Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

De Oost – the movie

Schon wieder zuhause bleiben, schon wieder Kontakte reduzieren? Die Routine kennen wir: Mediatheken und Streamingdienste sind noch lange nicht leer geschaut. Im letzten Jahr erschien ein niederländischer Film, der seit einigen Monaten auch in Deutschland im Angebot von Amazon Prime verfügbar ist (ja, ist ja richtig, Amazon…). Vorteil dabei, den wir im deutschen Linearfernsehen selten genießen: Originalsprache. Lohnt der Film, und was steckt sprachlich drin?
Der Film heißt De Oost und er handelt genau davon, nämlich vom Unabhängigkeitskrieg der Kolonie Niederländisch-Indien, heute Indonesien. Nun ist de Oost im Niederländischen als Bezeichnung für die ehemalige Kolonie ein etablierter Begriff im Unterschied zu het oosten für die Himmelsrichtung (dazu mehr in diesem Beitrag). Die Übersetzung des Titels im Online-Angebot von Amazon als The East ist deshalb etwas ungeschickt. In welcher Hinsicht hier vom ‚Osten‘ die Rede ist und warum das ein Gegenstück zu de West ist, dürfte sich vielen nicht auf Anhieb erschließen. Das internationale Publikum denkt vielleicht eher an Osteuropa, den Nahen Osten oder Ostasien, das deutsche womöglich gar an unseren ‚Osten‘.

Dass der niederländischen Kolonialgeschichte ein Film gewidmet wird, der nicht mit sanften Tönen die Handels- und Seefahrernation glorifiziert, ist natürlich grundsätzlich lobenswert. Es wird versucht, Verbrechen und Gewalt der Kolonialmacht zu verdeutlichen, bisweilen mit brutal-blutigen Bildern. Die Hauptfigur ist ein niederländischer Soldat, der nicht nur mit der Willkürherrschaft in der Kolonie hadert, sondern auch mit dem längst nicht überwundenen Erbe der direkt vorangegangenen deutschen Besatzung der Niederlande im Zweiten Weltkrieg.

Niederländische Truppen in Indonesien im Jahr 1947. (Collectie Tropenmuseum, CC-BY-SA-3.0)

Beiläufig und autodidaktisch lernt der Soldat Indonesisch sprechen. Wie lange er dafür braucht, wird nicht ganz klar, jedenfalls funktioniert die Verständigung mit der lokalen Bevölkerung erstaunlich schnell völlig reibungslos. Dass Niederländisch außerhalb der Kasernen und Kolonialvillen nicht allzu weit trägt, ist durchaus akkurat. Anders als in Suriname hat sich das Niederländische in Indonesien nicht auf Dauer in der Breite der Bevölkerung gefestigt und es wurde auch nicht durchgesetzt, sondern diente eher als Zugangsschranke für bestimmte Positionen in der Gesellschaft. Indonesisch wird in dem Film also durchaus des Öfteren gesprochen. Schon deshalb lohnt es sich, ihn in der Originalfassung zu sehen.
Was der Film dagegen nicht thematisiert, ist die vielfältige Mehrsprachigkeit Indonesiens. Wie realistisch wäre es gewesen, dass ein Soldat mit Indonesisch-Kenntnissen in den 1940er Jahren auf Java und später in der Handlung auch auf Celebes problemlos mit allen kommunizieren kann, obwohl dort andere Sprachen deutlich präsenter waren?

Sehr wohl thematisiert wird der tief verinnerlichte Rassismus und auch Sexismus der Soldaten in der Kolonialarmee. Einerseits muss man anerkennen, dass genau diese ideologischen Grundlagen des Kolonialismus offengelegt werden, andererseits kann man getrost sagen: Bisweilen suhlt sich der Film darin. Das entsprechende Vokabular der niederländischen Sprache ist entsprechend in voller Spannweite zu hören. Diese Dimension auszublenden wäre aber sicherlich keine empfehlenswerte Lösung gewesen.

Weniger zu hören und zu sehen ist dagegen die indonesische Bevölkerung selbst. Im Mittelpunkt stehen gutaussehende weiße blonde niederländische Soldaten. Die Kolonisierten selbst kommen stets nur am Rande vor – zutreffenderweise oft als Opfer der kolonialen Gewalt, aber eben praktisch nie als eigenständige Charaktere, die als Figuren eine größere Geschichte erzählen dürfen.

Dafür dass in den 1940er Jahren die Dialekte in den Niederlanden noch viel verbreiteter waren, treten auch die Soldaten sprachlich ziemlich homogen in Erscheinung. Die regionale Herkunft ist gelegentlich Gegenstand der Handlung, hörbar wird sie kaum. Dass das Militär mit kreuz und quer gemischten Angehörigen aus allen Regionen auch sprachlich uniformierter auftritt als der Durchschnitt in Stadt und Dorf, liegt allerdings auch auf der Hand.

Wer zwei Stunden mit einem wenig im Film behandelten Thema füllen möchte, das kinotauglich aufbereitet ist, kann sich de Oost einmal anschauen. Der Film dient im Zweifelsfall eher als Impuls, sich mit den historischen Hintergründen noch einmal näher auseinanderzusetzen. Ein nuanciertes Lehrstück über den Anfang vom Ende der niederländischen Kolonialherrschaft in Südostasien ist der Film eher nicht. Und schon gar nicht ist er ein leidenschaftlich antikoloniales Manifest – das möchte er erkennbar sein, aber in der Verarbeitung bleiben noch einige Reflexe übrig. Der nächste Film zum Thema muss vielleicht gänzlich in Indonesien gemacht werden und nicht nur, wie der niederländische Produzent betont, als Co-Produktion mit lokaler Beteiligung und Beratung.

