Wer eine Sprache lernen möchte, hat es nicht leicht: Grammatik, Vokabeln, Aussprache, und an alles soll man gleichzeitig denken. Zum Glück lässt sich vieles nachschlagen, doch wer hilft bei der Aussprache, wenn ich bei einem Wort oder Ausdruck unsicher bin? Im Van Dale ist beispielsweise die Betonung markiert, eine phonetische Transkription ist selbst beim Bezahl-Abo nicht dabei. Klar, man kann zum Beispiel Lehrkräfte oder Bekannte fragen, wenn sie verfügbar sind. Inzwischen wächst aber auch das Angebot an Nachschlagewerken mit Tonbeispielen im Internet.
Bei der kostenlosen Webseite von PONS gibt es eine Transkription – dazu muss man natürlich einigermaßen IPA lesen können – und auch die Möglichkeit, Beispiele anzuhören. Die werden als automatische Sprachausgabe erzeugt. Manchmal klingt das hölzern, gelegentlich geht es auch schief. Bei iems rijbewijs intrekken wird etwa ‚iems‘ nicht als Abkürzung von iemands erkannt und vervollständigt, sondern einfach vorgelesen als sei es ein Wort. Zudem ist die Sprachausgabe auf niederländisches Niederländisch trainiert. Aussprachevarianten sind nicht verfügbar, und gerade die sind oft interessant, nicht nur zum Lernen, sondern auch für die Forschung.
Dafür gibt es zwei andere Ressourcen, die immer beliebter werden, nämlich forvo und YouGlish. Die zwei Webseiten arbeiten mit verschiedenen Methoden. Testen wir einmal den Unterschied zwischen nördlichem und südlichem Niederländisch anhand von drei Wörtern:
uitgeverij (Verlag)
aangifte (Anzeige, Steuererklärung)
rijbewijs (Führerschein)
Die sind einigermaßen zufällig gewählt, aber wir können an ihnen gut die Unterscheidung von harde und zachte g und den Umgang mit dem Diphthong bei ij erkennen.
Forvo arbeitet mit gezielt aufgezeichneten Audioaufnahmen von Freiwilligen. Damit ein Wort zu hören ist, muss sich also jemand die Zeit genommen und es eingesprochen haben. Das haben schon sehr viele Menschen für sehr viele Wörter gemacht, aber ob eine belgische oder niederländische Variante vorhanden ist, ist ein bisschen Glückssache. Bei uitgeverij gibt es nur eine Audiodatei aus den Niederlanden, dafür hat sich jemand die Mühe gemacht, auch die Namen zahlreicher Verlage einzusprechen. Für aangifte gibt es jeweils eine Aufnahme für beide Varietäten. Bei rijbewijs sind nur zwei Tonbeispiele vorhanden, die laut Markierung aus den Niederlanden kommen. Eine davon ist erkennbar südlich, denn der Diphthong ist recht geschlossen, das [w] bilabial. Dass das Herkunftsland der Aufnahme genannt ist, überdeckt also ein wenig die Dialektgliederung, die schließlich nicht mit der Landesgrenze übereinstimmt. Woher die Aufnahmen stammen, ist dafür zusätzlich mit Pins in einer Karte genauer dargestellt. Allerdings kann man nur wenig hineinzoomen und Flandern und die Niederlande sind nun einmal leider ein eher kompaktes Gebiet. Das erschwert die exakte Bestimmung und mag im Zusammenspiel mit der Länderzuordnung verwirren, wenn man die Variationsräume nicht so gut kennt. Es ist aber zumindest ein Versuch, Variation im Raum einigermaßen abzubilden.
Ein bedeutender Nachteil von forvo liegt darin, dass die Audioqualität oft nicht besonders gut ist. Viele Aufnahmen sind mit Alltagstechnik erstellt, man kann also logischerweise keine Studioqualität erwarten. Dafür kann man sich die Wörter aber einzeln anhören, ohne dass man lange danach suchen muss oder sie im Redefluss verwaschen werden – zur Not auch zehnmal direkt hintereinander.
Die Webseite YouGlish ist etwas raffinierter und komplexer. Wählt man Niederländisch aus, kann man zwischen Niederlande und Belgien hin- und herschalten, also gezielt eine der beiden Varianten ansteuern. Feiner als eine Zweiteilung der Länder lässt sich die Aussprachevariation aber nicht erkennen. Die Seite ruft dann Youtube-Videos ab und springt direkt zur passenden Stelle, an der jemand das gesuchte Wort äußert. Man bekommt also ein realistisches, manchmal auch in halbwegs natürlichem Kontext entstandenes Beispiel und kann der Reihe nach durchblättern, wenn für das Schlagwort mehrere Videos gefunden wurden.
Wie bei forvo sind auf YouGlish die Treffer für die Niederlande deutlich zahlreicher, für Belgien gibt es höchstens sporadisch welche. Allzu sehr sollte man sich auf die Aufteilung sowieso nicht verlassen. Wählt man die Niederlande aus, bekommt man trotzdem häufig Videos zu sehen, die erkennbar aus Belgien stammen. Für aangifte erscheint etwa als erstes ein Clip mit dem Logo der Universiteit van Vlaanderen. Klickt man weiter durch, hört man bald darauf eine belgische Immobilienmaklerin, die das zachte g ganz und gar flämisch als [h] realisiert.
Gleich danach spricht plötzlich die ehemalige Bischöfin Margot Käßmann auf Deutsch über Verlagspublikationen, beim Beispiel rijbewijs erklingt amerikanisches Englisch. Offenbar spielen die Metadaten der Seite nicht nur bei der Länderzuordnung einen Streich, denn manche Videos sind insgesamt in der falschen Sprache, werden aber aufgrund von niederländischen Untertiteln abgerufen. Die sind eigentlich der Trumpf der Webseite, denn daraus wird die passende Textstelle erkannt und man kann gleich mitlesen. Ein wichtiger Vorteil, um den Kontext erfassen zu können – sofern die Sprache stimmt.
Beide Angebote haben also ihre Eigenheiten, mit denen man sich arrangieren muss, aber in Kombination kommt man mit beiden schon recht weit. Für das Englische sind die zwei Ressourcen logischerweise schon viel reichhaltiger und zuverlässiger. Surinamisches Niederländisch sucht man auf beiden Webseiten vergeblich. Aber was die beiden Projekte auf die Beine stellen ist dank der Freiwilligen oder der zufällig auf Youtube Belauschten durchaus beeindruckend – gerade wenn man berücksichtigt, dass selbst eine große uitgeverij wie Van Dale nichts Vergleichbares zu bieten hat.
Am 6. Februar 2021 um 23:07 Uhr
Es gibt doch dict.cc, sowohl online als auch als App, mit Wörterbüchern für viele Sprachen einschließlich Aussprache zum Anhören (oft synthetisiert, aber ziemlich gut).
Am 6. Februar 2021 um 23:52 Uhr
Ja, das stimmt – danke für die Ergänzung! Angebote mit automatischer Sprachausgabe gibt es einige, auch bei Google Translate zum Beispiel. PONS war dafür nur ein Beispiel von mehreren. Mir ging es hier vor allem um die Angebote mit ’natürlichen‘ Hörbeispielen und darum, ob und wie dabei auch Aussprachevarianten verfügbar sind. Für viele Zwecke sind die synthetisierten Audios natürlich durchaus schon hilfreich und nützlich.