Kollaboratives Schreiben – Ein abschließendes Experiment

***ACHTUNG: Beginn 8:30! Bitte Rechner mitbringen wenn möglich!***

Wir haben in diesem Seminar viele verschiedene Perspektiven kennen gelernt. Dabei konnten nicht immer alle Fragen geklärt werden – das gehört auch dazu. Dennoch haben, glaube ich, alle

By Leo Jiménez (Own work) [CC BY 4.0 ], via Wikimedia Commons
wesentliche Erkenntnisse gewonnen. Diese in einen Zusammenhang zu stellen, soll das Ziel der abschließenden Sitzung sein. Dazu werden wir auf die Technik des Schreibens, insbesondere des kollaborativen Schreibens zurückgreifen. Ziel soll es sein, zu jedem der fünf Blocks einen Text zu schreiben, der als eine Art Einleitung bzw. Zusammenfassung dienen kann. Der Text sollte folgende Fragen beantworten:

 

  • Was waren die verbindenden Themen des Blocks? Was konnte dazu gesagt werden?
  • Worin lagen wesentliche Unterschiede in den Perspektiven und Standpunkten der Autoren?
  • Was lässt sich aus diesem Block in besonderer Weise mitnehmen? Was bringt er für das Verständnis unterschiedlicher Menschenbilder?

Ihr werdet in fünf Gruppen arbeiten, die jeweils einen der Textes gemeinsam schreiben sollen:

  1. Das neue Menschenbild der Moderne
  2. Vom Menschenbild zur Gesellschaft
  3. Der freie Mensch
  4. Kritik der Moderne
  5. Neue Perspektiven?

Jede/r kann sich aussuchen, an welchem Thema sie arbeiten will, aber ihr solltet Euch bitte, durch das Lesen der Blogbeiträge und eurer Notizen zum jeweiligen Block auf die Sitzung vorbereiten. Ich bitte außerdem darum, dass möglichst viele von euch, einen Rechner mitbringen (nur wenn ihr einen Mobilen habt natürlich), denn wir werden in Google Docs arbeiten. Dabei werden sich Schreibphasen, Diskussionsphasen und Überarbeitungsphasen abwechseln. Nach der Sitzung werde ich aus diesen gemeinsam erstellten Texten und den Blogbeiträgen einen Seminarreader erstellen und euch zur Verfügung stellen.

Außerdem sollen – wir treffen uns ja schon um 8:30! – auch die Seminarauswertung und die Fragen zu den H ausarbeiten nicht zu kurz kommen. Hier schon einmal die Ergebnisse der offiziellen Seminarauswertung:

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Und so wird das Ganze zeitlich ablaufen:

8:30-9:00 Fragen zu den Hausarbeiten

9:15-9:30 Gruppenbesprechungsphase

9:30-10:00 Schreibphase

10:00-10:15 Zusammentragen der Textentwürfe

10:15-11:00 Gruppenbesprechungsphase und Finalisierung des Textes

11:10-11:45 Seminarauswertung und Besprechung der Auswertungsergebnisse

 

Terminänderung Nachholsitzung

Ich bin leider ziemlich krank, deshalb gibt es folgende Plannänderung:

Wir treffen uns am 2.2. um 10:00 (nicht 8:30) um Frantz Fanon zu besprechen. Die Nachholsitzung wird stattdessen am 16.2. um 8:30 stattfinden. Nähere Details folgen. Bitte sagt allen Bescheid, die Ihr aus dem Seminar kennt, damit keiner umsonst auftaucht. Danke!

Karl Marx und die Entfremdung des Menschen

Karl Marx als Student 1836 – Public Domain, via Wikimedia Commons

Ein Beitrag von Moritz und Alex. (geändert am 21.12.2017)

Bevor Karl Marx 1867 sein Hauptwerk „Das Kapital“ veröffentlichte, befasste er sich mit weitaus philosophischeren, und weniger ökonomischen Themen. 1844, mit 26 Jahren, verfasste er u.a. die „Ökonomisch-philosophischen Manuskripte“, die eigentlich überhaupt nicht zur Veröffentlichung gedacht waren und lediglich Skizzen waren, in denen Marx sich mit dem Arbeiter und dessen Entfremdung auseinandersetzt.

