Schon wieder zuhause bleiben, schon wieder Kontakte reduzieren? Die Routine kennen wir: Mediatheken und Streamingdienste sind noch lange nicht leer geschaut. Im letzten Jahr erschien ein niederländischer Film, der seit einigen Monaten auch in Deutschland im Angebot von Amazon Prime verfügbar ist (ja, ist ja richtig, Amazon…). Vorteil dabei, den wir im deutschen Linearfernsehen selten genießen: Originalsprache. Lohnt der Film, und was steckt sprachlich drin?
Der Film heißt De Oost und er handelt genau davon, nämlich vom Unabhängigkeitskrieg der Kolonie Niederländisch-Indien, heute Indonesien. Nun ist de Oost im Niederländischen als Bezeichnung für die ehemalige Kolonie ein etablierter Begriff im Unterschied zu het oosten für die Himmelsrichtung (dazu mehr in diesem Beitrag). Die Übersetzung des Titels im Online-Angebot von Amazon als The East ist deshalb etwas ungeschickt. In welcher Hinsicht hier vom ‚Osten‘ die Rede ist und warum das ein Gegenstück zu de West ist, dürfte sich vielen nicht auf Anhieb erschließen. Das internationale Publikum denkt vielleicht eher an Osteuropa, den Nahen Osten oder Ostasien, das deutsche womöglich gar an unseren ‚Osten‘.
Dass der niederländischen Kolonialgeschichte ein Film gewidmet wird, der nicht mit sanften Tönen die Handels- und Seefahrernation glorifiziert, ist natürlich grundsätzlich lobenswert. Es wird versucht, Verbrechen und Gewalt der Kolonialmacht zu verdeutlichen, bisweilen mit brutal-blutigen Bildern. Die Hauptfigur ist ein niederländischer Soldat, der nicht nur mit der Willkürherrschaft in der Kolonie hadert, sondern auch mit dem längst nicht überwundenen Erbe der direkt vorangegangenen deutschen Besatzung der Niederlande im Zweiten Weltkrieg.
Beiläufig und autodidaktisch lernt der Soldat Indonesisch sprechen. Wie lange er dafür braucht, wird nicht ganz klar, jedenfalls funktioniert die Verständigung mit der lokalen Bevölkerung erstaunlich schnell völlig reibungslos. Dass Niederländisch außerhalb der Kasernen und Kolonialvillen nicht allzu weit trägt, ist durchaus akkurat. Anders als in Suriname hat sich das Niederländische in Indonesien nicht auf Dauer in der Breite der Bevölkerung gefestigt und es wurde auch nicht durchgesetzt, sondern diente eher als Zugangsschranke für bestimmte Positionen in der Gesellschaft. Indonesisch wird in dem Film also durchaus des Öfteren gesprochen. Schon deshalb lohnt es sich, ihn in der Originalfassung zu sehen.
Was der Film dagegen nicht thematisiert, ist die vielfältige Mehrsprachigkeit Indonesiens. Wie realistisch wäre es gewesen, dass ein Soldat mit Indonesisch-Kenntnissen in den 1940er Jahren auf Java und später in der Handlung auch auf Celebes problemlos mit allen kommunizieren kann, obwohl dort andere Sprachen deutlich präsenter waren?
Sehr wohl thematisiert wird der tief verinnerlichte Rassismus und auch Sexismus der Soldaten in der Kolonialarmee. Einerseits muss man anerkennen, dass genau diese ideologischen Grundlagen des Kolonialismus offengelegt werden, andererseits kann man getrost sagen: Bisweilen suhlt sich der Film darin. Das entsprechende Vokabular der niederländischen Sprache ist entsprechend in voller Spannweite zu hören. Diese Dimension auszublenden wäre aber sicherlich keine empfehlenswerte Lösung gewesen.
Weniger zu hören und zu sehen ist dagegen die indonesische Bevölkerung selbst. Im Mittelpunkt stehen gutaussehende weiße blonde niederländische Soldaten. Die Kolonisierten selbst kommen stets nur am Rande vor – zutreffenderweise oft als Opfer der kolonialen Gewalt, aber eben praktisch nie als eigenständige Charaktere, die als Figuren eine größere Geschichte erzählen dürfen.
Dafür dass in den 1940er Jahren die Dialekte in den Niederlanden noch viel verbreiteter waren, treten auch die Soldaten sprachlich ziemlich homogen in Erscheinung. Die regionale Herkunft ist gelegentlich Gegenstand der Handlung, hörbar wird sie kaum. Dass das Militär mit kreuz und quer gemischten Angehörigen aus allen Regionen auch sprachlich uniformierter auftritt als der Durchschnitt in Stadt und Dorf, liegt allerdings auch auf der Hand.
Wer zwei Stunden mit einem wenig im Film behandelten Thema füllen möchte, das kinotauglich aufbereitet ist, kann sich de Oost einmal anschauen. Der Film dient im Zweifelsfall eher als Impuls, sich mit den historischen Hintergründen noch einmal näher auseinanderzusetzen. Ein nuanciertes Lehrstück über den Anfang vom Ende der niederländischen Kolonialherrschaft in Südostasien ist der Film eher nicht. Und schon gar nicht ist er ein leidenschaftlich antikoloniales Manifest – das möchte er erkennbar sein, aber in der Verarbeitung bleiben noch einige Reflexe übrig. Der nächste Film zum Thema muss vielleicht gänzlich in Indonesien gemacht werden und nicht nur, wie der niederländische Produzent betont, als Co-Produktion mit lokaler Beteiligung und Beratung.