Impf dich! Ga je boosteren!

Die vierte Corona-Welle hat Deutschland und die Niederlande fest im Griff. Gerade Deutschland hat ein dramatisches Problem mit viel zu niedrigen Impfquoten. Das liegt unter anderem daran, dass der Staat zu wenig Impulse gesetzt hat. An informellen Aufrufen zum Impfen fehlt es dabei nicht, man findet sie zum Beispiel in sozialen Netzwerken – auf Deutsch, aber natürlich auch auf Niederländisch.

Dabei ist ein wundersamer Vorgang geschehen: Die Verben impfen und vaccineren haben neue Kräfte entwickelt. Zunächst ist vaccineren auch intransitiv geworden, darauf wies Marc van Oostendorp schon vor einigen Monaten hin: ik vaccineer kann ‚ich impfe‘ oder ‚ich lasse mich impfen‘ bedeuten. Auf Deutsch funktioniert das nach meiner Wahrnehmung bisher noch nicht: Ich impfe oder Komm, wir impfen! würde ich eher nicht so interpretieren, dass die Sprechenden auch die Injektion empfangen.

Was aber in beiden Sprachen geht, Marc van Oostendorp schneidet es für das Niederländische am Rande an: Die Verben sind reflexiv geworden. Impft euch! oder Ga je vaccineren! findet man allerorten. Auch die Gegenseite greift zur reflexiven Form:

„Vaccinons-nous!“ – „Impfen wir uns!“ ruft dieses Plakat in Toulouse auf. (Foto: PK)

Woher kommt es, dass das Verb neuerdings reflexiv ist? Eine Hypothese: Es hängt von der ‚Impfgewalt‘ ab, wie es Kollegin Theresa Heyd kürzlich so elegant ausdrückte. Natürlich ist es selten, dass wir uns selbst die Injektion geben, das überlassen wir lieber Fachkundigen. Aber die Entscheidung liegt bei uns, wir bestimmen den Zeitpunkt, müssen dazu selbst zur Praxis oder ins Impfzentrum fahren, dort wird ein Vorgang an unserem eigenen Körper ausgeführt. Ähnlich funktioniert es beim Friseurbesuch: Oft sagen wir Hast du dir die Haare geschnitten? – ohne dabei notwendigerweise zu unterstellen, dass die angesprochen Person selbst zur Schere gegriffen hat. Wollen wir das explizit machen, würden wir eher Hast du dir die Haare selbst geschnitten? sagen. Ebenso ist auf Niederländisch zich knippen möglich, auf Norwegisch ist å klippe seg überhaupt die gängigste Bezeichnung für einen Haarschnitt.

Dass impfen reflexiv geworden ist, mag auch damit zusammenhängen, dass es so viele Debatten um Impf(un)willen gab, die Entscheidung dafür oder dagegen also mit viel Überlegung über das Selbst und das eigene Wohlergehen getroffen wird. Diese Reflexivität funktioniert auch in weiteren Sprachen, etwa auf Französisch beim Aufruf vaccinez-vous!

Neben der Reflexivität finden wir auch transitive Formen gerade bei Fällen, in denen die ‚Impfgewalt‘ über andere ausgeübt wird, etwa wenn Eltern darüber entscheiden, ob ihre Kinder geimpft werden: Ik vaccineer mijn kinderen oder Ich impfe mein Kind auf keinen Fall! Auch hier wird in aller Regel auf qualifizierte Hilfe zurückgegriffen oder verzichtet.

Anders als im Deutschen finden wir im Niederländischen einen noch größeren Formenreichtum für das Impfen. Das ist erstens durch die Variation des Pronomens bedingt, so ist zum Beispiel im südlichen Sprachraum die Form vaccineer u! auffindbar.

Im Norden natürlich kommt das natürlich durchaus auch vor, es hängt wie immer von den Verwendungsunterschieden von u ab. Zweitens kennt das Niederländische neben vaccineren noch das Verb inenten. Die Aufforderung ent je in! lässt sich interessanterweise kaum auffinden. Womöglich liegt das daran, dass man ein ohnehin nicht allzu geläufiges Verb syntaktisch trennt und damit eine ziemlich ungewöhnliche Form entstehen würde. Was aber hin und wieder vorkommt, ist die Form ga je inenten! – gefunden etwa hier in einem Beispiel aus Suriname, wo Periphrasen mit gaan ja sowieso sehr produktiv sind. Das deutsche Pendant geht euch impfen! ist selbstverständlich auch tausendfach vorhanden. Logisch, die Wenigsten impfen sich zuhause, das macht den Übergang zu gehen-Konstruktionen leicht. Und siehe da, mit der Unterstützung des zusätzlichen Verbs kann nun auch das Deutsche intransitiv und ohne reflexive Form impfen: Geht impfen! liest man allerorten.

