Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Cariolisch

Rund um die Weihnachtszeit ist im niederländischen Sprachraum wieder einmal Saison für Debatten über politische Korrektheit. Vermeiden wir lieber erneut den schwarz angemalten elephant in the room und kümmern wir uns um unsere eigene Disziplin: Die Linguistik hat durchaus auch ihre Leichen im Keller (nl. een lijk in de kast hebben) und nutzt gelegentlich noch ziemlich ungeschminkte Bezeichnungen für so manche Sprache.

Bei ausgestorbenen Sprachen kann man beispielsweise die Sprechergemeinschaft nicht um ihre Meinung bitten. Es hilft für die Gegenwart also nur eine innere Gewissensprüfung. Die scheint bei der Bezeichnung Negerhollands noch auszustehen. Wohl ist man sich in der Linguistik bewusst, dass der Begriff hässliche Konnotationen mit sich bringt. Dennoch sind bessere Vorschläge bisher rar. Dabei ist nicht nur der erste Teil der gegenwärtigen Sprachbezeichnung problematisch, sondern auch der Anteil -hollands. Immerhin spielten bei der Entwicklung dieser Sprache vor allem die Dialekte Seelands und Westflanderns eine bedeutende Rolle, weniger die holländischen. (Sehr ausführliche Ressourcen über die Sprache gibt es bei den Kollegen in Nijmegen.) Sicherlich kann man Negerhollands als historische Terminologie sehen. Diese Bezeichnung kam aber erst im 19. Jahrhundert auf – als Produkt einer Zeit, in der Rassedenken und Sprachreflexion enge Verbindungen eingingen. Ältere Quellen sprechen dagegen einfach nur von Kreolisch (in verschiedenen Schreibweisen, etwa dt. als cariolisch, nl. als carriols). In der Gegenwart ist oft die Rede von Virgin Islands Dutch Creole, kurz VIDC. Das ist akkurat und eindeutig, allerdings auch sperrig und lässt sich nur holprig in andere Sprachen übertragen oder etwa zum Adjektiv umformen.

Zugegebenermaßen ist die Suche nach einer besseren Terminologie schwierig. Bei der ebenfalls ausgestorbenen Kreolsprache Berbice-Nederlands (oft auch Berbice Dutch) im heutigen Guyana greift man wieder auf ein Toponym zurück. Jungfrauinselisch oder Maagdeneilands klingt allerdings schräg und ist zudem ungenau, denn man hat es nur mit den heutigen Amerikanischen Jungferninseln zu tun, die von den Britischen Jungferninseln unterschieden werden müssen. (Taaladvies weiß auch keinen Rat zur Adjektivierung der Jungferninseln und empfiehlt entwaffnend ehrlich: Umschreiben.) Es waren nur einzelne Inseln des Archipels relativ kurzzeitig unter Kontrolle der Niederländischen Westindienkompanie, und bis zum Verkauf an die USA waren die für das Kreolische bedeutsamen Inseln dänische Kolonien. Zudem gibt es auf den Jungferninseln neben der niederländisch-basierten auch noch eine englisch-basierte Kreolsprache, die eine getrennte Bezeichnung braucht. Da die niederländisch-basierte Sprache außerdem über drei Inseln verteilt war, kann man auch daraus schwer einen einzelnen Begriff ableiten.

Magens Bay auf St. Thomas. Die erste cariolische Grammatik schrieb der Däne Jochum Melchior Magens. Er selbst ist nicht Namensgeber der Bucht, aber darüber kann man angesichts der Landschaft hinwegsehen. (Foto: dbking, CC-BY-2.0)

Saint Thomas, Saint Croix und Saint John (oder die jeweils entsprechenden niederländischen und dänischen Namen) geben nur morphologisch schwer verdauliches Material her. Unverfänglich und quellenhistorisch naheliegend wäre vielleicht tatsächlich der Begriff Cariolisch bzw. Carriols, der sich auch als Cariole problemlos anglisieren lässt – kein unbedeutendes Kriterium für die Linguistik der Gegenwart. Natürlich lässt sich daraus nicht mehr ablesen, dass es sich um eine niederländisch-basierte Kreolsprache handelt und wo sie gesprochen wurde. Aus Papiamentu, Patuá oder Kriol geht das allerdings auch nicht hervor, und diese Sprachen leben gut damit. In der Hoffnung auf bessere Ideen sei dieser Vorschlag also einfach einmal in den virtuellen Raum gestellt.

Doch wie benennt man Sprachen oder Varietäten, die nicht mit dem Beistand historischer Quellen im Rücken daherkommen? Im Augenblick lässt sich dieses Problem in Europa überall da beobachten, wo neue multiethnische Jugendsprachen entstehen. Mit Kiezdeutsch ist schon eine tragbare Lösung für die deutsche Jugendsprache gefunden, so dass alte und abwertende Begriffe wie Türkendeutsch oder Kanaksprak so gut wie überwunden sind. (Bei der deutsch-basierten Kreolsprache Unserdeutsch war die Benennung von Anfang an erstaunlich unverfänglich.) Die Pendants des Niederländischen bei multiethnischen Jugensprachen wie Straattaal  oder Cités verweisen ebenso auf den städtischen Raum, in dem die Sprachform ihren Kern hat. Sie tragen damit zu der Debatte bei, inwiefern städtische Jugendsprachen Dialekte im engeren Sinne sind, also Erscheinungen raumgebundener Variation. Die vorgeschlagene Benennung Murks für kontaktgeprägte niederländische Jugendsprache unter Nicht-Migranten wirkt für Deutschsprecher zunächst befremdlich und erinnert an dt. Murks im Sinne von mangelhafte Arbeit. Dahinter verbirgt sich aber ein Kofferwort, das aus Marokkaans und Turks zusammengezogen ist und damit auf zwei wichtige Einwanderersprachen verweist.

Mit diesen griffigen und wenig pejorativ konnotierten Bezeichnungen sind der deutsche und der niederländische Sprachraum anderen europäischen Ländern voraus. London Multicultural English oder Københavnsk multietnolekt kommen sachlich und professionell daher, wirken deshalb aber zugleich technisch und sperrig. In Norwegen hält sich der Begriff Kebabnorsk hartnäckig, Alternativen wie Holmliansk nach einem einwandererstarken Stadtteil Oslos konnten sich noch nicht durchsetzen. Möglicherweise weil der Verweis auf ein einzelnes Stadtviertel zu einengend ist, ähnlich wie etwa die schwedische Bezeichnung Rinkebysvenska. Der Schwedische Sprachrat empfiehlt deshalb Shobresvenska, nach der Grußformel „Sho bre!“, oder auch einfach Vorortschwedisch. Letzteres ist eine sehr geschickte und enorm skandinavisch-egalitäre Wahl, weil mit Vorort eine Plattenbausiedlung genauso gemeint sein kann wie eine Gartenstadt mit Einfamilienhäusern.

Allen Fällen gemein ist die Suche nach einem Begriff, der nicht als diskriminierendes Label missbraucht werden kann und außerdem für linguistische wie allgemeine metasprachliche Behandlungen des Gegenstands tauglich sind. Eines ist sicher: Die Hoffnung auf einfache Lösungen kann man sich in diesem heiklen Bereich abschminken.

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Der Beitrag wurde am Mittwoch, den 24. Dezember 2014 um 10:12 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Karibik, Sprachvariation, Sprachwandel, Wortschatz abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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