Im Laufe des Textes charakterisiert Marx vier Formen der Entfremdung des Menschen, die wir im Seminar bereits ausgiebig besprochen und diskutiert haben. Die vier Formen der Entfremdung sind die folgenden:

Die Entfremdung

  1.  des Menschen vom Produkt (der Mensch hat keinen Bezug mehr zum Produkt seiner Arbeit)
  2. des Menschen vom Prozess der Arbeit (die Arbeit stellt nicht mehr die Befriedigung eines Bedürfnisses dar, „Zwangsarbeit“)
  3. des Menschen von sich selbst (leitet sich aus den ersten beiden Punkten ab; die Entfremdung des Menschen von seiner Natur)
  4. des Menschen vom Menschen (Fremdentfremdung, welche sich wiederum aus der dritten Stufe ableitet)

Das Menschenbild

Worauf wir uns im Seminar leider weniger stark fokussieren konnten, war die Frage wie sich Marx‘ Menschenbild charakterisiert.
Marx ist der Ansicht, dass sich der Mensch in seiner Arbeit und dem von ihm geschaffenen Produkt verwirklicht und von Natur aus produktiv ist. Die Entscheidung zu arbeiten erfolgt dabei bewusst und aus freiem Willen heraus. Diese freie und selbstbestimmte Ziel- und Zwecksetzung der auszuführenden Tätigkeit ist es, die den Menschen vom Tier unterscheidet. Im Kapitalismus geht diese Natur des Menschen jedoch verloren, die Arbeit erfolgt lediglich um Bedürfnisse außerhalb der Arbeit zu befriedigen. Anstelle der erfüllenden und bereichernden Arbeit tritt „Zwangsarbeit“. Diese kapitalistische Denkweise ist Marx zufolge jedoch fatal, da das („Gattungs“)Wesen des Menschen unteilbar ist, der Mensch also nicht 6 Tage die Woche 14 Stunden arbeiten, und gleichzeitig am siebten Tag der Woche frei sein und sich z.B. politisch engagieren kann. Es gibt keine klare Trennung zwischen privatem und politischem Leben. Der Mensch ist zwar ein soziales Wesen, verwirklicht sich aber durch seine Arbeit. Dadurch wird er frei; sein Gattungsleben erfüllt sich.

Was ebenfalls wichtig ist und leicht übersehen werden kann, ist, dass sich auch der Nicht-Arbeiter, der Kapitalist, also der Fabrikbesitzer z.B., im Kapitalismus entfremdet. Durch die Abgabe der Arbeit an den Arbeiter findet ebenfalls eine Entfremdung von sich und dem Prozess der Arbeit statt. Der Kapitalist kann mit dieser Entfremdung jedoch weitaus besser leben, da seine Entfremdung in Reichtum resultiert, und nicht wie beim Arbeiter in Knechtschaft. Er lebt aber nicht im Einklang mit seiner menschlichen Natur und ist auch entfremdet und dementsprechend nicht frei.

Distanzierung von der Moderne

Bei Constant und Rousseau war die Freiheit in dem Verhältnis zwischen Staat und Individuum angesiedelt. Der liberale Constant setzt dem Souverän – also dem Staat – Grenzen und betont die Bedeutung der persönlichen Freiheit und der Bürgerrechte, die aber die politische Freiheit voraussetzen. Bei Marx geht es nicht mehr um dieses Verhältnis, sondern um das zwischen den zwei Klassen, der Bourgeoisie und dem Proletariat, und um die Folgen dieses System in Bezug auf der Natur und der Freiheit des Menschen. Die echte menschliche Freiheit befindet sich tatsächlich in der Erfüllung des oben genannten Gattungslebens. Diese Erfüllung verunmöglicht aber das kapitalistische Wirtschaftssystem, das eben auf Privateigentum und die von Constant verteidigten einhergehenden Bürgerrechte fußt. In dieser Denkweise unterscheidet sich Marx also drastisch von den Begründern der Moderne.

Marx sieht den Arbeiter zumindest theoretisch als enorm machtvolles Subjekt, das sich aus den Ketten des Kapitalismus durch Revolution selbst befreien kann. In dieser Schlussfolgerung können wir bereits direkte Kapitalismuskritik herauslesen. Kritik, die Karl Marx in seinen späteren Werken nur noch deutlicher äußert.

Weiterführende Literatur:

Barbara Zehnpfennig [Hrsg.] 2004: Ökonomisch-philosophische Manuskripte / Karl Marx. 1. Aufl., Hamburg : Meiner.