Wer sich schon zweimal geimpft hat, steht bald vor der dritten Spritze: Boostern ist angesagt. Auf Deutsch finden wir parallel noch boosten, aber das scheint die seltenere Form zu werden. Der Entstehungsweg von engl. to boost über das Substantiv b/Booster und zurück zu einem Verb boostern ist offenbar stärker, als innerhalb des Verbbestandes direkt von to boost zu boosten zu gehen. Dass das durchaus möglich ist, sieht man daran, dass diese Form in vielen Kontexten abseits der Corona-Impfung durchaus vorkommt. Was passiert auf Niederländisch? Noch erstaunlich wenig: Im Zusammenhang mit Corona findet man boosteren nicht übermäßig oft, im NRC steht es beispielsweise noch in Anführungszeichen und ist damit als ungewöhnlich markiert. Das Substantiv booster dagegen ist absolut geläufig – ähnlich wie wohl auch im Deutschen diese Substantivform prägend war, bevor das Verb neu daraus abgeleitet wurde.

Beide Sprachen sind sich inzwischen also zwar einig, dass man sich impfen kann, ohne sich selbst zu impfen. Aber ob nun ich impfe oder wij boosteren: An einigen Stellen sind die Abwehrkräfte im Verbsystem recht hartnäckig.

Misogynoir

Die niederländische Politik ist momentan, das kann man nicht anders sagen: een puinhoop. Anfang des Jahres trat die Regierung von Mark Rutte wegen der sogenannten toeslagenaffaire zurück. Rutte blieb aber geschäftsführend im Amt und trat sogar bei der Parlamentswahl im vergangenen März wieder an. Noch immer hält er an dem Posten fest, obwohl seine kleinen und großen Verfehlungen im politischen Betrieb sich fast täglich weiter ansammeln.

Im neu gewählten Parlament nagen an Ruttes Autorität die Zweifel seiner bisherigen politischen Verbündeten und die Kritik der neu gewählten Abgeordneten. In den Debatten zeigt sich immer wieder: Rutte hat ein Problem mit kritischen Nachfragen, vor allem wenn sie von rhetorisch gewandten Frauen kommen.

Sylvana Simons (Myrthe Minnaert, CC-BY-SA 3.0)

Zu denen gehört auch Sylvana Simons, die schon länger politisch aktiv ist, nun aber erstmals einen Sitz in der Tweede Kamer erlangt hat. Ihr warf Rutte in einer Parlamentsdebatte vor, sie sei immer so leicht reizbar. Eine Bemerkung, die ganz klar Stereotype bedient, nämlich die lange gepflegte Darstellung von Frauen und auch Schwarzen – und erst recht von Schwarzen Frauen – als emotional, irrational oder hysterisch. Simons kritisierte Rutte dafür scharf und warf ihm unter anderem vor, misogynoir zu sein. Sie erklärte den Begriff nicht weiter, auch wenn er im Niederländischen dem breiteren Publikum wahrscheinlich noch nicht allzu geläufig sein dürfte.

Bezeichnet werden damit Haltungen, bei denen speziell Schwarzen Frauen feindlich begegnet wird. Er kommt eigentlich aus der anglophonen kritischen Wissenschaft und hat ein paar interessante Eigenschaften. Das Wort wurde gebildet aus misogyn für ‚frauenfeindlich‘ und noir für ‚Schwarz‘. Damit hat das Niederländische einen Begriff mit griechisch-französischer Zusammensetzung aus dem Englischen übernommen. Aber warum Französisch?

In der Struktur ist es ein klassisches Kofferwort: Bestimmte Teile, hier das N, werden sozusagen doppelt genutzt, damit sich die verkoppelten Teile an dieser Stelle überschneiden. Das N ist durch den Schlusslaut von misogyn vorgegeben und für diese Wortbildungsform nötig. Im Englischen, Deutschen und auch Niederländischen sind aber ausgerechnet die N-Wörter diejenigen, die stark rassistisch konnotiert sind. Sie fallen als Möglichkeit also weg. Noir ist dagegen durchaus verwendbar. Hier sind die sogenannten Dubletten des Französischen nützlich: Es haben sich Formen aus dem Lateinischen lautlich entwickelt, so wurde aus nigrum also noir – oft wurden dann aber später lateinische Wörter noch einmal neu entlehnt und stehen in konservativerer Lautform mit anderer Bedeutung daneben. Dies ist der Fall bei all den rassistisch konnotierten N-Wörtern. Im Unterschied zum Französischen beginnen in den germanischen Sprachen parallel dazu mit Zwart, Black oder Schwarz die nicht-rassistischen Alternative nicht auf N. Zudem sind die Anfangslaute und -buchstaben jeweils unterschiedlich, was eine sprachübergreifend einheitliche Terminologie zusätzlich erschwert. (Wobei selbstverständlich eine komplette Entlehnung etwa aus dem Englischen unkompliziert wäre, wie es ja oft getan wird.)

Mit seinem Hintergrund als Historiker dürfte Rutte genug klassische Bildung haben, um den Begriff trotz der komplexen Entlehnungsgeschichte zu entschlüsseln. Ob er wirklich versteht, was ihm vorgeworfen wird und warum, ist eine andere Frage.

Eine gute Nachricht für deutsche Voskuil-Fans!

Ein Buch muß dick sein, ein Buch muß detailreich
sein, ein Buch muß „langweilig“ sein für diejenigen,
die nicht meine eigentlichen Leser sind. Wenn man
Leser abschrecken kann, muß man es tun.
J. J. Voskuil

Im Vergleich zu Voskuils Opus magnum „Das Büro“ ist „Die Mutter von Nicolien“ eher ein bescheidenes Werk. Aber…

Han Voskuil (Foto Gert Busse, 2001, GFDL & CC-BY-SA)

Leser:innen von „Das Büro“ kennen Maarten, Nicolien únd auch Nicoliens Mutter. Letztere wird älter und älter, versteht die Welt mal halb, mal gar nicht mehr. Maarten (der sich immer noch im Büro an der niederländischen Landeskunde abarbeitet) und seine Frau Nicolien begleiten den langsamen Abschied der (Schwieger-)Mutter: eine berührende Geschichte, wie auch der Perlentaucher feststellt.

