Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Vokale im Joghurt

In Luxemburg soll eine neue Joghurtfabrik entstehen. Lokal verursacht das Vorhaben etwas Aufregung etwa um Wasserverbrauch und –verschmutzung: Soll man so ein Projekt genehmigen? Internationales Aufsehen wird das wohl eher nicht erregen. Linguistisches Interesse dagegen schon, denn auf Luxemburgisch geht es um eine Jugurtsfabrick.

Das Fugen-S soll uns dabei nicht weiter stören; auch im Deutschen und Niederländischen finden wir bei Fugenelementen viel Variation. Aber das erste <u> in Jugurt fällt auf. Hört man in die Nachrichten aus Luxemburg im Radio und im Fernsehen hinein, muss man ein wenig die Ohren spitzen. Vermutlich hätte ich den Vokal selbst nicht als [ʊ] identifiziert, wenn ich nicht zuvor die Schreibweise gesehen hätte. Bei der Off-Sprecherin im Beitrag von RTL hört man es allerdings doch relativ deutlich.

Joghurtsorten (Feuerrabe, CC-BY-3.0 DE)

Nun ist der Weg von O zu U kein besonders weiter und der Wandelprozess dahinter ist nicht allzu spektakulär. Trotzdem ist er ein kleines bisschen ungewöhnlich. Die germanischen Sprachen haben nämlich sonst oft die Angewohnheit der sogenannten Nebensilbenabschwächung:

Wo ältere Wortformen in unbetonten Silben einen vollen Vokal hatten, bleibt heute meist nur noch ein Schwa [ə]. Das gilt für den alten germanischen Wortschatz, aber auch für Entlehnungen. Aus dem vorn betonten lateinischen Lehnwort tegula wurde beispielsweise dt. Ziegel und nl. tegel: Die unbetonte Endsilbe ist ganz geschwunden, das /u/ ist zum Schwa abgeschwächt. Das passiert bei neueren Lehnwörtern nach und nach, beim Joghurt ist das nicht anders.

Im Deutschen sind wir noch nicht ganz so weit, auch wenn ich aus dem Dialekt zumindest die Form [joːgɔɐt] kenne – der Vokal bewegt sich schon in Richtung Schwa. Die komplett abgeschwächte Variante wird sicher auch hier und da schon realisiert, ist aber jedenfalls noch nicht allgemein verbreitet.

Im Niederländischen kennt man dagegen für yoghurt als Aussprachevariante neben [jɔ­χʏrt] auch die Form [jɔ­ɣərt]. Was die ‚richtige‘ Aussprache ist, darüber lässt sich leidenschaftlich diskutieren (und zumeist ergebnislos). Der flämische Rundfunk entscheidet sich für die zweite Form mit Schwa. Im Van Dale sind beide verzeichnet, dazu aber noch eine dritte, die in Belgien verbreitet ist: [ju­ɣurt].

Damit sind sich nun Belgien und Luxemburg wieder überraschend einig. Sie haben nämlich ein anderes Verfahren gewählt, um mit den Vokalen umzugehen: die Assimilierung. Weil O und U einander ohnehin relativ ähnlich sind, gleicht sich der Laut in der betonten Silbe der unbetonten an. Das schließt nicht aus, dass später trotzdem die Nebensilbe noch ihren Vollvokal verliert, dann sprechen wir möglicherweise irgendwann vom Juchert. Vorerst war aber die Anpassung offenbar stärker. Bis es soweit ist, dürfte noch viel joghurtverseuchtes Wasser die Alzette hinunterfließen.

[Um das Kapitel abzuschließen: Ende September 2020 hat das Unternehmen beschlossen, sein Vorhaben zurückzuziehen. In Luxemburg wird also keine Joghurtfabrik gebaut, das Wasser bleibt sauber. Die Vokale dürfen sich selbstverständlich weiter wandeln wie sie möchten.]

Der Beitrag wurde am Mittwoch, den 2. September 2020 um 10:20 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Allgemein abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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