Teil 1 einer kleinen Serie über Niederländisch und Französisch (und mehr).
Wie man im Internet mühelos Geld verdient, erfährt man in jeder zweiten Spam-Mail. Alternativ dazu kann man auch französische Boulevardzeitungen lesen. Am Kiosk sprang mich in Paris diese Schlagzeile an:
Réussir grace à internet. („Mit dem Internet Erfolg haben“)
Bei dieser Überschrift rebelliert die brav gelernte Schulgrammatik: Substantive stehen im Französischen praktisch nie ohne Artikel, außer es geht um Eigennamen! Man kann zum Beispiel, wenn man gerade neu ins umgebildete französische Kabinett berufen wurde,
réussir grace à Hollande („dank Hollande Erfolg haben“)
Bei anderen Substantiven ist an dieser Stelle der Artikel dagegen unverzichtbar:
réussir grace à la politique d‘Hollande. („dank der / durch die Politik von Hollande Erfolg haben“)
Der Artikel von internet fällt besonders dann weg, wenn davor eine Präposition steht:
J’ai lu cet article sur internet. („Ich habe diesen Artikel im Internet gelesen.“)
Je ne pourrais pas vivre sans internet. („Ich könnte ohne (das) Internet nicht leben.“)
Woher kommt uns dies bekannt vor? Richtig, aus dem Niederländischen. Denn da kann man bei internet den Artikel auch weglassen, wenn eine Präposition davor steht:
Dit artikel heb ik op internet gelezen.
Ik zou niet zonder internet kunnen leven.
Formen mit Artikel sind aber genauso gut möglich:
Dit artikel heb ik op het internet gelezen.
Ik zou niet zonder het internet kunnen leven.
Dass internet ohne Artikel auskommt, ist aber keineswegs nur auf Präpositionalphrasen beschränkt:
Internet heeft vooral invloed gehad op onze vrijetijdsbesteding. (Quelle, mit vielen anderen Beispielen)
Qu’est-ce qu’Internet change à la manière d’écrire une histoire ? („Wie ändert das Internet unsere Art, Geschichten zu schreiben?“ Quelle)
Auf Deutsch ist der Artikel viel häufiger obligatorisch, egal ob mit oder ohne Präposition. Wir wissen alle, wie das Internet unser Leben verändert. Man sucht etwas im Internet, stellt es ins Internet, hat Erfolg durch das Internet und kommt mit dem Internet zurecht. Man hat natürlich auch Zugang zum Internet. Es gibt aber eine wichtige Ausnahme:
Oma hat jetzt auch Internet.
Oma heeft nu ook internet.
Mamie aussi a accès à internet maintenant.
In diesen Fällen kann also der Artikel in allen drei Sprachen wegfallen. (Auf Französisch braucht man allerdings noch einen Umweg und kommt dann doch wieder bei einer Präposition an. *Avoir internet funktioniert nicht.) Diese Konstruktion erscheint ziemlich logisch, denn ein bestimmter Artikel wie in Oma hat jetzt das Internet ergibt wenig Sinn. Schließlich hat Oma nicht das gesamte Internet bei sich zuhause im Küchenschrank.
Die Parallelen gehen noch weiter. Alle Synonyme von Internet kommen in den drei Sprachen nicht ohne Artikel aus:
Ik heb dit artikel op het web gelezen. – *Ik heb dit artikel op web gelezen.
J’ai lu cet article sur le web. – *J’ai lu cet article sur web.
Ich habe diesen Artikel im Web gelesen. – *Ich hab diesen Artikel in Web gelesen.
Das gilt sogar für die Abkürzung von Internet als Net:
Ik heb dit artikel op het net gelezen. – *Ik heb dit artikel op net gelezen.
J’ai lu cet article sur le net. – *J’ai lu cet article sur net.
Ich habe diesen Artikel im Net gelesen. – *Ich habe diesen Artikel in Net gelesen.
Woher kommt diese erstaunliche Parallele, selbst über die Grenze zwischen romanischen und germanischen Sprachen hinweg? Warum sortiert man das Internet in eine Kategorie, die (in unterschiedlichem Ausmaß) ohne Artikel auskommt, während Web und Net das nicht können? Im Niederländischen dürfte es eine Rolle spielen, wie Taaladvies zeigt, dass andere Medientypen wie televisie ähnliche Konstruktionen möglich machen. Auch in vielen anderen mehr oder weniger festen Wendungen ist der Artikel nach Präpositionen verzichtbar: op school, aan tafel, in bed usw. Im Französischen kann das aber keine Erklärung sein, denn alle anderen klassischen Mediensorten wie la télévision, la radio, le journal brauchen immer einen Artikel. Das Englische ist wahrscheinlich auch unschuldig, denn the internet hat auch meistens einen Artikel. Es besteht also viel Raum für Spekulation. Und welcher Raum wäre für Spekulationen besser geeignet als le-het-das Internet?
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