Michael Quante [Hrsg.] 2009: Karl Marx. Ökonomisch-Philosophische Manuskripte. Kommentar von Michael Quante. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M..

Nikolai I. Lapin 1974: Der junge Marx. Dietz Verlag, Berlin 1974

Filmkritik zu „Der junge Marx“ bei TitelThesenTempramente

 

 

 

„Allein durch die Gnade…“

Portal der Schlosskirche in Wittenberg mit den 95 Thesen. Quelle: Fewskulchor [CC BY-SA 3.0 de, via Wikimedia Commons.
Dieser reformatorische Grundgedanke – sola gratia – ist aufs Engste verbunden mit den Konflikten dieser Zeit. Im Mittelalter war die (katholische*) Kirche ebenso eine weltliche Instanz wie eine geistliche. Bischöfe waren Fürsten mit geistlicher Autorität. Religion war im öffentlichen Leben ein wichtiger Faktor – anders als heute, wo die Kirche eine unter verschiedenen zivilgesellschaftlichen Stimmen ist. Die Angst vieler Menschen vor dem ewigen Fegefeuer war real und durch die Kirche, so der landläufige Glaube, konnte Absolution gewährt werden. Umso bequemer, wenn man statt einer Pilgerreise oder anderer Buße nur einen Ablass kaufen musste…. Luther war dies ein Dorn im Auge und er hatte mit seinen 95 Thesen – als Aufruf zu einer akademischen Auseinandersetzung geschrieben – gegen den Ablasshandel gewettert.

Der Text „Von der Freiheit des Christenmenschen“ ist eine Reaktion auf die Androhung des Bannes (der später auch verhängt wurde). Und es ist ein Text voller Spannungen. Aus euren Texten und der Diskussion stechen besonders drei Spannungen hervor.

  1. Besonders häufig in euren Texten debattiert wurde der Zusammenhang zwischen Leib und Seele, hier ausgedrückt in der Trennung von Seelenheil und weltlichem Handeln. Dies ist tatsächlich eine ganz grundsätzliche philosophische Frage, auf die es in der Philosophiegeschichte viele Antworten gab. In Luthers Argument steht diese Unterscheidung in einem breiteren Zusammenhang, der sich an den anderen beiden Spannungen ausdrückt.
  2. Da ist als zweiter zentraler Punkt zu nennen, was sich auch in dem Zitat ausdrückt, dass wir als Grundlage unsere Diskussion genommen haben: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem Untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ (Luther 1520). Doch wie kann mensch gleichzeitig frei und unfrei sein? Hier kommt sola gratia ins Spiel. Das geistige Heil ist durch Gottes Gnade den (Christen-)Menschen gegeben – der Glaube allein zählt, die Gnade und damit das Seelenheil kann nicht verdient werden. Das macht den Menschen frei zu weltlichem Handeln, dass nicht auf die jenseitige Erlösung gerichtet ist. Darin liegt die Freiheit. Doch der Glaube führt den (Christen-)Menschen dazu, aus der Liebe zum Nächsten das Gute zu tun. Es ist nicht die Androhung von Strafe die gutes Handeln ermöglicht, es ist die Liebe zu den Anderen. Und darum ist der (Christen-)Mensch Knecht seinen Mitmenschen gegenüber, ihnen ein Diener. Überzeugt dieses Luthersche Argument? Theologisch, wie es gemeint war, wohl viele (darum ja auch die Reformation als mehr als eine opportunistisch genutzte politische Strömung), aber politisch-theoretisch ergeben sich viele weitergehende Fragen, die Wichtigste ist vielleicht: Was tun angesichts der offensichtlichen Fehlbarkeit des Menschen in Bezug auf das gute Handeln?

