Teil 3 einer kleinen Serie über Niederländisch und Französisch (und mehr).
Nach den Anschlägen in Brüssel waren sie wieder allerorten zu lesen, die Hashtags der Unterstützung. Was die Einen als berührende Geste der Solidarität empfinden, ist für die Anderen ein Zeichen simpler Anbiederung. Wir wollen uns um diese Frage nicht scheren und uns einfach nur anschauen, was in den sozialen Netzwerken tatsächlich geschrieben wird.
Im vergangenen Jahr waren die Hashtags #jesuischarlie und #jesuisparis sehr beliebt. Danach trat #jesuisBrussels die Nachfolge an. Allerdings ist nicht so ganz klar, welcher Hashtag sich als Nachfolger wirklich durchsetzen konnte. Das Schema bietet nämlich ein paar Möglichkeiten zur Variation.
Man könnte sagen, die Grundform entspricht der Kombination [ich bin] + [Ort/Land/Institution]. Dabei hat sich für [ich bin] inzwischen mehr oder weniger deutlich die französische Variante je suis durchgesetzt. Das liegt daran, dass die drei dramatischen Ereignisse, nach denen diese Art von Hashtags aufkam, in französischsprachigen Städten stattfanden, nämlich zweimal in Paris (Charlie Hebdo, Bataclan etc.) und einmal in Brüssel. Es regt sich inzwischen viel Empörung, weil Anschläge außerhalb Europas weniger Aufmerksamkeit oder Empörung hervorrufen. Wer darauf aufmerksam machen möchte, greift auf Twitter häufig zum bewährten Schema: #jesuisAnkara, #jesuisIstanbul oder #jesuisPakistan.
Wenn die drei Ereignisse in der frankophonen Welt nicht den Grundton gesetzt hätten, wären die Hashtags vielleicht anders ausgefallen. Hätte es das Muster schon früher gegeben, dann hätten wir im Juli 2011 vielleicht #jegerUtøya lesen können, oder nach den Zuganschlägen 2004 auch #estoyMadrid (möglicherweise sogar #soyMadrid, je nachdem wie permanent die Unterstützung gemeint ist).
Interessant ist im Fall von Brüssel, dass je suis in den meistens gleich bleibt, aber der Name der Stadt in unterschiedlichen Formen vorkommt, zum Beispiel als
#jesuisBruxelles
#jesuisBrussels
#jesuisBrussel
Die erste Form ist die konsequenteste, weil durchgehend französisch. Die zweite Form ist wegen ihrer Mischung interessant: je suis bleibt unverändert, weil es sozusagen der Standardfall ist. Die englische Bezeichnung Brussels zeugt von der internationalen Bedeutung nicht nur der sozialen Netzwerke, sondern auch der Stadt. Nicht umsonst betonen viele, dass Brüssel bei den Anschlägen als Symbol für Europa und internationale Stadt der Begegnungen und Offenheit als Ziel ausgewählt wurde. Bei Charlie (Hebdo) und Paris standen keine anderen Schreibweisen zur Verfügung. Hier musste es ausreichen, dass die Zeitung bzw. der unveränderliche Name der Stadt an sich für die Bedeutung „offene, westliche Gesellschaft“ standen, mit der man sich identifizieren wollte.
Und was hat es mit der dritten Form #jesuisBrussel auf sich? Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine sehr belgische Lösung: halb französisch, halb niederländisch. Sehr viele Tweets mit diesem Hashtag sind auf Englisch, man kann die Intention hinter der speziellen Form nicht so genau ablesen. Vermutlich steckt in vielen Fällen ein Tippfehler dahinter, wenn einfach das –s in Brussels verloren gegangen ist.
Aber in Belgien ist auch Solidarität eine Frage communautairer Ausgewogenheit:
It's not just #jesuisbrussel , it's #IkBenBrussels as well.
— Sara (@greylilrabbit) March 22, 2016
Mit dieser Anmerkung hat Sara gar nicht so Unrecht, denn einer der beiden Anschläge fand streng genommen nicht in Brüssel statt, sondern in Flandern. Der Flughafen liegt (größtenteils) in der Gemeinde Zaventem, also deutlich außerhalb der Region Brüssel-Hauptstadt. Deshalb wäre es nicht verkehrt, dem Hashtag auch ein Stückchen Niederländisch zu gönnen. Sucht man auf Twitter nach dem Hashtag #ikbenBrussel, so findet man in aller Regel Tweets mit zwei Schlagwörtern. Neben der niederländischen Variante kommt fast immer auch die französische vor. Umgekehrt gilt das nicht unbedingt. Wer #jesuisBruxelles schreibt, ergänzt nicht automatisch mit #ikbenBrussel, sondern zum Beispiel eher mit #prayforBelgium. Belgien ist in den Augen der Welt eben doch ein Land, das stärker mit Französisch als mit Niederländisch in Verbindung gebracht wird. Dieser Eindruck dürfte stärker von der sprachlichen Wirklichkeit in Brüssel geprägt sein (und von der historischen und weltweiten Bedeutung des Französischen) als von der rein zahlenmäßigen Mehrheit der Niederländischsprachigen im Gesamtstaat.
Natürlich zählt der gute Wille mehr als die Details der korrekten Sprachwahl – ganz abgesehen davon, dass viele Anschlagsopfer weder frankophon noch niederländischsprachig sind. Dass man auf Twitter über solche Fragen nachdenkt, zeigt auf jeden Fall eines: Es kommt gerade in Belgien nicht nur darauf an, mit wem man solidarisch ist, sondern auch wie.
*Anmerkung zur zweiten Abbildung: Welche Sprache fehlt bzw. eine andere ersetzt, ist natürlich auch eine Frage der Perspektive. Man könnte genauso „Englisch statt Niederländisch“ sagen (dann wären die drei offiziellen Sprachen Belgiens komplett). Oder man kann sich wundern, warum das Plakat in drei statt vier Sprachen geschrieben wurde (Belgiens drei Sprachen + internationales Englisch). Dass ich mir die Frage genau in dieser Form gestellt habe, sagt wohl mehr aus über meine Sicht auf die Bedeutung des Deutschen als über die Message des Plakats.
Tags: Auf Deutsch, Belgien
Am 3. April 2016 um 11:10 Uhr
Der Tagesspiegel, der sich letzte Woche noch diesen Schnitzer leistete…
Die beiden Landesteile der Flamen und Wallonen standen kulturgeschichtlich betrachtet unter ganz verschiedenen Einflüssen, des eher protestantischen Nordeuropa sowie des eher katholischen Südeuropa. (Christopher Ziedler: Tsp 28.03.16), bringt heute einen schönen Artikel von Bernd Müllender: Königreich Fritannien.