In den Niederlanden ist er schon lange zu beobachten: der Trend zum (oder zur?) bakfiets. Wörtlich übersetzt ist das ein „Kistenfahrrad“. Das Van Dale-Wörterbuch umschreibt es mit „driewieler met een bak (vóór de bestuurder), bestemd voor het vervoer van niet te grote vrachten of kinderen“. Neben diesem klassischen Dreirad mit Transport-Kiste vor dem Lenker, gibt es bakfietsen auch mit zwei Rädern, und der Elektromotor wird immer mehr zum Standard.
Das Wort haben wir in Deutschland – zusammen mit den Rädern – ab ca. 2005 aus den Niederlanden übernommen, als Markenname (vgl. bakfiets.nl), dann aber auch immer öfter als Gattungsname. Für einige SprecherInnen des Deutschen scheint fast jedes Lastenrad ein(e) Bakfiets zu sein.
Bezüglich des Wortgeschlechts sind wir uns im Deutschen nicht so ganz sicher. Ist es das oder der Bakfiets? Oder vielleicht doch die Bakfiets? Alle drei Varianten kommen vor, aber für mich ist es klar die Bakfiets. Mit meiner Präferenz fürs Femininum scheine ich allerdings in der Minderheit zu sein, wie eine kurze Befragung der KollegInnen ergab. Daher habe ich gestern die Schwarmintelligenz bemüht und Twitter gefragt. An dieser Twitter-Umfrage haben 1002 Leute beteiligt. Toll! Das Resultat: das Bakfiets liegt mit 42% ganz knapp vor der Bakfiets (mit 41%). Deutlich abgeschlagen ist mit 17% die weibliche Variante.
Einige Anmerkungen hierzu: Bei den ersten 200 Votes, lag zunächst das Neutrum klar vorne (mit ca. 75%). Dann wurde meine Umfrage von mehreren NiederländerInnen geteilt und der Wert für der Bakfiets schoss in die Höhe. Das ist interessant. Es sagt zwar nicht so sehr viel über das Deutsche aus, aber wohl darüber, wie über Sprache gedacht wird. Wir suchen ständig nach ‚logischen Erklärungen‘ für sprachliche Phänomene bzw. nach Erklärungen, die für uns eine gewisse Logik besitzen.
Viele NiederländerInnen (das kann man den Antworten und Kommentaren zur Umfrage entnehmen) waren der Meinung, dass das Wort auf keinen Fall Neutrum sein kann, weil es ja im Niederländischen ein ‚de-Wort‘ ist (in dieser Kategorie sind im Niederländischen Maskulinum und Femininum zusammengefallen). Wenn man in einem Text auf das Wort verweist, dann zeigt sich im Niederländischen aber noch das Maskulinum: Ik heb een nieuwe fiets. Hij staat om de hoek. (Wörtlich: ‚Ich habe ein neues Fahrrad. Er steht um die Ecke.‘). Daher, so die Logik vieler MuttersprachlerInnen des Niederländischen, muss es auch im Deutschen Maskulinum sein, denn „das Wortgeschlecht wird bei Lehnwörtern mitentlehnt“ (so schreibt ein Twitterer in einem Kommentar). Das mag zwar logisch erscheinen, es stimmt aber nicht.
Wenn wir Fremdwörter entlehnen, dann gibt es diverse Kriterien, die für die Zuweisung des Genus eine Rolle spielen. Das Genus in der Ursprungssprache ist nur eines dieser Kriterien und oft nicht einmal das wichtigste. Die deutsche Vorliebe fürs Neutrum erklärt sich im Fall von Bakfiets wohl vor allem aufgrund der Analogie zu das Fahrrad. Auch wenn es für viele der NiederländerInnen, die die Umfrage kommentiert haben, sehr falsch klingt: für die meisten Deutschen dürfte es wohl das Bakfiets sein.
Häufig sehen wir in der ersten Phase der Verwendung eines Lehnwortes gewisse Schwankungen, die sich manchmal auch verfestigen können. Man denke hierbei z.B. an E-Mail, nach anfänglicher Schwankung zwischen Neutrum und Femininum jetzt in Deutschland klar ein feminines Wort (die E-Mail), in der Schweiz aber Neutrum (das E-Mail). Und auch bei vielen anderen Lehnwörtern gibt es Doppelformen (der Blog und das Blog usw.). Sprachvergleichend sind in diesem Zusammenhang auch Wörter wie Auto interessant, die wir sowohl ins Deutsche (das Auto, Neutrum) als auch ins Niederländische (de auto, Maskulinum) übernommen haben.
Bleibt die Frage, warum sich für mich persönlich die Bakfiets besser anhört als die beiden anderen Varianten. Ich komme ursprünglich aus dem westlichen Münsterland, und da ist die Fiets eine durchaus gängige Bezeichnung für ein Fahrrad. Auch im Westmünsterländischen Platt ist fiets(e) das (weibliche) Wort für ‚Fahrrad‘ (vgl. Wörterbuch der westmünsterländischen Mundart). Am Niederrhein ist Fiets ebenfalls ein gängiges Lehnwort, und auch dort ist es in der Regel weiblich (wie aus diversen Kommentaren zur Umfrage hervorgeht). Und da übernehmen wir dann das Genus auch für die Zusammensetzung: die Bakfiets.
