Interaktion ist ein Schlüsselelement für die Qualität des Online-Lernens. Austauschmöglichkeiten können beispielsweise durch ein asynchrones Online-Diskussionsforum geschaffen werden.
Ein solches richtet ich für mein Bachelorseminar Araber und der Orient in Hollywood in der Online-Lernumgebung Blackboard ein. Mein Ansatzpunkt war, dass sich durch Online-Diskussionsforum vielleicht Lernaktivitäten verstehen und durch die Transparenz des Schriftlichen durchlässiger gestalten lassen.
Nutzen von Online-Diskussionsforen – für Studierende
Die Vorteile schriftlicher Diskussion in einem Online-Forum bestehen meines Erachtens nach in zwei Dingen:
- Die Studierenden haben Zeit, ihre Antworten auszuarbeiten und darüber nachzudenken, was für einen Beitrag sie in welcher Forum leisten wollen. Meiner Wahrnehmung nach neigen die Gespräche dazu, tiefer zu sein, was sicherlich damit zusammenhängt, dass schriftliche Beiträge als weniger flüchtig empfunden werden als Redebeiträge und die Studierenden ihren Antworten im Forum durch Recherche mehr Gewicht verleihen.
- Der Aufbau von Wissen erfolgt im Austausch und wird direkt an den Gedankengängen der Mitstudierenden gespiegelt. So fungiert ein Forum auch als verbindendes Element.
Vorteile von Online-Diskussionsforen – für mich als Dozentin
Unabhängig vom Nutzen asynchronen Diskutierens für Lernerfolge, birgt der Einsatz eines Online-Diskussionsforums für mich als Dozentin mindestens zwei Vorteile:
- Wissen wird schriftlich festgehalten. Alles bleibt auf der Plattform und ist über das gesamte Semester hinweg nachlesbar. Diskussionen in einem Online-Forum sind weniger flüchtig als face-to-face-Diskussionen im Unterrichtsraum, die ja auch meist in keiner Weise schriftlich festgehalten werden. In einem Online-Forum ist der gesamter Ablauf einer Diskussion transparent: wer mit wem interagiert, welche Personen nicht teilnehmen, welche Personen was für Wissen einbringen, und so weiter. Dies hat natürlich wiederum Vorteile für Studierende: Während eine mündliche Unterrichtsdiskussion für Personen, die an einer Sitzung nicht teilnehmen konnten, nicht nachvollzogen werden kann, schafft ein Online-Forum genau das: Gedankenaustausch unabhängig von Präsenzstunden nachvollziehbar zu machen, sodass alle Teilnehmenden einer Lehrveranstaltung davon profitieren können. Unter Umständen kann die Implementierung eines Online-Diskussionsforums also für mehr Flexibilität in der Teilnahme am Wissensaustausch zwischen den Studierenden sowie zwischen Studierenden und der Dozentin sorgen.*
- Gedankengänge und Diskussionspunkte können visualisiert werden – und hiermit meine ich keine Darstellung in Graphen. Dadurch, dass die Interaktion zwischen den Studierenden schriftlich stattfindet, lässt sich für mich als Dozentin überblicken, welche Diskussionspunkte besonders häufig aufgegriffen werden, welche Terminologien dafür verwendet werden, auf welche Quellen besondern häufig zurückgegriffen wird, und so weiter. Solche Diskussionspunkte kann ich aufgreifen, in zusammenfassenden Beiträgen verdichten und kommentieren und so die Diskussion mit Blick auf Lernziele moderieren.
Zwischen Inaktivität und Nachrichtenflut – Schwierigkeiten der Betreuung
Vermutlich verfällt jede Lehrveranstaltung, die zum ersten Mal ein Online-Diskussionsforum als Teil der Lernaktivität implementiert in das ein oder andere Extrem: Es herrscht Austauschflaute oder es findet ein Über-Austausch statt. Beides kann durch dieselben Faktoren hervorgerufen sein, so kann zum Beispiel fehlendes adäquates Feedback der Dozentin dazu führen, dass nur ein geringes Maß an kognitivem Engagement vorherrscht und sich die Studierenden isoliert fühlen, was wiederum zu einem Mangel an Tiefe in der Diskussion führen kann, oder dass die Diskussion durch Eigendynamiken im Austausch unter den Studierenden übersteuert wird und weg vom Lernzielepfad führt.
