Was bisher geschah…
Ein Rückblick auf den Sommer, Teil 1
Sommerloch, das war einmal. Nicht dass der Wahlkampf in Deutschland besonders spannend gewesen wäre. Aber Neuigkeiten zur niederländischen Sprache, die gab es in diesem Sommer regelmäßig.
Kaum waren wir in Urlaub gefahren, erschreckte uns ein Kollege aus den Niederlanden. Der Sinologe Rint Sybesma schrieb in der Volkskrant: „Schaf het Nederlands gewoon af.“ Das Niederländische als kleine Sprache habe in der Globalisierung ohnehin keine Chance, Bildungssprache sei längst Englisch und es sei niemandem zuzumuten, Niederländisch zu lernen. Sicher, es würde eine Übergangsphase geben, in der die Bildungschancen einiger Menschen schlechter sind, weil ihr Englisch nicht gut genug ist. Aber auf lange Sicht würde der Wechsel zum Englischen dem Land sogar Vorteile bringen – nämlich dieselben, die auch heute schon alle anderen haben, deren Erstsprache Englisch ist. Und da tagtäglich irgendwelche Sprachen aussterben, spiele es keine große Rolle, wenn das Niederländische auch untergeht.
Ein realistisches Szenario? Eine Sprache abschaffen, geht das überhaupt? Nun gibt es natürlich in der Geschichte jede Menge Beispiele dafür. Frankreich hat seine Regionalsprachen innerhalb relativ kurzer Zeit sehr effektiv fast vollständig ausgerottet. Ähnlich erging es den indigenen Sprachen der USA oder Australiens. Allerdings ging es in diesen Fällen immer um die Sprachen der sozial Schwächeren, der weniger Beteiligten, der weniger Gebildeten. Was aber, wenn das Niederländische gegenüber dem Englischen genau in diese Rolle gerät?
Wie man genau eine Sprache abschafft, ist dabei noch lange nicht geklärt. Das dürfte nur durch Verbote, Strafen und Zwang zu machen sein. Kein besonders beliebter Politikstil in einer Demokratie, insbesondere im Land der Kompromisse und der Konsenssuche.
Nun könnte man genauso gut die Frage stellen, ob das Englische die richtige Wahl ist. Vielleicht müsste man stattdessen eher gleich an Chinesisch denken. Soweit möchte noch nicht einmal der Sinologe selbst gehen. Er möchte außerdem auch nicht: ernst genommen werden.
Der Artikel war natürlich nur eine Provokation. Ein gut versteckter, nicht auf den ersten Blick als Satire erkennbarer Denkanstoß, für den man ein bisschen Humor braucht und vielleicht auch bereit ist, noch eine weitere Runde nachzudenken, vielleicht sogar ein wenig zu recherchieren. Dann stellt man fest, dass Sybesma schon einmal genau das Gegenteil geäußert hat. Wer dazu erwartbar nicht in der Lage war, ist der rechte Rand der Öffentlichkeit. Der ist bekanntermaßen überfordert mit Satire und erst recht mit der Aufgabe, Texte kritisch zu lesen und bei Bedarf noch einmal zu überprüfen. Das Resultat waren Anfeindungen und die üblichen Reflexe, bis hinein in eingeübte Formulierungen vom „kulturellen Selbstmord“.
Was lernen wir daraus? Niederländisch – oder jede andere Sprache – gut zu beherrschen, hängt nicht nur von Grammatik und Vokabeln ab, sondern auch von der Fähigkeit, einen Zeitungsartikel als das zu durchschauen, was er ist. Vielleicht ist es deshalb ganz gut, dass es noch Menschen gibt, die andere Sprachen studieren und die in anderen Sprachen als nur Englisch studieren. Das schützt vor Einfalt – also auch davor, im Internet mit peinlichen Protestkolumnen den immergleichen Phantomen hinterherzujagen.
Damit auch wirklich alle den Witz verstehen, hat Sybesma später in der Volkskrant seinen Beitrag noch einmal erklärt. Was er leider nicht getan hat: Den Applaus von der falschen Seite davonzuweisen. Denn ob man sich für das Niederländische aus Lust an der Vielfalt oder aus reinem Nationalismus einsetzt, macht doch einen großen Unterschied.
Tags: Auf Deutsch, Sprachpolitik