen Reihe von Vorwahlen zur Bestimmung der jeweiligen Kandidaten der beiden einzig relevanten amerikanische Parteien für die im November stattfindenden Präsidentschaftswahlen statt. Ab jetzt wird gut zehn Monate lang in den amerikanischen und etwas weniger, aber immer noch mehr als genug auch in den europäischen Medien an herausragender Stelle berichtet, analysiert, kommentiert, spekuliert, räsonniert, prognostiziert und palavert werden, welcher der insgesamt 15 oder 16 (kann schließlich noch jemand hinzustoßen!) Bewerbern einschließlich einer Bewerberin schließlich am Ende das Rennen machen wird.

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Frank Unger: SCHWARZENEGGER – VOR DEM JAHR DER WENDE: Wie der kleine SPIEGEL sich die USA vorstellt

Stars and Stripes hat im ablaufenden Jahr mehrmals vorausgesagt, dass das Jahr 2008 ein Jahr des Politikwechsels in den USA werden wird. Die Präsidentschafts- und Kongresswahlen im November werden in jedem Fall, ganz gleich, welche der beiden „Parteien“ dann die Mehrheit im Kongress bzw. den Präsidenten stellen wird, Ausgangspunkt für einschneidende Reformen im Lande sein, das kann man mit Sicherheit voraussagen. Die meisten werden von einer Art sein, die man bei uns gemeinhin wohl „sozialdemokratisch“ nennen würde, in den USA nennen sie das „liberal“. Konkret: die Regierung wird auf Bundes- wie auf einzelstaatlicher Ebene stärker wieder Verantwortung übernehmen, einige der extremen Errungenschaften des „Neokonservatismus“ (bei uns sagt man: „Neoliberalismus“) werden wieder zurückgefahren werden. Um etwaigen diesbezüglichen Nachfragen aber gleich zuvorzukommen: Eine entscheidende Wende in der Nahost-Politik und im Irak-Krieg wird es eher nicht geben. Aber im Innern wird sich einiges regen.

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Frank Unger: US-NEOCONS AM ENDE – Wenn deutsche Journalisten lesen könnten

Die Berichte und Kommentare der deutschen Presse zum Treffen von Annapolis haben wieder einmal gezeigt, dass die meisten deutschen Journalisten in Angelegenheiten, die die Politik der USA betreffen, immer noch nicht in der Lage sind (oder noch nicht gelernt haben), Motivationen und Vorgeschichte richtig einzuschätzen und aus ihnen verständige Schlüsse zu ziehen. Obwohl sie doch zu Hunderten in der amerikanischen Hauptstadt herumhängen und sicher mindestens drei „Insider“-Gespräche pro Tag führen, gelingt es ihnen dennoch fast nie, in ihren Analysen und Kommentaren über das hinauszugehen, was auf den Pressekonferenzen verbreitet wird.

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Margit Mayer: Sozialpolitischer Kontext amerikanischer Programme und Initiativen

Seit der Reagan-Ära sind zwei gleichzeitige Trends in der amerikanischen Stadtentwicklung zu beobachten: zum einen massive Kürzungen und Streichungen bei Sozial- und Wohnungsprogrammen des Bundes, verbunden mit einer Dezentralisierung der verbleibenden Programme auf die Ebenen der Einzelstaaten und Counties; zum anderen die Ausbreitung und Konsolidierung von Initiativen und Programmen zur integrierten Erneuerung in benachteiligten Stadtteilen. Vor allem die sog. Community Development Corporations (CDCs), die schon in den 1960er und 70er Jahren als Instrumente zur Revitalisierung problematischer Stadtteile entstanden waren, erfuhren seit 1981 einen massiven Wachstumsschub. Dabei sind bei diesen Erneuerungsansätzen in den letzten Jahren Veränderungen in der Ausrichtung und in der Schwerpunktsetzung festzustellen, die möglicherweise neue governance-Strukturen auf lokaler Ebene entstehen lassen: Strukturen, die traditionelle sozialpolitische Orientierungen durch eine qualitative Umstrukturierung lokaler Wohlfahrtsstaatlichkeit ersetzen.
Um diese Veränderungen einzukreisen, strukturiert sich dieser Beitrag in drei Teile. Zunächst geht es um den Wandel in den sozialpolitischen und stadtpolitischen Rahmenbedingungen, der mit den Kürzungen für städtische Infrastruktur und soziale Dienstleistungen 1978 einsetzte und mit der jüngsten Welfare Reform der Clinton-Regierung seinen einstweiligen Höhepunkt erreicht hat. Im zweiten Teil geht es darum, die Bandbreite von stadtteilorientierten Initiativen und Programmen, die in amerikanischen Städten (in viel größerem Umfang als hierzulande) aktiv sind, vorzustellen, die sich mehr und mehr in Richtung eines bestimmten Typs, nämlich zu sog. „community-based, collaborative, strategic initiatives“ zu entwickeln scheinen. Und schließlich geht es, drittens, um die Frage, ob wir in diesen Entwicklungen bereits neue institutionelle Strukturen und neue Policies ausmachen können, die sich möglicherweise durchsetzen im Kontext der amerikanischen Stadtentwicklung und Armutsbekämpfung – und wenn, welche neuen Probleme und Gefahren sie aufwerfen.

Erschienen in: ILS (Institute for Regional and Urban Development Research of the State of NRW), ed., Integrierte Stadtteilerneuerung und Bewohneraktivierung in den USA, Dortmund: ILS, 1999, pp. 9-19.
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Margit Mayer/Thomas Greven: Die USA nach dem 11. September: The War at Home

The article outlines the domestic consequences of 9-11. It details the war on the homefront by describing steps taken in the immediate aftermath of the attacks, such as the passage and content of the USA Patriot Act, its consequences for immigrants as well as U.S. citizens, and the secrecy surrounding the detention of more than a thousand suspects in what looks like a massive campaign in racial profiling. It also looks at the congressional debate on how the government should intervene to support affected economic sectors and regulate airport security.

Erschienen in: Prokla. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft 125, 31/4 (December 2001), pp. 541-555.

Margit Mayer: Schutz der Heimat. Über die Aushöhlung der Bürgerrechte in den Vereinigten Staaten

Nachdem die USA die Terrorakte vom 11. September 2001 als kriegerischen Akt und nicht als Verbrechen gedeutet haben, regten sich Befürchtungen über die Folgen, die die Kriegserklärung für die US-amerikanischen liberalen Normen mit ihrer Wertschätzung für Toleranz und Privatsphäre haben würde. In einem Krieg führenden Land seien die fundamentalen Werte des Verfassungssystems unausweichlich bedroht, so der Tenor in einem breiten Spektrum liberaler, bürgerrechtlicher wie konservativer Kreise.

Erschienen in: Blätter für deutsche und internationale Politik 7, 2003, S. 843-852