Wird mal wieder Zeit für 1 Blog. Die Ziffer 1 macht im Internet gerade eine erstaunliche Karriere, und zwar gleich zweifach. Dual career, sozusagen. Die eine Variante könnte man Empörungs-1 nennen. Sie mischt sich mit Ausrufezeichen und parodiert insbesondere den Schriftgebrauch des durchschnittlichen Wutbürgers (das amtliche Gegenteil des Gutmenschen) im Internet: Im Eifer des Kommentierens geraten Einsen und Ausrufezeichen durcheinander, die auf derselben Taste liegen. Marc van Oostendorp hat schon vor einiger Zeit herausgefunden, dass die häufigste Kombination „!!1!“ lautet, aber auch immer häufiger die ausgeschriebenen Zahlwörter eins oder elf (in verschiedenen Sprachen) eingefügt werden, um die Ironie noch zu unterstreichen. Die Empörungs-1 scheint ein relativ internationales Phänomen zu sein, abgesehen von Sprachgemeinschaften, deren Computertastatur nicht dieselbe Belegung kennen, so dass die Verwechslung von Eins und Ausrufezeichen nicht so nahe liegt.
Die zweite Variante könnten wir Swagger-1 nennen. Kreuz und quer durch den virtuellen Blätterwald wurde das Phänomen schon diskutiert, von jetzt.de über die taz bis zur Süddeutschen Zeitung. Hintergrund dieser neuen Eins ist ebenso eine Parodie, nämlich auf Internet-Jugendsprache. Dort wird viel mit Verkürzungen, Ersetzungen, Wortspielen, Ähnlichkeiten und absichtlichen ‚Fehlern‘ gearbeitet, die häufig einem klaren Regelwerk folgen. Eine dieser Regeln lautet: Ersetze alle unbestimmten Artikel im Singular durch die Ziffer 1. Interessanterweise ist diese Eins bisher eine deutsche Besonderheit. Auf Englisch funktioniert die Ersetzung nicht so gut, weil der unbestimmte Artikel a(n) und das Zahlwort one sich deutlich unterscheiden. Auf Deutsch sind sich beide sehr viel ähnlicher, aber längst nicht identisch. Oft genug muss man ein/e/n flektieren, je nach Genus und Kasus des Substantivs. Das hält die Internetcommunity aber nicht davon ab, die 1 einfach zu verallgemeinern, wie zum Beispiel in dem Artikel auf jetzt.de:
Das hier ist 1 Text. Geschrieben von 1 Autorin.
Es entspräche wohl kaum den Regeln der Swagger-1, wenn hier „geschrieben von 1er Autorin“ stünde. Oder, mit einem anderen Gegenwartsphänomen gesagt: Das wäre nen Fehler. Häufig beobachtet man beim unbestimmten Artikel die Kurzform nen, abgeleitet von einen, und zwar auch dort, wo eigentlich nicht einen stehen müsste, sondern ein oder eine. Der Trend scheint also in der informellen Schriftsprache weiter in Richtung Flexionsabbau zu gehen. Übrigens auch in der mündlichen Sprache. Ein ehemaliger Kollege in der Germanistik produzierte regelmäßig Äußerungen wie: „Kannst du mir mal helfen? Ich hab nen Problem.“
Und das Niederländische? Es verschließt sich bisher noch diesen Entwicklungen. Obwohl es sich dafür eigentlich besonders eignen würde, denn der Kasus beim unbestimmten Artikel ist hier quasi vollständig verschwunden (außer bisweilen in Flandern, wo wir zum Beispiel auch noch ein nen hören können). Das Zahlwort een und der Artikel een sind einander in der Schrift sogar derart ähnlich, dass man häufig die mit Akzenten betonte Form één braucht, wenn es wirklich um die Eins gehen soll. Der flämische Fernsehsehnder één ist dafür das beste Beispiel. In der gesprochenen Sprache wird der Artikel oft reduziert bis zu einem kurzen n – genau wie im Deutschen. Das hält die hiesige Internetcommunity trotzdem nicht davon ab, den unbetonten und reduzierten Artikel mit der eigentlich besonders betonbaren Ziffer 1 zu ersetzen. Trotz all dieser Parallelen zwischen Deutsch und Niederländisch ist die Swagger-1 noch nicht nach Westen durchgedrungen.
Sucht man auf Google und Twitter nach niederländischen Belegen für Einsen vor Substantiven (sowieso keine leichte Aufgabe, nach „1“ zu suchen), bekommt man vor allem Aussagen, in denen die Ziffer für das Zahlwort steht. Es geht dann also darum zu betonen, dass genau eins und nicht etwa mehrere Dinge gemeint sind. Aber es gibt schon den einen oder anderen Zweifelsfall, zum Beispiel:
1 constante in alle politieke peilingen: álle schommelingen vallen binnen foutenmarge. Statistisch gebeurt er dus niks. #destandaard
— Wouter Duyck (@wduyck) October 10, 2016
Den Satz kann man auf zweierlei Weisen lesen. Entweder bedeutet er één constante in álle peilingen – man kann sich dann zwei betonte Wörter in dem Satz vorstellen um zu unterstreichen, dass trotz der Vielzahl von Umfragen jedenfalls genau eine Gemeinsamkeit besteht. Oder aber man betont een nicht. Dann geht es nur darum, dass es in der Vielzahl von Umfragen jedenfalls eine Konstante gibt, es könnten aber auch mehr sein (die man jetzt nicht konkret anspricht). Die erste Interpretation liegt wohl näher, und vermutlich wurde genau deshalb die Ziffer 1 gewählt. Weniger offenkundig sieht es bei diesem Tweet aus:
4 jaar gelden had ik 1 date met iemand die niet van opgeven weet. Tot vandaag… pic.twitter.com/9U0AJEeDOd
— Lee (@Leelovable) October 9, 2016
Auch hier funktioniert durchaus die Variante mit einem betonten één: Ich hatte nur ein Date, das aber alles verändert hat. Aber mindestens genauso passend ist die Lesart, dass es nur um einen unbestimmten Artikel geht – dann wäre Date betont. Zumindest erkennt man daran, wie Zahlwort und unbestimmter Artikel immer noch ineinander fließen und man gerade in der Schrift nicht so einfach den Unterschied bestimmen kann. In der gesprochenen Sprache kann die Betonung helfen. Die Ziffer 1 wird im Niederländischen im Internet-Schriftgebrauch noch vornehmlich dafür benutzt, die Hervorhebung als Zahlenwert erkennbar zu machen – im Deutschen dagegen hat sich die Swagger-1 davon völlig gelöst und ist zu einer Art „ironischem Artikel“ übergegangen. Ob das Niederländische das demnächst auch tut? Müssen wir noch 1 Zeitlang abwartem, vong Sprachwandel her.
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