Babylonian Medicine

Freie Universität Berlin

Assyriologe Stefan M. Maul in Berlin

Mit seinem Vortrag für die Abschlussveranstaltung in der Vortragsreihe „Dahlem Seminar for the History of Ancient Sciences“ (organisiert von Prof. Klaus Geus und BabMed Principal Investigator Markham J. Geller) über „Etymographische Kommentare“ schloss der Altorientalist Prof. Stefan M. Maul (Universität Heidelberg) die in der Seminar-Reihe zusammengetragenen Ergebnisse zum antiken Kommentar ab.

 

Wie schreibt man ‚Ofen‘? Im Deutschen wäre es absurd, das Wort in einer phonetischen Entsprechung als ‚Oh, fein!‘ zu notieren, um damit auszudrücken, wie sehr man die Wärme zu schätzen wisse. Im Akkadischen geht das.

Das akkadische Wort tinūru „Ofen“, wird entweder syllabisch (ti-nu-ru), oder aber logographisch (d.h. mit den sumerischen Wortzeichen IM.ŠU.RIN.NA, NINDU u.a.) geschrieben. Eine weitere Schreibung stellt das Wort in einer Art bricolage beider Notationen ti-ZÁLAG dar, wobei das erste Element die herkömmliche syllabische Schreibweise nutzt. Das zweite Element dagegen verwendet das Wortzeichen ZÁLAG, das in einer möglichen akkadischen Lesung auch als nūru „Licht“ gelesen werden kann. Um tinūru zu erhalten, wird also die syllabische Schreibung als sozusagen phonetisches Komplement mit der akkadischen Lesung eines Logogrammes als pseudo-phonetischer Schreibung kombiniert: /ti-nūru/. Durch die Verwendung des Wortzeichens für „Licht“ ist ein semantischer Verweis auf Wärme/Feuer als verbindendes Element von Licht und Ofen unmittelbar mit der Schreibung als solcher aufgerufen.

In seiner Präsentation legte Stefan Maul dar, wie Schrift in Mesopotamien dank der speziellen logographischen und polyphonen Eigenschaften schon in früher Zeit für inhaltliche Aussagen genutzt wurde. In bestimmten Kontexten ließ sich über eine logographische (statt syllabischer) Schreibweise die semantische Erfassung eines Begriffes durch die bedeutungs­tragenden Elemente der Logogramme ‒ also ideographisch-deskriptiv ‒ erweitern, eingrenzen oder präzisieren – und damit im weitesten Sinne ‚kommentieren‘. Diese Art der ‚gelehrten‘ Schreibungen sind allerdings nicht im Raum der Rechtsprechung oder der Wirtschaftstexte zu finden, sondern waren vorrangig rituellen, religiösen wie auch wissenschaftlichen Texten vorbehalten. Wo also der Fokus auf einer einfachen oder gar eindeutigen Terminologie lag, wurde der sehr viel schlichtere syllabische Zeichensatz von rund 80 bis 100 Zeichen zu relativ festen Zeichenwerten verwendet. Es ist demnach von einer bewussten Sinngenerierung in abgegrenzten Bereichen der Schriftlichkeit auszugehen, welche wohl neben epistemologischen auch historisch-kulturellen Einflüssen ausgesetzt waren.

Dieses Beispiel aus dem mesopotamischen Kulturkreis belegt, wie Schrift seit frühester Zeit über eine Funktion ‚simpler‘ Notation hinaus genutzt wird. Stefan Maul eröffnet eine Perspektive auf den Begriff ‚Kommentar‘, wie er als im Schrift- und Sprachsystem immanent begriffen werden kann.

Eric Schmidtchen

Der Beitrag wurde am Monday, den 2. March 2015 um 10:37 Uhr von Agnes Kloocke veröffentlicht und wurde unter Allgemein abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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