Sie finden die Werke auch in unserer Philologischen Bibliothek!
DANK an den Übersetzer Gerd Busse!

Ach ja: Wundern Sie sich nicht über die im Deutschen ungewohnte Anrede, die im Buch verwendet wird!
In Deutschland beruht die Anrede grundsätzlich auf Gegenseitigkeit: man duzt oder man siezt sich. Im Niederländischen wird (wurde) mit Siezen (vousvoyeren) und Duzen (tutoyeren) Autorität ausgedrückt: man siezt Gott, die ältere Generation (Eltern, Großeltern, Tanten, Onkel), die Autorität, den Chef bzw. die Chefin.
(Wir hatten mal einen niederländischen Professor, der unsere niederländischen Sekretärin duzte – sie dagegen siezte ihn! … aber sie hat ihn dann ob der deutschen Gepflogenheiten aufgeklärt!)

Die mehrsprachigen Straßen Windhoeks

von: Henning Radke

Hauptsache Puccini. (Foto: HR)

Für Freunde sprachlicher Landschaften (engl. linguistic landscapes) ist Windhoek ein Paradies. Allen voran die Straßennamen, die einem abwechselnd auf Afrikaans, Deutsch oder Englisch begegnen. Ein Beispiel hierfür ist der Windhoeker Stadtteil Hochlandpark, den man vom Sam Nujoma Drive kommend über die Edelvalkstraat erreicht. Diese wiederum mündet in die Tchagra Street, die links zum Papageienweg und rechts zum Eulenweg führt. Dort angekommen befindet sich die English Primary School mit dem nicht ganz so englisch klingenden Namen Emma Hoogenhout.

Vor einem Parkplatz im Zentrum Windhoeks: keine Ausfahrt. (Foto: HR)

Doch damit nicht genug, denn einige Straßennamen kommen in gleich zwei sprachlichen Varianten vor: So gibt es sowohl ein Schild mit der Aufschrift Puccinistrasse (mit Doppel-S) als auch eines mit Puccini Street – beide stehen sich übrigens direkt gegenüber und weisen in dieselbe Richtung. Ähnlich mehrsprachig ausgeschildert ist die Jordan Street, pardon: Jordanstraat. Und so fährt man in Windhoek durch Strassen, strate und streets, wenn man sich nicht gerade auf einer Avenue oder einem Drive befindet.

AA oder EE? Variierende Doppelvokale, variierende Sprachwahl. (Foto: HR)
Einfahrt zur Edelvalkstraat im Windhoeker Stadtteil Hochlandpark. (Foto: HR)

Eine Regel, wann welche Straße wie benannt wurde, scheint sich auf den ersten Blick nicht zu erschließen und doch gibt es Tendenzen: Ältere und kleinere Straßen sind überwiegend auf Afrikaans und Deutsch zu finden. Neuere und vor allem größere Straßen werden auf Englisch beschildert. Offizielle Beschilderungen in indigenen Sprachen gibt es jedoch nicht und so sind die Straßenbeschilderungen auch immer Ausdruck namibischer (Sprach-)Politik. Der Windhoeker Stadtrat führt in regelmäßigen Abständen Umbenennungen durch, bei denen Straßen vorzugsweise nach Persönlichkeiten benannt werden, die für das unabhängige Namibia bedeutend sind. Verwirrung liefert die multilinguale Straßenbeschilderung Windhoeks übrigens eher selten: Die meisten Windhoeker sind ohnehin mehrsprachig und orientieren sich zudem oft gar nicht an Straßennamen. Sagen Sie ihrem Taxifahrer also nicht, dass Sie zur XY-strasse/straat/street wollen, sondern benennen Sie den nächstgelegenen Supermarkt oder die nächstgelegene Schule. Er wird Sie sicher und schnell zu Ihrem Ziel führen.

Geen kattebelletje … maar een kattenbelletje!

Na tig (zig) dienstjaren sla ik er nog altijd even de Dikke op na als het om de tussen-n gaat.

Een kattebelletje is een korte, vluchtige mededeling. Een kattenbelletje ist de bel (die Schelle) die men een kat (of een poes) omhangt.
Vergelijk: koninginnedag (het gaat om een uniek verschijnsel) en koninginnensoep (gebundene Hühnersuppe) of apetrots (stolz wie Oskar – Oskar is geen aap) en apenrots (Affenfelsen). Niet te vergeten: een kattegat is moeilijk, gevaarlijk vaarwater, een kattengat zou een gat voor de kat (in de heg) kunnen zijn of de kat z’n gat (anus).

‚De kat de bel aanbinden‘: detail van Nederlandse Spreekwoorden, Pieter Bruegel de Oude (PD)

De kat de bel aanbinden (der Katze die Schelle umhängen) is een uitdrukking die we te danken hebben aan een fabel van Aesopus (Äsop) In een vergadering van muizen wordt voorgesteld de kat een bel aan te binden – een kattenbelletje dus – opdat hij/zij gehoord wordt als zij/hij op jacht gaat.