Dass das Wort Fiets entlang der Grenze zum niederländischen Sprachraum als Femininum verwendet wird, ist kein Wunder: auch im Niederländischen war es schließlich um 1900 zunächst ein feminines Substantiv, wie ein Blick in das Woordenboek der Nederlandsche Taal (WNT) zeigt. Dass es heute in den Niederlanden meist als Maskulinum gesehen wird, ist eine neuere Entwicklung.
Auch nach meiner kleinen Twitter-Umfrage und auch mit all diesen zusätzlichen Infos wissen wir jetzt also immer noch nicht eindeutig, welches Geschlecht Bakfiets denn nun im Deutschen hat. Aber zumindest kann man jetzt vielleicht etwas besser nachvollziehen, warum das nicht so klar ist.
Übrigens: Auch beim Plural zögern einige SchreiberInnen, und man findet neben Bakfietsen auch drei Bakfiets, also eine Pluralform, die identisch mit dem Singular ist (wie bei Messer oder Kabel).
Verbakfietsisierung
Man sieht diese Bakfietsen jetzt überall in Berlin, und sie werden immer schicker (und dank Motor auch immer schneller). Sobald das erste Kind unterwegs ist, fängt man in Kreuzberg und Neukölln an, sich über Bakfietsen zu informieren, um spätestens beim zweiten Kind ein solches Rad zu erwerben. In Dahlem fährt die Mutter ihre Kinder im Cayenne zum Tennis, in Neukölln sind Bakfiets-Eltern des hippe Pendant. Daher ist es auch kein Wunder, dass der Bezirk Neukölln jetzt die ersten Lastenrad-Parkplätze eingerichtet hat.
Für Wouter Meijer, ehemaliger Berlin-Korrespodent für den niederländischen Rundfunk, Anlass, in einem Tweet das schöne Verb verbakfietsen zu verwenden: „Berlijn verbakfietst ook“, schrieb er. Ein recht neues niederländisches Wort, das wir auch im Deutschen gut gebrauchen könnten: Neukölln verbakfietst. Oder, noch besser, wir nehmen gleich noch ein paar Suffixe dazu und machen daraus ein schönes Substantiv: die Verbakfietsisierung Neuköllns.
Im Juli 2018 hat Lars Weisbrod in der Zeit seinen „Wutausbruch“ über das „Radfahren als Klassenkampf von oben“ veröffentlicht. Da regt er sich auch über die Lastenräder auf: „Kein Wunder, dass das Bakfiets in Städten wie Rotterdam bereits zum verhassten Symbol der Gentrifizierung geworden ist.“
Soweit sind wir noch nicht, aber der Trend zum Fahrrad hat halt auch in Berlin Konsequenzen für das Straßenbild. Es wird bunter (grüne und rote Radwege; grüne Punkte in der Bergmannstraße), überall stehen (und liegen) Leihfahrräder herum, neue Fahrradstraßen entstehen, und die Verpollerung der Stadt scheint unaufhaltsam und unumgänglich, da wohl nur durch Poller geschützte Radwege die AutofahrerInnen wirklich davon abhalten, eben diese Radwege zuzuparken. Und neben vielen neuen Fahrradstellplätzen kommen jetzt also die ersten Parkplätze speziell für Bakfietsen. Man darf gespannt sein, wie (und wo) die neue Lust am Fahrrad sich als nächstes bemerkbar macht, im Straßenbild, aber auch in der Sprache.
Tags: Auf Deutsch
Am 20. Mai 2019 um 22:36 Uhr
Ich (Deutscher, wohnhaft in Roermond) finde den Artikel gut, hätte persönlich auch für „das Bakfiets“ gestimmt. Was mir beim lesen aber auf den Wecker geht, sind die vielen Binnen-I-s. Das ist eine gruselige Verholperung des Schriftbilds. Auch hier machen es die Niederländer besser. Hier gibt es „minister voor …“, egal ob es Mann oder Frau ist. Und eine weibliche Hochschullehrerin ist einfach „professor“. Die typisch deutschen Verkrampfungen hat man sich gespart.
Am 8. Juni 2019 um 17:38 Uhr
Dass gerade an der Grenze zwischen den Niederlanden und Deutschland das Wort Fiets entstanden ist, erklärt vielleicht die Tatsache, dass das Wort Fiets im Münsterland verwendet wird. Etymologisch soll das Wort im späten 19. Jh. vom französischen Wort: „Vélocipede“ stammen, das volksetymologisch zu „Vizepferd“ wurde und von dem Wort wurde der erste Teil dann zu „Fiets“ umgestaltet.