    Thomas Müntzer
  3. Die dritte Spannung ergibt sich aus den weitreichenden politischen Konsequenzen, die Luthers theologisches Argument hat. Luther hat sich nicht – wie Machiavelli oder auch Thomas Müntzer – aktiv in die Politik eingemischt. Und doch hat er sich nicht mit Ratschlägen in politischen Angelegenheiten zurückgehalten. Die theologische Trennung von Seelenheil und weltlichem Handeln auf der Ebene des Individuums entwickelt sich hier zu einer, aus politisch-theoretischer Sicht, durchaus schwierigen Perspektive. In „Von weltlicher Obrigkeit: wieweit man ihr Gehorsam schuldig sei“  (1523) entfaltet Luther warum der weltlichen Obrigkeit im Zweifel immer Gehorsam zu leisten ist – und rechtfertigt damit quasi jede Herrschaft. Verstehen lässt sich das nur, wenn man bedenkt, dass einerseits auch hier ein theologisches und kein politisches Argument entfaltet wird und andererseits Luther selbst von der unmittelbaren Endlichkeit der Welt und damit auch vom baldigen Ende weltlicher Herrschaft überhaupt überzeugt war. Das soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der prekären Lage des 16. Jahrhunderts gerade diese radikale Trennung zwischen geistlich
    Dietrich Bonhoeffer im August 1939, Quelle: Bundesarchiv

    und weltlichem – und die Rechtfertigung weltlicher Herrschaft auch in äußerst fragwürdigen Situationen, eine weitreichende Wirkung hatte. Auch darum Leben wir heute in säkularen Staaten – wegen eines theologischen Arguments. Im 20. Jahrhundert wurde diese Lehre für die Christen zu einer radikalen Bewährungsprobe und erst Dietrich Bonhoeffer gelang mit seiner Interpretation der Weltlichkeit christlichen Handelns  als „Verantwortung für die Welt“ eine Neuorientierung.

Es ist sicher nie ein Gedanke an sich, der wirkmächtig wird – dazu kommen immer jene historischen und politischen Umstände, die ihm Raum geben. Und Luther war weder der einzige, der im 16. Jahrhundert Neues formulierte, noch war er der einzige der ähnliche Probleme durchdachte. Das 16. Jahrhundert war eine Zeit vielfältiger grundsätzlicher Fragen und die Zeit in der neue Antworten gehört wurden.  Auch das ist ein Zeichen für den großen Umbruch der stattfand.

Nettling, Astrid 2017: „Heiliger Sokrates, bitte für uns!“ Luther im Streit mit Erasmus. (Hörfunkfeature), Deutschlandfunk, 4. Januar 2017

Thaidigsmann, Edgar 2007: Macht über sich selbst? Der Mensch und die »Mächte« bei Luther: Aspekte theologischer Anthropologie. In: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie. 49:1, 42-70.

Leseliste zum Thema bei der EKMD

*Das Wort „katholisch“ kommt aus dem Griechischen und heißt „allumfassend“. Insofern, auch wenn es damals nur eine Kirche gab, ist katholisch das richtige Wort.

Leben in aufregenden Zeiten

Victoria Harbour, HongKong (by The Photographer, CC 0)

Leben in aufregenden Zeiten ist keine leichte Aufgabe. Neue Kommunikationsmittel ermöglichen ganz neue Formen der Interaktion. Viele Menschen, denen Wissen bisher verwehrt blieb, haben nun Zugang zu einer Vielzahl von Ideen. Etablierte Institutionen verlieren an Autorität und neue entstehen. Andere Formen des Zusammenlebens und Wirtschaftens werden entwickelt, Städten kommt eine neue Bedeutung zu. Ständig vergrößert sich das Wissen über die Welt, ja ganze Weltbilder geraten ins Wanken. Die Vielzahl der Veränderungen bringt zahlreiche Kontroversen hervor – und mit ihnen politische Instabilität.

Die Welt Machiavellis und Luthers, die von Leonardo da Vinci, William Shakespeare, Thomas Morus, Ferdinand Magellan, Erasmus von Rotterdam, Henry VIII, der Bauern Mitteldeutschlands und der Fugger war mitnichten eine, in der sich nur wenig änderte. Im Gegenteil, innerhalb weniger Jahrzehnte wurde vieles grundlegend auf den Kopf gestellt. Wenn man bedenkt, dass seit der Mondlandung fast 50 und seit der Erfindeung des WorldWideWeb immerhin auch schon 30 Jahre vergangen sind, kann man ermessen, wie schnell die Veränderungen des 16. Jahrhunderts wirksam wurden.