Ook in het Engels hebben we die uitdrukking: bell the cat! En nu ben ik waar ik zijn wil: Bellingcat!

is een onafhankelijk journalistiek onderzoeksnetwerk dat ongelooflijk werk verricht. In de Arte-mediatheek is nog tot 17 maart de documentaire Bellingcat – Truth in a Post-Truth World van de Nederlander Hans Pool te zien.

Hebt u geen andere katten te geselen (anderes am Hals haben), dan neem eens een kijkje! Meer weten over de tussen-n: hier!

Wer spricht da?

Wer eine Sprache lernen möchte, hat es nicht leicht: Grammatik, Vokabeln, Aussprache, und an alles soll man gleichzeitig denken. Zum Glück lässt sich vieles nachschlagen, doch wer hilft bei der Aussprache, wenn ich bei einem Wort oder Ausdruck unsicher bin? Im Van Dale ist beispielsweise die Betonung markiert, eine phonetische Transkription ist selbst beim Bezahl-Abo nicht dabei. Klar, man kann zum Beispiel Lehrkräfte oder Bekannte fragen, wenn sie verfügbar sind. Inzwischen wächst aber auch das Angebot an Nachschlagewerken mit Tonbeispielen im Internet.

Bei der kostenlosen Webseite von PONS gibt es eine Transkription – dazu muss man natürlich einigermaßen IPA lesen können – und auch die Möglichkeit, Beispiele anzuhören. Die werden als automatische Sprachausgabe erzeugt. Manchmal klingt das hölzern, gelegentlich geht es auch schief. Bei iems rijbewijs intrekken wird etwa ‚iems‘ nicht als Abkürzung von iemands erkannt und vervollständigt, sondern einfach vorgelesen als sei es ein Wort. Zudem ist die Sprachausgabe auf niederländisches Niederländisch trainiert. Aussprachevarianten sind nicht verfügbar, und gerade die sind oft interessant, nicht nur zum Lernen, sondern auch für die Forschung.

Dafür gibt es zwei andere Ressourcen, die immer beliebter werden, nämlich forvo und YouGlish. Die zwei Webseiten arbeiten mit verschiedenen Methoden. Testen wir einmal den Unterschied zwischen nördlichem und südlichem Niederländisch anhand von drei Wörtern:

uitgeverij (Verlag)

aangifte (Anzeige, Steuererklärung)

rijbewijs (Führerschein)

Die sind einigermaßen zufällig gewählt, aber wir können an ihnen gut die Unterscheidung von harde und zachte g und den Umgang mit dem Diphthong bei ij erkennen.

Rijbewijs, Belgien. (PD-Belgium)

Forvo arbeitet mit gezielt aufgezeichneten Audioaufnahmen von Freiwilligen. Damit ein Wort zu hören ist, muss sich also jemand die Zeit genommen und es eingesprochen haben. Das haben schon sehr viele Menschen für sehr viele Wörter gemacht, aber ob eine belgische oder niederländische Variante vorhanden ist, ist ein bisschen Glückssache. Bei uitgeverij gibt es nur eine Audiodatei aus den Niederlanden, dafür hat sich jemand die Mühe gemacht, auch die Namen zahlreicher Verlage einzusprechen. Für aangifte gibt es jeweils eine Aufnahme für beide Varietäten. Bei rijbewijs sind nur zwei Tonbeispiele vorhanden, die laut Markierung aus den Niederlanden kommen. Eine davon ist erkennbar südlich, denn der Diphthong ist recht geschlossen, das [w] bilabial. Dass das Herkunftsland der Aufnahme genannt ist, überdeckt also ein wenig die Dialektgliederung, die schließlich nicht mit der Landesgrenze übereinstimmt. Woher die Aufnahmen stammen, ist dafür zusätzlich mit Pins in einer Karte genauer dargestellt. Allerdings kann man nur wenig hineinzoomen und Flandern und die Niederlande sind nun einmal leider ein eher kompaktes Gebiet. Das erschwert die exakte Bestimmung und mag im Zusammenspiel mit der Länderzuordnung verwirren, wenn man die Variationsräume nicht so gut kennt. Es ist aber zumindest ein Versuch, Variation im Raum einigermaßen abzubilden.

Ein bedeutender Nachteil von forvo liegt darin, dass die Audioqualität oft nicht besonders gut ist. Viele Aufnahmen sind mit Alltagstechnik erstellt, man kann also logischerweise keine Studioqualität erwarten. Dafür kann man sich die Wörter aber einzeln anhören, ohne dass man lange danach suchen muss oder sie im Redefluss verwaschen werden – zur Not auch zehnmal direkt hintereinander.

Die Webseite YouGlish ist etwas raffinierter und komplexer. Wählt man Niederländisch aus, kann man zwischen Niederlande und Belgien hin- und herschalten, also gezielt eine der beiden Varianten ansteuern. Feiner als eine Zweiteilung der Länder lässt sich die Aussprachevariation aber nicht erkennen. Die Seite ruft dann Youtube-Videos ab und springt direkt zur passenden Stelle, an der jemand das gesuchte Wort äußert. Man bekommt also ein realistisches, manchmal auch in halbwegs natürlichem Kontext entstandenes Beispiel und kann der Reihe nach durchblättern, wenn für das Schlagwort mehrere Videos gefunden wurden.

