In diesen Tagen geht durch die Zeitungen und Feuilletons eine Debatte: Wer oder was ist eigentlich „ostdeutsch“? Zur umfassenden Identitätssuche gehört oft auch die Frage, ob es in der Sprache noch DDR-Erbe gibt.
Ob auf Dauer Kombinat oder die Kaufhalle überleben werden – wer weiß? Übersehen wird manchmal, dass auch die Wiedervereinigung selbst einen neuen Wortschatz geprägt hat, darunter den Wendehals oder die Treuhand. Zu den recht oft benutzten, aber wenig beachteten Neuerungen gehört ein Adjektiv: ostig.
Der Duden umschreibt das Wort mit „ostdeutsch [wirkend], (aus westdeutscher Sicht) für die DDR typisch“. Eingebaut ist also schon eine bestimmte Perspektive, oft auch eine Wertung. Als ostig gelten Dinge, die eher nicht für wertvoll, ästhetisch oder fortschrittlich gehalten werden. (Hier mehr Belege und eine gute Erläuterung.)
Im Van Dale gibt es keine niederländische Entsprechung für das Adjektiv; vielleicht ist es einfach zu spezifisch? Eine Übersetzung lässt sich schwer spontan erfinden. Oostijk oder oosterijk (sieht zu sehr aus wie Oostenrijk),vielleicht oostachtig? Auch auf das schon bestehende oostelijk kann man schwer zurückgreifen: Ich vermute, einen Satz wie Het behang in deze kamer ziet er erg oostelijk uit würden nur wenige verstehen oder sinnvoll finden.
Es wird nicht einfacher dadurch, dass sich die Adjektive mit Bezug zum Osten im Deutschen und Niederländischen teils überschneiden, aber nicht vollständig. Eine ungefähre Zuordnung könnte so aussehen:
oostelijk | östlich |
oosters | östlich |
? | ostig |
Oostelijk bezieht sich in erster Linie auf die Himmelsrichtung, also auf ein geographisches Kriterium. Wo Osten ist, ist immer relativ, je nach Standpunkt. Deshalb ist es merkwürdig,
wenn etwas oostelijk aussehen soll. Oosters ist tendenziell stärker verbunden mit einem östlichen Kulturraum und an den Standpunkt (West)Europa geknüpft. Was oosters ist, liegt in Osteuropa oder sogar eher in Asien, im früher so genannten Orient oder kolonialhistorisch bisweilen auch in de Oost. Eine Tapete, die oosters aussieht, wirkt wie aus Asien oder dem Nahen Osten – jedenfalls nicht ostig.
Interessanterweise nennt der Van Dale bei beiden Wörtern als Alternative noch oriëntaal, etwa beim Beispiel de oostelijke uithoek van Azië. Ob man den östlichsten Rand Asiens ohne seltsame Blicke des Gegenübers auch de oriëntale uithoek van Azië nennen könnte, da habe ich meine Zweifel.
Das Gegenstück zu oosters ist westers, während oostelijk und westelijk einander gegenüberstehen. Die Bedeutungen verhalten sich in etwa parallel; auf Deutsch kennen wir auch hier nur westlich (oder im Höchstfall noch okzidental). Ein Gegenstück zu ostig gibt es dagegen nicht. Dabei könnte man typisch westdeutsch anmutende Erscheinungen ohne Probleme auch westig nennen. Mir würde dazu jede Menge einfallen: von Autobahnen zerschnittene Innenstädte, 3-stöckige Mehrfamilienhäuser mit alttürkisfarbenen Kacheln im Eingangsflur, insgesamt die Ästhetik ungefähr jeder durchschnittlichen Seitenstraße in Wilmersdorf.
Interessanterweise kennt das Deutsche sehr wohl Unterscheidungen bei Nord und Süd:
zuidelijk | südlich |
zuiders | südländisch |
noordelijk | nördlich |
noords | nordisch |
Nun hat südländisch inzwischen viele Konnotationen angehäuft, entweder ein halb romantisiertes und halb paternalistisches Bild von Lebensgefühl und Nichtstun im Mittelmeerraum, oder aber eine kaum verhüllte Chiffre für rassistische Umschreibungen von Menschen, die man nicht im Land haben möchte. Zumindest das erste Bündel von Konnotationen trifft auf zuiders auch zu. Das Wort sehen der Van Dale und Taaladvies übrigens als belgisch an; in den Niederlanden gibt es nur zuidelijk. Dass im Norden des Sprachgebiets ausgerechnet die Unterscheidung zuiders – zuidelijk nicht funktionieren soll, da wäre ich neugierig auf muttersprachliche Einschätzungen.
Und auch warum es im Niederländischen noords und nicht noorders heißt, darf mir gerne jemand erklären. Mit etwas Nordischem geht es jedenfalls demnächst weiter: In den Dänischen Miszellen III und IV, unter anderem mit der Nord- und Westsee.
Tags: Auf Deutsch
Am 26. Januar 2019 um 23:36 Uhr
Nordisch, westisch und ostisch gab es in der damaligen Rassenlehre. Letzteres interessiert hier, die ostische Rasse hieß auch alpine Rasse, Hauptsitze laut Knaurs Konversationslexikon 1936: Schlesien, Erzgebirge, Schweiz, Lothringen, Elsaß. Der Ausdruck war missverständlich und wurde auch für die slawischen Völker verwendet.