Magellans Schiff Victoria

Heute, im Nachhinein, ist es leicht zu erkennen, wer die prägenden Ideen hatte, wer seiner Zeit voraus war oder – freiwillig oder nicht – zur Veränderung beigetragen hat. Für diejenigen, die unmittelbar beteiligt waren, war das nicht so leicht zu erkennen, im Gegenteil. Es ist schwer aus der Masse der Äußerungen, Einschätzungen und Fragen diejenigen zu erkennen, die erklärungsstark sind, wie Machiavellis, oder wirkmächtig, wie Luthers. Und so ist denn auch der Text zunächst zu lesen mit der Frage, was von Luther gewollt und bezweckt wurde, wozu dieses Argument in seiner Zeit diente. Erst im Anschluss lohnt es zu fragen, wie es so weit über seine eigentliche Intention hinaus Wirkung entfalten konnte – und ob es zwingend so kommen musste, oder ob hier schlicht der Zeitgeist hervortrat. Was macht einen Text so prägend? Und wie könnten wir heute erkennen, welche Äußerung bedeutsam ist?

 

Höppner, Ulrike 2010: Thinking in Turbulent Times: On the Relevance of Sixteenth-Century Political Thought. In European Political Science 9:3, 291–303.

Skinner, Quentin 1969: Meaning and Understanding in the History of Ideas. In: History and Theory 8:1, 3-53.

 

„Denn man kann von den Menschen im allgemeinen sagen…“

 

Florenz 1493

Machiavelli lebte in bewegten Zeiten, die Stadt Florenz war ein Epizentrum der Erschütterungen mit denen sich das Mittelalter in die Moderne wandelte. Machiavelli war sowohl Beteiligter als auch Beobachter dieser Veränderungen und viele seiner Überlegungen waren ausgesprochen weitsichtig. Wir haben in der heutigen Sitzung zentrale Punkte des Machiavellischen Menschenbildes herausgearbeitet, die sich in aller Kürze vielleicht so zusammen fassen lassen:

  1. Um zu wissen, wie die Menschen sind, kommt es vor allem auf die Beobachtung an und weniger auf eine normative Vorstellung. Was der Mensch ist, ist für Machiavelli vor allem eine empirische Frage.
  2. Das wesentlichste Kennzeichen des Menschen ist seine Wankelmütigkeit, die Unzuverlässigkeit, die gespeist wird aus Angst und Opportunismus. Auf nichts was versprochen ist, ist Verlass.
  3. Diese Wankelmütigkeit lässt sich politisch – durch kluge Fürsten und gute Institutionen einhegen und so in ihrer negativen Wirkung begrenzen.  Der Mensch ist nicht dazu verdammt, seine schlechten Eigenschaften zur Entfaltung kommen zu lassen, wenn die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden.

Es ist die Ermöglichung solch klugen Regierens, die Machiavelli anstrebte, als er Il Principe und die Discorsi schrieb. Im noch nicht vom modernen Fortschrittsdenken geprägten Geschichtsverständnis Machiavellis (Münkler 2004), lassen sich aus der Geschichte Lehren ziehen über die Gesetzmässigkeiten und Zwänge, denen politisches Handeln unterliegt (necessitá). Ein kluger Fürst erkennt die Gelegenheiten (occasione), die sich daraus ergeben und handelt entsprechend, um seine Macht – und damit die Stabilität des Staates – zu sichern (virtú). Das nötige Quentchen Glück (fortuna) gehört dazu.

Machiavellis Denken war jahrhundertelang verpönt und es wird noch heute oft verkürzt dargestellt. Es lohnt sich jedoch, genau zu lesen und anzuerkennen, dass es ihm nicht allein darum ging, die Fehlbarkeit des Menschen herauszustellen. Oder gar darum, jede grausame Herrschaft zu rechtfertigen. Alles Handeln – sei es von Fürsten oder Massen – muss sich messen lassen an einem Ziel: Dient es dem Erhalt des Staates und der Stabilität des Gemeinwesens.

Am stringenten Aufbau von Machiavellis Argument lässt sich wunderbar sehen, wie aus einer Beschreibung des Menschenbildes, einer Vorstellung davon, wie die Welt funktioniert (necessitá) und einer klaren Zielstellung (Stabilität), klare Handlungsanweisungen für die Politik entwickelt werden.

Machiavellis Denken ist immer wieder eine Herausforderung, aber seine Weitsicht war erstaunlich. Zu einer Zeit, als noch unklar war, welche politische Form sich aus den Turbulenzen des Umbruchs durchsetzen würde, beendet Machiavelli seinen Il principe mit einem Aufruf Italien zu einigen. Für ihn war klar, das der Nationalstaat die Form der Zukunft ist.