Rijbewijs, Niederlande. (Brinkie, PD)

Wie bei forvo sind auf YouGlish die Treffer für die Niederlande deutlich zahlreicher, für Belgien gibt es höchstens sporadisch welche. Allzu sehr sollte man sich auf die Aufteilung sowieso nicht verlassen. Wählt man die Niederlande aus, bekommt man trotzdem häufig Videos zu sehen, die erkennbar aus Belgien stammen. Für aangifte erscheint etwa als erstes ein Clip mit dem Logo der Universiteit van Vlaanderen. Klickt man weiter durch, hört man bald darauf eine belgische Immobilienmaklerin, die das zachte g ganz und gar flämisch als [h] realisiert.

Gleich danach spricht plötzlich die ehemalige Bischöfin Margot Käßmann auf Deutsch über Verlagspublikationen, beim Beispiel rijbewijs erklingt amerikanisches Englisch. Offenbar spielen die Metadaten der Seite nicht nur bei der Länderzuordnung einen Streich, denn manche Videos sind insgesamt in der falschen Sprache, werden aber aufgrund von niederländischen Untertiteln abgerufen. Die sind eigentlich der Trumpf der Webseite, denn daraus wird die passende Textstelle erkannt und man kann gleich mitlesen. Ein wichtiger Vorteil, um den Kontext erfassen zu können – sofern die Sprache stimmt.

Beide Angebote haben also ihre Eigenheiten, mit denen man sich arrangieren muss, aber in Kombination kommt man mit beiden schon recht weit. Für das Englische sind die zwei Ressourcen logischerweise schon viel reichhaltiger und zuverlässiger. Surinamisches Niederländisch sucht man auf beiden Webseiten vergeblich. Aber was die beiden Projekte auf die Beine stellen ist dank der Freiwilligen oder der zufällig auf Youtube Belauschten durchaus beeindruckend – gerade wenn man berücksichtigt, dass selbst eine große uitgeverij wie Van Dale nichts Vergleichbares zu bieten hat.

Wann gibt es endlich ein vakcijn?

Der Sprachpurismus hatte es schwer in letzter Zeit. Mit Corona wurden unzählige Anglizismen angespült, vom Lockdown bis zum Superspreader. Einige davon machten Karriere als Wörter des Jahres, andere als Unwörter, sei es im Deutschen, im Niederländischen oder in anderen Sprachen.

Seit Ende 2020 naht aber Hoffnung. Als wäre es ein Zeichen, scheint nicht nur die Entlehnung sondern auch die Pandemie gebremst zu werden durch die Impfung. Wer die deutsche Sprache liebt, begeistert sich über Konsonantenhaufen wie in Impfpflicht. Aber der Sprachpurismus wäre nicht er selbst, würde er nicht auch hier den Fremdkörper identifizieren und anprangern: das Vakzin.

Vaccin. (US Secretary of Defense, CC-BY-SA 2.0)

Viele stören sich daran, finden es affektiert und fragen, warum man nicht einfach Impfstoff sagen könne, wie alle vernünftigen Menschen. Ob es nun englisch, französisch, lateinisch ist – jedenfalls ist das Vakzin offenbar vor allem eins: fremd. Und überhaupt, daneben gibt es auch noch die feminine Variante die Vakzine. Kann man sich da nicht wenigstens entscheiden? Nun, vernünftig ist dann auch das Niederländische nicht, denn dort gibt es neben der inenting und dem entstof auch die vaccinatie mit dem vaccin.

Siehe da, man hat sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, die Schreibweise an die niederländische Orthographie anzugleichen, während wir im Deutschen mit dem K und dem Z doch recht germanisch tun. Und der Impfstoff ist anscheinend auch immun gegen den Lautwandel des Niederländischen.

Schauen wir ähnlich aufgebaute Wörter an, etwa medicijn oder kapucijn. Ein C hat man den Wörtern noch belassen, damit die romanische Herkunft nicht völlig verschwindet, ansonsten hat man sie aber konsequent nederlandisiert, auch mit dem K am Anfang. Zudem können wir in der letzten Silbe einen Diphthong erkennen, wo die ursprünglich französische Form -cine oder -cin hatte, das Lateiniche -cina bzw. -cinus. Mit dem niederländischen IJ in der betonten Silbe hat man sich zugleich beim kapucijn eine artikulatorische Zumutung erspart, nämlich die französische Nasalierung.

Beim vaccin dagegen nichts von alledem. Nicht nur bleibt man in der Schreibweise bei einem doppelten C, was im Niederländischen äußerst selten vorkommt, sondern es bleibt in der Aussprache sogar der Nasalvokal erhalten. Woran liegt das? Die Erklärung ist vermutlich relativ simpel: Impfungen sind in der bekannten Form einfach zu neu. Das Wort vaccin ist im Niederländischen erst ab dem 19. Jahrhundert belegt, die anderen beiden Wörter dagegen einige Jahrhunderte früher. Sie hatten schlichtweg mehr Zeit zur Anpassung. Bis von einem vaccijn oder gar einem vakcijn die Rede sein wird, dürfte es noch eine Weile dauern. Das sehr ähnlich aufgebaute, altehrwürdige Wort accijns (Verbrauchssteuer) hat den Wandel zum ij schon lange hinter sich, aber es ist zu sehr ein Nischenbegriff um als Vorbild für eine Analogie zu taugen und es hat zudem eine etwas andere, komplizierte Lautgeschichte.