Für mich als Dozentin ergibt sich vor allem bei einem Kurs mit vielen Teilnehmenden (aktuell knapp 40 in der Lehrveranstaltung Araber und der Orient in Hollywood) aus der Nachrichtenflut die Schwierigkeit der Begleitung und Betreuung. Es fällt schwer, mit allen Aktivitäten Schritt zu halten und zeitnah Feedback zu geben. Allerdings sehe ich es auch so, dass der Fortschritt einer Forumsdiskussion stark vom Beitrag der Dozentin abhängt – ebenso ist die Motivation der Studierenden, überhaupt am Forum teilzunehmen, an eine gewisse Präsenz der Dozentin geknüpft.
Präsenz der Dozentin ja, aber in Maßen
Wenn ich diesen Beitrag etwas überspitzt „Weniger Dozent, mehr Student“ betitele, so meine ich damit nicht, dass sich Dozierende in Online-Lehrveranstaltungen, in denen ein Diskussionsforum im Mittelpunkt steht, gänzlich aus der Wahrnehmung der Studierenden zurückziehen sollen. In Zeiten, in denen Distanz das bestimmende Element von Interaktion zwischen Studierenden und Dozierenden ist, gilt es, präsent zu sein.
Bevor ich dazu komme, was ich mit dieser Präsenz (in einem asynchronen Lehrformat) meine, möchte ich in Stichpunkten anführen, was sie für mich nicht bedeutet.
Präsenz in Online-Lehre bedeutet nicht
- dass jede Sitzung eine synchrone Online-Sitzung sein muss, wenn eigentlich ein asynchrones Format für eine Lehrveranstaltung konzipiert wurde;
- dass Dozierende mit Studierenden Einzelunterricht in one-on-one-Online-Meetings durchführen sollen;
- dass den Studierenden im Online-Semester mehr Aufgaben gestellt werden, als sie im Rahmen eines Nicht-Online-Semesters bewältigen könnten;
- dass Dozierende auf jeden Beitrag in einem Forum antworten;
- dass Dozierende eine Forumsdiskussion mit eigenen Beiträgen dominieren sollen;
- …
Qualität schlägt Quantität
Für mich geht es beim Präsent-Sein in Online-Lehre darum, die Präsenz bedeutungsvoll zu gestalten. Bedeutungsvolle Präsenz lässt sich kreieren, wenn man sich selbst eine Art ‚Skript‘ anlegt, nach dem das eigene Engagement abläuft; dies kann verschiedene Punkte beinhalten:
- eine wöchentliche Ankündigung in Blackboard mit einer Übersicht über die Themen und Ziele der kommenden Woche und ein Recap der vergangenen Woche – ein Recap kann unter Umständen auch eine Form der aktiven Teilnahme durch Studierende sein;
- eine Frage-Antwort-Sektion im Forum, in der Studierende explizite Fragen (auch technischer oder organisatorischer Natur) stellen können, die dann zeitnah von Dozierenden beantwortet werden können;
- Online-Sprechstunden mit festen Zeiten;
- quick and dirty Videobotschaften, in denen Missverständnis aus einer Forumsdiskussion geklärt werden können oder wichtige Punkte mündliche zusammengefasst werden können;
- zeitnahe Rückmeldung zu Hausaufgaben;
- in Online-Diskussionsrunden den Austausch mit den Studierenden suchen;
- …
Konkret bedeutet dies für die Forumsdiskussion in meinem Seminar Araber und der Orient in Hollywood:
- dass ich als Dozentin Diskussionsanreize schaffe (zum Beispiel durch Initialbeiträge) aber der Diskussion ansonsten ihren Lauf lasse und nicht auf jeden Beitrag antworte; Oberthemen für die kommenden Wochen sind festgelegt und Expertengruppen arbeiten sich jeweils in Oberthemen ein, sodass sie in der jeweiligen Woche qualitativ mehr Beitrag leisten können und die Diskussion mit ihren Beiträgen beleben können;
- dass ich als Dozentin die Diskussionspunkte einer Woche zusammenfasse und sie innerhalb der Kurzziele verorte;
- dass ich Möglichkeit zum Austausch mit den Expertengruppen biete, zum Beispiel durch eigens angesetzte Expertensprechstunden;
- dass ich die Forumsdiskussion und die sich dort generierenden Informationen eng mit den Anforderungen der zu absolvierenden Prüfungsleistung (einer differenziert bewerteten Hausarbeit) verzahne;
- …
Nicht Antworten, WIRKLICH NICHT
So lautete der Tipp aus einer Facebook-Gruppe namens Pandemic Pedagogy, als ich nachfragte, wie ich den Fokus einer Forumsdiskussion von meiner Person weg hin zu den Studierenden und ihrem Wissen und ihren Gedankengängen bewegen könne.
