Kulturelle Identität (Stuart Hall)

Kulturelle Identität besteht in einer prozesshaften und dynamischen Aushandlung von Bedeutungen und Positionierungen historischer, kultureller und politischer Art durch Repräsentation und Artikulation (z.B. Film). Es handelt sich dabei nicht um Einheits-, sondern um Differenzerfahrungen, die kontinuierlich produziert werden und stets positioniert sind. Diese Konzeption soll dazu beitragen, essentialisierende Vorstellungen von kultureller Identität zu dekonstruieren und „Schwarz-Sein“ innerhalb von Repräsentationsregimen neu zu artikulieren, um binäres Denken zu destabilisieren (Hall 1993).

In seinem Artikel „Cultural Identity and Diaspora“ nähert sich der (Kultur-)Soziologe Stuart Hall (1993) einer Vorstellung von kultureller Identität aus einer postkolonialen Perspektive im Kontext von kollektiven Erfahrungen/Erinnerungen der Diaspora sowie (an) koloniale Vergangenheiten/Präsenzen (siehe Négritude).

Hall unterscheidet zwischen zwei Wegen, kulturelle Identität zu begreifen. Der erste, traditionelle Weg begreift Identität als authentische, stabile, kollektive Referenz, die historisch entstanden ist und sich vor allem durch die gemeinsame Herkunft konstituiert (Hall 1993: 223-225).  Der zweite, von Hall (1993: 225 f.) eröffnete Weg, versteht Identität nicht als greifbare Einheit, sondern als Produktion durch (strategische) Repräsentation, die Brüche und Diversität anerkennt. Dieses Verständnis von Repräsentation schließt Wandel und Veränderung (insbesondere in Bezug auf Kolonialismus und Verschleppung) ein und verortet Identität als einen Aushandlungsprozess der Konstruktion durch Erinnerung, Erzählung und Imagination. Während Hall (1993: 224f.) anerkennt, dass das erste Identitätskonzepts für den oppositionellen Kampf gegen vorherrschende europäische Präsenzen wichtig ist, liegt sein Hauptanliegen darin, die Konstruktion von Identitäten zu verdeutlichen.

Kulturelle Identität ist in dem Sinne nichts Gegebenes, Absolutes, oder Greifbares, sondern vielmehr eine Produktion, die sich in einem stetigen und unendlichen Prozess befindet (Winter 2013). Dieser Prozess findet innerhalb von →Repräsentation statt. Identität wird also mittels Repräsentation (re)produziert. Oder anders gesagt: Repräsentation fungiert als Mittel der (Re)Produktion von Identität. Nach Hall gibt es demnach keine authentische Identität, die repräsentiert werden kann, da Identität erst in dem Moment der Repräsentation geschaffen wird (Hall 1993: 222). Diese Repräsentation wiederum besteht in und durch Artikulation (von Bedeutungen), welche immer positioniert ist (ebd.).

Anlehnend an das Konzept der Différance nach Derrida, betont Hall (1993: 229), dass Identität von Differenz geprägt ist, da Bedeutungen und Repräsentationen weder fixiert noch vollendet sind, sondern abhängig von Kontexten und Perspektiven permanent Prozessen von Wandel und Verschiebung unterliegen. Ein Beispiel hierfür sind die karibischen Inseln, welche aus westlicher Perspektive oftmals als „kulturell gleich“ betrachtet werden, während sie von dort/wo anders aus stattdessen als divers oder als französisch wahrgenommen werden (Hall 1993: 227 f.).

In der Konsequenz kann Identität also nicht nur als Repräsentation und Produktion, sondern auch als Variation von etwas verstanden werden.

 

Literatur

Hall, Stuart 1993: Cultural Identity and Diaspora, in: Framework, 36, 222-237.

Winter, Paul: Wie viele sind wir? – Stuart Hall und kulturelle Identität, April 2013, in Shabka, https://shabka.org/blog/2013/04/23/wie-viele-sind-wir-stuart-hall-und-der-begriff-der-kulturellen-identitat/; letzter Zugriff: 15.07.2019.

 

Autor*innen: Johanna Gabert

Zuletzt überarbeitet: 23.08.2019

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