Wenn man beim vaccin genau hinhört – und das Wort wird ja momentan oft genug ausgesprochen – ist der Nasalvokal bisweilen schon spürbar geschwächt. Manchmal ist es ziemlich mühsam, mit dem Ohr genau wahrzunehmen, ob nicht doch bereits ein ij zu hören sein könnte. Liegt es nur daran, dass ich es so gerne heraushören möchte? Je länger die Debatte über die Lieferschwierigkeiten in Europa andauert, desto besser stehen jedenfalls die Chancen für den Sprachwandel.

Das deutsche Vakzin hat sich im Vergleich dazu schon längst seinem neuen Wirt angepasst, ohne ihm zu schaden. Die einzige Nebenwirkung: Ein paar Nörgeleien aus der sprachpuristischen Ecke.

Vom Shitstorm zum „Pogrom“?

Englische Lehnwörter erregen seit vielen Jahrzehnten Aufregung, in der deutschen Sprachgemeinschaft vielleicht noch etwas mehr als in der niederländischen. Über ein russisches Lehnwort regt sich kaum jemand auf – bis jetzt. Nicht etwa, weil das Russische plötzlich unsere Sprachen mit Fremdausdrücken überfluten würde, wie es dem Englischen gerne vorgeworfen wird. Verglichen mit Anglizismen sind Russizismen bislang echte Raritäten. So rar, dass der Begriff Russizismus selbst schon ungewohnt klingt.

Ein Wort aus dem Russischen ist jedoch fest etabliert, auf Deutsch wie auf Niederländisch, nämlich das Wort Pogrom. Bislang war es in seiner Bedeutung und Verwendung klar begrenzt auf Taten von höchster Gewalt mit einer fanatischen Vernichtungsabsicht. Im Niederländischen scheint sich das nun ein wenig zu ändern:

Ton den Boon, Chefredakteur des Van Dale trägt einige neue Verwendungsweisen zusammen, und zwar in der Regel als Komposita. Belegt ist etwa das twitterpogrom oder auch das toetsenbordpogrom. Gemeint ist damit das, was bisher als Shitstorm bekannt war: Eine überwältigende Welle an Widerspruch, oft durchsetzt mit Beleidigungen oder Drohungen, die auf kontroverse Äußerungen in sozialen Medien folgt.

Den Boon beschreibt das Phänomen zunächst ganz nüchtern als Bedeutungsausdehnung des Wortes, das nun auch im übertragenen Sinne verwendet wird. Im Deutschen wäre eine solche Nüchternheit gerade bei diesem Begriff selbstverständlich nicht denkbar. Das zeigte sich vor wenigen Wochen, als der Comedian Dieter Nuhr behauptete, der Shitstorm in sozialen Medien sei die „humane Variante des Pogroms“. Damit löste er wiederum einen berechtigten Shitstorm aus, denn die Verharmlosung von Massenmord und Genozid kann in der öffentlichen Debatte in Deutschland nicht unwidersprochen stehenbleiben.

Eine Tastatur, aber ganz sicher keine Massenvernichtungswaffe. (TodayTesting, CC-BY-SA 4.0)

Interessant ist, dass der Begriff derart parallel in beiden Sprachen exakt zum gleichen Zeitpunkt in den Diskus über das Verhalten in sozialen Medien einfließt – und mit welchen Hintergründen. Es ist kein Zufall, dass Dieter Nuhr seit einiger Zeit vor allem aus dem rechten Lager viel Zustimmung erfährt für seine Ansicht, die Meinungsfreiheit sei durch so etwas wie ‚Gesinnungskontrolle‘ eingeschränkt. Er ist in Deutschland sicher einer der prominensten Vertreter derjenigen, die sich von cancel culture gegängelt fühlen. Dem rechten Diskurs die Gelegenheit zu bieten, einen mit der historischen Verantwortung derart klar verknüpften Begriff wie Pogrom für Relativierungen zugänglich zu machen, wird dankbar aufgegriffen von all jenen, die sich gegen ‚Sprechverbote‘ wehren möchten. Eines der wichtigsten Mittel dabei ist es, sich selbst als Opfer darstellen zu können – mit der Darstellung, man sei Ziel eines Pogroms, und sei es nur im übertragenen Sinne, erzielt man dabei einen besonders drastischen Effekt. Dass so zugleich auch noch ein Anglizismus ersetzt werden kann (durch ein anderes Lehnwort, was soll’s), ist dabei wohl ein willkommener Nebeneffekt.

Der Begriff toetsenbordpogrom fiel in den Niederlanden im Zusammenhang mit einem Aktivisten, der sich gegen Corona-Schutzmaßnahmen wendet und diese allumfassend als unzulässige Einschränkung seiner Freiheiten bekämpft. Die Überschneidung solcher Haltungen mit dem Milieu, das sich auch sprachlich oder moralisch in den Freiheiten beschnitten sieht, ist unübersehbar und in Deutschland ebenfalls bekannt.

In den Niederlanden scheint man sich an der verharmlosenden Begriffsverwendung an sich bisher nicht allzu sehr zu stören. Der historische Kontext ist ganz bestimmt ein wichtiger Unterschied – schließlich ging weder von den Niederlanden noch von Flandern das grausamste Pogrom der Menschheitsgeschichte aus. Möglicherweise ist die auffällige Entspanntheit gegenüber dieser Verwendungsweise von pogrom aber auch der Tatsache geschuldet, dass in den Niederlanden der Gewöhnungseffekt an rechte Diskurse schon weiter fortgeschritten ist als in Deutschland.

