Brûler, brûler, brûler (2020)

Va-nu-pieds (Oublie)

Übersetzung und Einleitung von Büsra Gümüs

„Allein in den Händen Lisette Lombés liegt die Macht Feuer zu metamorphosieren. Denn in ihrem Werk ist es zugleich ein Symbol der Stärke und der Vulnerabilität. Zwei Eigenschaften, die viele als einander ausschließend betrachten würden. Ähnlich zwiespältig, diesmal aber willenlos, erging es ihr auch mit ihrer Identität. “Dans mon sang, il y a le Kasaï et il y a la Meuse”, verkündet sie in JE M’APPELLE LISETTE LOMBE. Akzeptiert wird sie aber als weder noch.

Charakteristisch für Lombé ist die fehlende Eindeutigkeit ihrer Botschaft. So tut sich ihre Selbstsicherheit in einem selbstbefehlenden Gedicht wie „VA-NU-PIEDS“, auch bekannt als „OUBLIE“, kund. Gleichzeitig beinhaltet derselbe Poesieband Brûler, brûler, brûler ein QUI OUBLIERA? genanntes und zunächst gegensätzlich scheinendes, interrogatives Gedicht. Diese innere Unentschlossenheit zeichnet sich auf mehreren Ebenen aus.

Thematisch liegt Lombé zwischen Menschheitsfehlern und Intimität, Traumata und Heilungsritualen, und Fantasien und bitteren Konfrontationen mit der Wirklichkeit. Diese bereichert sie durch selektive Zeichensetzung, Sprachregister und Struktur. Somit ist Lombé nicht das eine, wie es bei vielen anderen Dichter*innen der Fall ist.

Das Gedicht VA-NU-PIEDS (OUBLIE) auseinandersetze ist der ersten Hälfte des Bandes zugehörig, welches größtenteils Kindheits- und Familienerinnerungen hervorruft und darin die einhergehenden traditionellen Gedankenmuster einbettet. Frauen, die in ihren toxischen Beziehungen gefangen sind, Kinder, die missbraucht werden, Männer, die davonkommen. VA-NU-PIEDS hat einen sinnes- und körperbewussten Eigencharakter. Das Gedicht kontrastiert förmlich und inhaltlich stark mit dem vorherigen „MANGAKA CHERCHE POÉTESSE“, welches das Schicksal einer schwarzen Frau in einer imaginären Geschichte schildert. Konträr dazu bildet VA-NU-PIEDS einen inneren Monolog, in dem die Ruhe des lyrischen-Ichs durch repetitiv auftretend erschütternde Erinnerungen gestört wird.

Va-nu-pieds (Oublie)
Oublie ceux qui t’observent comme on observe une folle.
Oublie ceux qui ne comprennent pas ta danse.
Ceux qui aiment la musique des gitans
mais ne souffrent pas les odeurs des gens.
Oublie ceux qui menacent ton tapis de
leurs chaussures crasseuses.
Oublie le ciel, oublie les cieux
Il n’y a rien pour toi là-haut.
Rien pour le repos. Rien pour le
sommeil du juste.
Rien. Rien pour assourdir la litanie des
souffrances.
Rien contre l’hémorragie du monde.
Sens la cheville que comprime encore le
souvenir de la chaussure crasseuse.
Sens le pied qui prolonge la cheville.
La plante de pied, chaque orteil.
Sens la crasse entre les orteils, la crasse sous la semelle, la semelle sur le tapis.
Tapis. Bitume. Tapis. Brin d’herbe.
Et ce Dieu qui ne t’arrive pas à la cheville
Chaque fois
Chaque fois qu’une giclée de sperme
splitsh splatsh sur la joue d’un môme.
Chaque fois qu’un ouragan arrache le toit d’une baraque pour le taper sur le
toit
d’une autre baraque et planter une tôle
ondulée dans la poitrine d’une femme.
Chaque fois que des plus jeunes que
toi, très jeunes, très très jeunes tombent
comme des mouches.
Pour chaque fois que
Jeté par dessus bord.
Lancé dans les orties.
Rangé dans le placard.
Dieu ne t’arrive pas à la cheville.
Oublie le ciel, oublie les cieux.
Agenouillée, tu te sens mouche,
ouragan dans la mouche. Sperme dans
les orties
Tu te sens toi.
Geh-bar-fuß (Vergiss)
Vergiss die, die dich so beobachten, wie man eine Irre beobachtet.
Vergiss die, die deinen Tanz nicht begreifen.
Die die Zigeunermusik lieben,
aber den Geruch der Leute nicht dulden.
Vergiss die, die deinen Teppich
mit ihren schmutzigen Schuhen bedrohen.
Vergiss den Himmel, vergiss den Himmel.
Dort oben gibt es nichts für dich.
Nichts zum Ausruhen. Nichts für den
Gerechtigkeitsschlaf.
Nichts. Nichts, um die Litanei der Leidensschübe zu betäuben.
Nichts gegen das Ausbluten der Welt.
Fühl die Knöchel, die noch immer die Erinnerung
des schmutzigen Schuhs unterdrückt.
Fühl den Weg, der den Knöchel verlängert.
Die Fußsohle, jede Zehe.
Fühl den Dreck zwischen den Zehen, den Dreck unter der Sohle, die Sohle auf dem Teppich.
Teppich. Asphalt. Teppich. Grashalm.
Und dieser Gott, der dir nicht bis an die Knöchel herankommt
Jedes Mal
Jedes Mal, wenn ein Spermatropfen auf der
Wange eines Kindes plitsch-platscht.
Jedes Mal, wenn ein Wirbelwind das Dach einer Hütte entreißt, um es auf das
Dach
einer anderen Hütte zu klopfen und ein
Wellblech in die Brust einer Frau zu pflanzen.
Jedes Mal, wenn Jüngere als du, sehr jung, sehr
sehr jung, umfallen wie die Fliegen.
Für jedes Mal, wenn
Über Bord Geworfene.
In den Brennnesseln erwachende.
Im Schrank verstaute.
Gott kommt dir nicht bis an die Knöchel heran.
Vergiss den Himmel, vergiss den Himmel.
Hingekniet fühlst du dich wie eine Fliege, der
Wirbelwind in der Fliege. Sperma in
den Brennnesseln.
Du fühlst dich.