Dieser Tipp war wirklich wertvoll.
Denn ja, Dozierende mögen dazu neigen, alles ‚kontrollieren‘ zu wollen, um ja einen Kurs in die richtigen Bahnen zu lenken und sicherzustellen, dass Studierende Information X, Y, und Z wirklich verstanden und reflektiert haben. Daraus ergibt sich in einem schriftlichen Diskussionsforum nicht selten eine Dominanz der Dozierenden, die hemmend für den Fortschritt der Diskussion sein kann, weil die Aktivität der Studierenden dann immer vom Beitrag der Dozierenden abhängt.
Diese Abhängigkeit muss aber nicht sein; denn selbst, wenn ich als Dozentin mehr zu einem Thema weiß, geht es für mich nicht darum, mein Wissen als einzig richtige Wahrheit zu präsentieren und nur darauf hinzuarbeiten, dass Studierende reine Fakten meines Wissens rezitieren können. Mir geht es um Reflexionsvermögen und Recherchefähigkeit, auch um die Erkenntnis der Studierenden, dass sie selbst über Wissen verfügen oder sich solches aneignen können, das nicht weniger wert ist als das Wissen von mir als Dozentin.
Studere bedeutet ja ’sich eifrig bemühen‘ – und so sehe ich meine Aufgabe als Dozentin in der Begleitung und Betreuung eines Online-Diskussionsforums als Hauptaustauschplattform einer Online-Lehrveranstaltung darin, dieses Bemühen anzuerkennen, mit Anreizen zu füttern, Wege und Möglichkeiten aufzuzeigen, es schlichtweg zu ermöglichen und zu unterstützen.
*Wie es sich verhält, wenn ein Online-Forum nicht alleiniger Raum für Diskussionen in einer Lehrveranstaltung ist, sondern mit face-to-face-Diskussion im Unterrichtsraum kombiniert wird, wäre zu prüfen. Meine Gedanken entstehen aktuell aus der Situation heraus, dass das Online-Diskussionsforum im Kurs Araber und der Orient in Hollywood die Hauptaustauschmöglichkeit bildet, an die auch die Lernziele angegliedert sind.
Ich nehme momentan an einem Seminar teil, in dem wir vor jeder Sitzung die 2 bis 3 zu lesenden Texte in Kleingruppen diskutieren sollen, gern auch im Forum der Kleingruppe, das jedoch für alle einsehbar ist. Online gibt es außerdem jede Woche eine Einführung in das Thema durch die Dozentin in Schrift- oder Videoform. In der wöchentlichen Online-Sitzung berichtet dann jede Kleingruppe kurz, was diskutiert wurde, und welche Fragen sie sich gestellt hat. Diese Impulse führen dann zu Diskussion zwischen allen anderen. Ich finde dieses Format sehr effektiv, da es zu einer gründlichen, kritischen Auseinandersetzung mit den Texten anregt, durch die gemeinsame Diskussion Missverständnisse aufgeklärt werden können, und man viele neue Impulse für die Auseinandersetzung mit den Texten bekommt. Die Sitzung verbringen wir also allein damit, zu diskutieren. Ich hatte vor dieser Ausnahmesituation noch nie ein Seminar, in dem sich Studierende so viel beteiligt haben und der Unterricht komplett ohne Referate auskam. Ein Assistent der Dozentin macht in jeder Sitzung Notizen und lädt eine Zusammenfassung der diskutierten Punkte in das Forum hoch, die ebenfalls kommentiert oder ergänzt werden können.
Problematisch ist, dass – je nach Grad des Engagements der anderen Gruppenmitglieder – die Diskussion mehr oder weniger ertragsreich ausfällt. Der Aufwand für den Kurs ist höher als in einem ’normalen‘ Semester, aber die Lerneffekte haben sich bei mir um ein Vielfaches erhöht. Leider sind nicht alle Studierenden so motiviert oder in der Lage, die notwendige Zeit aufzubringen, so dass die Diskussionen im Forum nicht so aktiv sind, wie ich es mir persönlich wünschen würde.
Für mich ist die Erfahrung alles in allem hauptsächlich positiv und ich wünsche mir, dass sich Lehre nach diesem Semester verändert und die Vorteile dieser Online-Dimension mehr nutzt.