Neue Farben, neue Fragen in Suriname

Lange Zeit war Suriname von Violett dominiert: Die Nationale Democratische Partij des langjährigen Präsidenten Desi Bouterse nutzt diese Farbe als Markenzeichen. Mit den Wahlen im vergangenen Mai änderte sich das. Die bisherige Opposition gewann die Mehrheit und bildete eine Koalition, die von der Vooruitstrevende Hervormingspartij (orange) und der Algemene Bevrijdings- en Ontwikkelingspartij (gelb) getragen wird. Es gelang tatsächlich ein Machtwechsel, neuer Präsident ist Chan Santokhi. Was das letztendlich für die Verfahren gegen Desi Bouterse wegen dessen Verantwortung für die Dezembermorde bedeutet, muss sich noch zeigen.

Santokhis Partei ist aus sprachlicher Sicht deshalb interessant, weil sie ursprünglich vor allem die Vertretung der hindustanischen Community im Land war und zunächst entsprechend den Namen Verenigde Hindostaanse Partij trug. Den expliziten Verweis auf die ethnische Verwurzelung legte man in den 1960er Jahren ab. Er blieb in der Benennung aber implizit erhalten, indem man zu einer Kombination aus Sarnami Hindi und Englisch griff: Vatan Hitkari Party, übersetzt: Partei zur Förderung des nationalen Wohlstands. In den 1970er Jahren kehrte man zurück zum Niederländischen mit dem heutigen Namen. Geschickt wählte die Partei stets ihre Bezeichnungen so, dass das Kürzel VHP erhalten blieb.

Chan Santokhi (Nationaal Informatie Instituut, CC-BY-3.0)

Santokhi selbst heißt übrigens mit vollem Vornamen Chandrikapersad, tritt aber in der Öffentlichkeit zumeist mit dem Kurznamen in Erscheinung. Sein Nachname wird [sanˈtɔki] ausgesprochen, mit stimmlosem S am Anfang und einem K in der Mitte. Der Digraph <kh> steht also nicht für [x], anders als man es vielleicht aus englischen Schreibungen wie in Kazakhstan kennt.

Die neue Regierung steht nun vor der gewaltigen Herausforderung, die Corona-Pandemie im Land einzudämmen, die sich sei Juli dramatisch entwickelt. Zum dritten Mal in Folge gilt an diesem Wochenende von Freitagabend bis Sonntagfrüh ein vollständiger Lockdown mit Ausgangssperre. Die Maßnahme wurde kürzlich in einer Pressekonferenz angekündigt; sie soll die Virusübertragung vor allem im privaten Bereich bremsen. Die Entscheidung wurde dreisprachig verkündet: auf Niederländisch, dazu ein Gebärdensprachendolmetscher im Fernsehen und zuletzt eine Zusammenfassung auf Sranan. Die Zusammenfassung ist selbst (soweit in der TV-Übertragung zu sehen) ebenfalls stark mit niederländischen Lehnwörtern durchsetzt. Tages- und Monatsbezeichnungen, Zahlen, aber auch Verben wie plaatsvinden, Präpositionen wie tussen oder Substantive wie toestemming kommen innerhalb weniger Sätze vor. Das ist nicht weiter überraschend, denn es entspricht den sprachlichen Gewohnheiten und tritt erst recht in Kontexten mit administrativen Gesprächsthemen auf, da das Niederländische schließlich die Sprache der Behörden ist. Trotzdem stellt sich die Frage: Wenn Sranan zusätzlich angeboten wird, vermutlich für das Publikum, das kein oder wenig Niederländisch beherrscht, wie viel Entlehnung ist dann möglich? Selbstverständlich sind zahlreiche niederländische Wörter und Begriffe so sehr ins Sranan eingegangen, dass sie auch von Menschen benutzt und verstanden werden, die eigentlich keine umfassenden Sprachkenntnisse des Niederländischen haben. Ähnlich kennen wir es im Deutschen mit zahllosen Anglizismen, die im Sprachgebrauch von Personen vorkommen, die nie Englisch gelernt haben.

Hindu-Tempel in Suriname (PK)

Welche Rolle die Sprachen des Landes mit der neuen Regierung künftig spielen, wird spannend zu beobachten sein. Wie entwickelt sich die Debatte um eine mögliche Anerkennung des Sranan als nationale Lingua Franca, und ändert sich womöglich auch etwas am Sprachgebrauch in der politischen Kommunikation? Lässt die Regierung den anderen Sprachen des Landes mehr Unterstützung zukommen, etwa auch den kleinen indigenen Sprachgruppen? Der Koalitionspartner ABOP ist seinerseits stark bei den Maroon-Gemeinschaften stark verwurzelt, in denen weitere Kreolsprachen gesprochen werden. Und sie arbeitet zusammen mit der kleineren Partei Pertjajah Luhur, die sich als Vertretung der javanischen Community sieht (dt. ‚voll Vertrauen‘). Nicht zuletzt könnte natürlich auch die VHP dem Sarnami Hindi zu mehr Reputation verhelfen – während sie allerdings momentan darauf achtet, nicht zu sehr als monoethnische Interessenspartei wahrgenommen zu werden.
Zumindest einen wichtigen symbolischen Schritt ging der neue Präsident jedenfalls, der im Zusammenspiel von Sprache, Religion und kultureller Zugehörigkeit viel Bedeutung hat: Den Amtseid sprach er auf Niederländisch mit Veden in Sankrit.