von Radwa Khaled
Auf den Treppen des Goethe Instituts Beirut (Libanon) sitze ich und warte – bis eine andere Person dasselbe macht: aus dem Vortrag rausgeht. Im Raum hinter mir erläutert ein deutscher Sozialwissenschaftler die vermeintliche Unfähigkeit junger arabischer Männer, sich „friedliche Perspektiven“ anzueignen, und erklärt, wie sie dadurch leichter Anhänger radikal-islamistische Gruppen werden würden. Auf dem Gebäude vor mir steht der Name einer Französischen Schule. Ich erinnere mich an meine eigene Schule in Kairo: die Deutsche Schule der Borromärinnen in Kairo, 1904 gegründet. Ich fühle wie die heiße Luft des Ärgers, der in meinem Magen wächst, sich nach oben schleicht…
Im folgendem werde ich mich mit dem Begriff der epistemischen Gewalt in Form einer ,,offenen Arbeit“ (Eco 1989) annähern. Auf das Konzept des offenen Werkes wird zurückgegriffen, um erstens zu versuchen, so wenig wie möglich eine textuelle Form der epistemischen Gewalt auszuüben, und um zweitens die Performativität der epistemischen Gewalt auch in der Form und nicht nur entlang der Inhalte hervorzuheben.
Das Konzept des offenen Werkes stammt vom Semiologen Umberto Eco, der damit Arbeiten beschreibt, die der rezipierenden Person eine gewisse Autonomie zuschreiben. Die rezipierende Person ,,must impose his judgment on the form of the piece, as when he decides how long to hold a note or in what order to group the sounds“ (Eco 1989: 1). Es sind Werke/ Arbeiten, die über das Zuschauen, Lesen, Spielen oder Hören in Interaktion mit der Rezipierenden treten, da jede Interaktion eine Performanz und eine Interpretation der Arbeit ist. Dies ist auch hier der Fall, da diese Arbeit mit jeder Rezeption eine neue Perspektive gewinnt. Die Rezipierende ist genauso Schaffende, wie die Person, die das Werk geschaffen hat. Damit liegt das Monopol der Arbeit auch nicht bei der Schaffenden, sondern es wird mit theoretisch unendlich Vielen geteilt (Eco 1989:4ff.)
Im weiteren Verlauf des Essays werden unterschiedliche Aspekte der epistemischen Gewalt durch die Collage angesprochen. Die Reihenfolge ist nur eine Möglichkeit von unterschiedlich möglichen Reihenfolgen. Sie ist nicht zwingend und muss beim Lesen nicht eingehalten werden. Mein Anliegen ist dabei unter anderem auch, den Begriff der epistemischen Gewalt zu de-abstrahieren und seine unterschiedlichen, mit einander verwobenen Aspekte darzustellen, um so die epistemische Gewalt in der Art, in der sie operiert, zu akzentuieren. Sie operiert in einzelnen Kontexten anders und durchzieht unterschiedliche Terrains. Weiter sollen die folgenden Aus- und Abschnitte assoziativ wirken. Das heißt, sie sollen die Möglichkeit bieten, sich mit ihnen verbinden zu können und eine Tür in die eigene Erfahrung zu öffnen. Dazu greife ich eigene Erlebnisse und Einsichten ebenso auf wie damit unterschiedliche Formen der epistemischen Gewalt thematisiert werden können.
Link zur Collage:
https://blogs.fu-berlin.de/fkfkollektiv/files/2019/09/Epistemische-Gewalt.pdf