Gemälde von Lucas Cranach – Martin Luther und Katharina von Bora

Und doch hat er wesentliche Entwicklungen seiner Zeit falsch eingeschätzt. Er hielt die deutschen Fürsten für sehr wohl in der Lage, mit einem kleinen mitteldeutschen Mönch klar zu kommen, die Wirkung, die die Reformation auf die europäische Geschichte hatte, sah er nicht voraus. Dabei ist es gerade die von Martin Luther popularisierte Weltvorstellung jene, die die Konflikte der kommenden Jahrhunderte prägte. Zwar sah auch Machiavelli in der Religion nur ein Instrument, dass dem Staat dienlich oder weniger dienlich sein konnte. Aber es war Martin Luther, der das vorherrschende Weltbild in Frage stellte und eine radikale theologische Argumentation hervorbrachte, die eine völlig Neuordnung des Verhältnisses von Politik und Religion zur Folge hatten.

Weiterführende Literatur

Diesner, Hans-Joachim 1983: Luther und Machiavelli. In: Theologische Literaturzeitung. Monatsschrift für das gesamte Gebiet der Theologie und Religionswissenschaft. 108:8. 561-570.

Ist das Theorie oder kann das weg?

Was ist das eigentlich, politische Theorie? Und wozu braucht man das? Das sind die Fragen mit denen wir uns in der heutigen Sitzung beschäftigt haben und die sicher immer mal wieder im Verlauf des Seminars mehr oder weniger prominent auftreten werden. Uns bleiben vor allem zwei wesentliche Erkenntnisse:

  1. Politische Theorie ist nicht eine Sache, es gibt eine breite Vielfalt an Herangehensweisen, Perspektiven und Ansätzen. Das heißt aber nicht, dass alles Nachdenken an sich schon politische Theorie ist. An politische Theorie  sind höhere Ansprüche hinsichtlich der internen Widerspruchsfreiheit, der diskursiven Verankerung im bisher bekannten und der argumentativen Stringenz zu stellen. Politische Theorie – sei sie analytisch, deskriptiv, normativ oder kritisch – ist mehr als nur eine abstrakte politische Meinung zu einer allgemeinen Frage.
  2. Politische Theorien erfüllen ganz unterschiedliche Funktionen:
    • Sie verweisen auf die Entwicklung einer Ordnung und oder Idee.
    • Sie beleuchten Probleme aus normativer Perspektive.
    • Sie beschreiben die Wirkungsbeziehungen innerhalb eines politischen Problemfeldes und tragen so zum Verständnis politischer Probleme bei.
    • Sie liefern klare Begriffe für politische Analysen.
    • Sie verweisen auf ihre eigene Begrenztheit und Zeitgebundenheit und damit auch auf die Möglichkeit einer ganz anderen Welt.
    • Sie bilden die Basis für unterschiedliche Formen von Kritik.

Wie in unserer Diskussion auch herauskam, ist damit politische Theorie zumindest implizit in allen Bereichen der Politikwissenschaft ein wesentlicher Bestandteil der wissenschaftlichen Analyse. Es lohnt sich zu lernen, wie man die theoretischen Grundlagen und Annahmen die hinter bestimmten Fragen stehen auch dann erkennt, wenn sie nicht explizit gemacht werden. Das ist ein Ziel unseres Seminars.

Tafelbild

In der kommenden Woche werden wir uns mit Niccoló Machiavelli beschäftigen. Machiavelli gibt aus zwei Gründen den Auftakt zu unserer Beschäftigung mit Menschenbildern der westlichen Moderne:

  1. Er prägt eine neuartige, wenn auch eben stark durch die Veränderungen seiner Zeit geprägte Sicht auf politische Zusammenhänge. Für ihn zählt das, was wirklich ist, und weniger das, was sein sollte.
  2. Sein Menschenbild ist demnach von empirischer Beobachtung geprägt und wird oftmals als negatives Menschenbild bezeichnet. Ob das so ist, können wir am kommenden Freitag diskutieren.

Als kleine Einführung in den Kontext des Textes lohnt sich folgendes Video – vor oder nach dem Lesen. Ich würde nicht alle Interpretationen teilen, aber im Grundsatz wird alles richtig dargestellt.

Weiterführende Literatur

Skinner, Quentin 2004: Nicholó Machiavelli. Zur Einführung. Hamburg: Junius.

Münkler, Herfried 2004: Niccoló Machialli. Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz. Frankfurt a.M.: S.Fischer .