Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Der Absentiv

Happy Shopping Girl

Sie war einkaufen.
(Quelle: openclipart.org)

„Ich bin dann mal weg“ – so lautet der Titel von Hape Kerkelings Bestseller, der vor zehn Jahren erschien. Dass man ‚mal weg‘ ist, das signalisieren auch Aussagen wie Ich bin einkaufen oder Ich bin angeln. Durch die direkte Verbindung des Verbs sein mit einem Infinitiv kann man angeben, dass man für eine bestimmte Zeit nicht vor Ort ist bzw. sein wird. Man begibt sich irgendwo hin, um dort die Handlung, die der Infinitiv angibt, auszuführen.

Die gleiche Konstruktion gibt es auch im Niederländischen: Jeroen is boksen (Jeroen ist boxen) oder Hij was vissen (Er war angeln).

Auch ein Satz wie Jeroen is boksen kann nämlich als Antwort auf die Frage Waar is Jeroen? (Wo ist Jeroen) verwendet werden. Diese Antwort ist nicht angemessen, wenn Jeroen im Nebenzimmer auf einen Sandsack eindrischt. Er muss die Wohnung/das Haus verlassen haben, um sich beispielsweise in einem Fitnessstudio auszutoben. Und wenn man jemandem am Telefon die Auskunft erteilt Anna is zingen, dann singt auch sie nicht im gleichen Raum oder in der gleichen Wohnung wie derjenige, der diese Auskunft gibt. Sie ist dann beispielsweise irgendwo bei einer Chorprobe. Die genaue Interpretation ergibt sich aus dem Kontext und aus dem Kontextwissen von Sprecher/in und Hörer/in.

Das ‚mal eben weg sein‘ wird in dieser Konstruktion weder im Deutschen noch im Niederländischen explizit ausgedrückt, es ist Teil der Konstruktionsbedeutung. Daher hat der niederländische Linguist Casper de Groot diese Konstruktion einst Absentiv getauft, ein Begriff der sich inzwischen in der sprachwissenschaftlichen Literatur weitgehend durchgesetzt hat (wenn auch nicht alle davon überzeugt sind, dass man eine grammatische Kategorie ‚Absentiv‘ ansetzen sollte, vgl. zum Beispiel den Blogbeitrag von Theodor Ickler).

Die Absentiv-Interpretation ergibt sich übrigens auch, wenn der Infinitiv noch um ein Objekt ergänzt wird: Hans ist Pommes holen. Im Niederländischen gibt es eine Besonderheit in den zusammengestzen Zeiten der Vergangenheit, denn hier wird die Infinitivform wezen statt des Partizipiums geweest verwendet: Ik ben wezen vissen, Jeroen was wezen boksen.

Das Verb sein wird beim Absentiv offensichtlich nicht als ’normales‘ Kopulaverb verwendet (wie in Er ist Professor oder Er ist blau), die das Subjekt mit dem Prädikat verbindet, indem dem Subjekt eine bestimmte Eigenschaft zugeschrieben wird. Die Absentiv-Konstruktion wird manchmal als ‚elliptisch‘ interpretiert, was soviel heißt wie: hier fehlt eigentlich etwas. Dabei kann man vor allem an ein Fortbewegungsverb wie fahren oder gehen denken: Hans ist Milch kaufen gegangen. Im Niederländischen würde man dieses Fortbewegungsverb dann im Infinitiv verwenden: Hans is melk gaan kopen.

Tatsächlich scheint dies insbesondere in Flandern die einzige Möglichkeit zu sein. Den typischen Absentiv mit sein + Infinitiv kennen Flamen offenbar nur als nordniederländische Variante, die sie selber kaum oder gar nicht verwenden. Das ist zumindest die Auskunft, die mir diverse Sprecher/innen des südlichen Niederländisch in letzter Zeit gegeben haben. Ich habe es nicht untersucht und kann daher keine Aussagen über die tatsächliche Distribution der beiden Ausdrucksmöglichkeiten machen.
Dass es hier aber anscheinend Variation gibt und der ‚echte‘ Absentiv vielleicht eher dem niederländischen Niederländisch zuzurechnen ist, erscheint mir interessant. Und ich frage mich, ob es eine solche regionale Variation auch im Deutschen gibt. Ist Mein Mann ist einkaufen allgemeines Standarddeutsch?

Hierzu passt auch, dass die dritte große westgermanische Sprache, das Englische, diese Konstruktion nicht kennt. Auf Englisch wäre Anna is sing schlicht ungrammatisch und falsch. Im Englischen muss der ‚weg sein‘-Aspekt explizit ausgedrückt werden, beispielsweise durch out oder off, kombiniert mit einem Gerundium (also der -ing-Form des Verbs): John is off boxing.

Zur regionalen Verteilung der verschiedenen Absentiv-Möglichkeiten gibt es bestimmt irgendwo Untersuchungen, die ich nur bislang noch nicht kenne. Und ich habe jetzt auch keine Zeit, nach ihnen zu fahnden. Denn ich bin jetzt mal weg.

Der Beitrag wurde am Mittwoch, den 16. März 2016 um 11:41 Uhr von Matthias Hüning veröffentlicht und wurde unter Grammatik, Sprachvariation, Sprachvergleich abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

Kommentarfunktion ist deaktiviert