Vor einiger Zeit trötete die CSU in Deutschland wieder eine ihrer berühmten Provokationsforderungen in den Raum: In Migrantenfamilien solle gefälligst zuhause Deutsch gesprochen werden. Dass das sowohl für den Spracherwerb der Kinder als auch für die gesellschaftliche Anerkennung von Mehrsprachigkeit ziemlich unsinnig ist, kümmerte die Partei wenig.
Weniger plakativ, dafür ausgestattet mit ähnlich vielen unterschwelligen Annahmen, kommt nun der neue Integratierapport der flämischen Regierung daher. Dass dafür Liesbeth Homans (die Ministerin mit dem meterlangen Ressortnamen) von der N-VA verantwortlich ist, überrascht wenig. Wie sehr die Tageszeitung De Morgen Grundannahmen aus dieser politischen Richtung übernimmt – wahrscheinlich ohne es zu merken –, das überrascht schon mehr.
Auffällig ist zuerst einmal die Auswahl der Personen, die für den Bericht befragt wurden, nämlich „Vlamingen en Brusselaars van Belgische, Turkse, Marokkaanse, Poolse, Roemeense en Congolese origine“. Mit anderen Worten: Man vergleicht Menschen mit langer belgischer Familiengeschichte und solche aus sorgfältig ausgewählten Herkunftsländern. Migration zum Beispiel aus den Nachbarländern, aus West- und Südeuropa kommt in dem Bericht nicht vor. Bei wem man „Integration“ überhaupt beurteilen muss, ist damit klar.
Ein Kennwert, für den man sich De Morgen und die flämische Regierung besonders interessieren, ist genau die alte CSU-Forderung: Wird in den Familien zuhause Niederländisch gesprochen? Die Zahlen für die verschiedenen Herkunftsgruppen werden nicht nur genannt, sondern auch bewertet. In Familien mit rumänischem Hintergrund wird zuhause beispielsweise wenig Niederländisch gesprochen – dagegen: „Turkse en Marokkaanse Vlamingen doen het een pak beter.“
Warum das besser ist, bleibt das Geheimnis der Redaktion. Aus Sicht der Mehrsprachigkeitsforschung ist das keineswegs unbedingt wünschenswert. Wichtig ist vor allem, dass Eltern und Kinder viel, ungezwungen und konstruktiv miteinander sprechen, egal in welcher Sprache. Und die Familie ist der wichtigste Ort, an dem die Herkunftssprachen weitergegeben werden, so dass Mehrsprachigkeit überhaupt wachsen kann.
Aus dem knappen Sätzlein in der Zeitung wird eine ziemlich harte Sichtweise deutlich: Ein gut integrierter Migrant ist der, der sich auch in den eigenen vier Wänden an die umgebende Gesellschaft anpasst. Letztendlich steht die Erwartung im Raum, die Herkunftssprache aufzugeben oder zumindest das Niederländische als weitere Familiensprache anzunehmen – ob das nun für die Kommunikation in der Familie natürlich ist oder nicht.
Warum man überhaupt diese Frage in einer Untersuchung zur Integration stellen muss, bleibt das Geheimnis der flämischen Regierung. Und die Zeitung stellt sich offenbar auch keine Fragen zu den Hintergründen dieses Kriteriums. Sie übernimmt die Angaben einfach als eine Art der Information, mit der sich Integration messen lassen soll.
Wie die „ur-belgische“ Vergleichsgruppe genau aussieht, auch darüber lässt uns die Zeitung im Unklaren. Über das Sprachverhalten von Frankophonen in Flandern oder umgekehrt erfahren wir nichts. Einerseits gut, weil damit ein Stück Fixierung auf das Zweierverhältnis wegfällt. Andererseits gar nicht gut, weil die Obsession mit Migration in Flandern langsam anstelle des innerbelgischen Konflikts zu treten scheint.
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