Für Deutschsprachige klingt die Schlagzeile dramatisch: Nicolette Kluijver bevallen van tweeling. Wer die Fernsehmoderatorin Nicolette Kluijver ist, muss man vermutlich nicht unbedingt wissen. Doch wovon ist sie befallen?
Eigentlich ist die Ähnlichkeit zwischen bevallen van und von etwas befallen sein eher anekdotisch. Auf Deutsch formulieren wir so zum Beispiel Aussagen über Parasiten und Krankheiten. Nur mit etwas Zynismus kann man ein Kind im Mutterleib als „Parasit auf Zeit“ sehen. Spannend ist eher, wie die Sprachen mit der Geburt grammatisch umgehen.
Was genau ist beispielsweise der Hintergrund der Präposition van in dieser Formulierung? Sie fühlt sich zunächst irgendwie direktional an. Man stellt sich ungefähr vor, wie die Mutter sich von ihrem Kind trennen muss. In der Tat sind Ausdrücke, die mit dem Gebären zu tun haben, erstaunlich oft mit Richtungsbedeutungen verbunden. Darunter ist gelegentlich die Dimension „von etwas weg“ wie bei verlossen und dem deutschen Äquivalent entbinden mit der deutlichen Vorsilbe ent-. Auch hier tritt im Niederländischen wieder das van auf, im Van Dale mit dem Beispielsatz zij is van een welgeschapen zoon verlost.
Noch häufiger aber finden wir die Dimension „von oben herunter“. Bevallen ist ein Beispiel dafür. Ursprünglich „fiel“ die Frau, das heißt, sie musste sich für die Geburt niederlegen. Das van wäre dann eher etwas Ursächliches: Die Mutter bevalt ausgelöst von einem Kind, das unterwegs ist. Dasselbe gilt für die Niederkunft oder niederkommen, was im etymologischen Wörterbuch von Kluge auch aus „herabfallen, herunterkommen; zu Bett gehen, sich hinlegen“ hergeleitet wird. Dass die werdende Mutter bei der Entbindung liegen muss, ist übrigens gar nicht unbedingt eine feste Regel. In manchen indigenen Kulturen bringen Frauen beispielsweise in der Hocke oder im Stehen ihre Kinder auf die Welt, und auch hierzulande finden das manche Gebärende angenehmer. Immerhin hat man als Geburtshelfer die Erdanziehung dabei: Es geht von oben nach unten.
Sollte eine Hebamme dabei verhindern, dass das Neugeborene zu Boden fällt, ist also wieder eine Richtung im Spiel? Der Kluge erklärt, dass es etymologisch tatsächlich um heben geht. Aus meinem Heimatdialekt kenne ich allerdings heben auch als Synonym für halten. Man fordert jemanden auf Heb dich gut fest!, wenn er auf eine wacklige Leiter klettert, und Heb mal! wenn jemand einen Gegenstand festhalten soll. Darin bleibt eine ältere Bedeutung von heben erhalten, die auch fassen und packen einschloss. Es ist also gut möglich, dass die Hebamme das Kind (oder die Mutter?) bei der Geburt nur hält oder packt und nicht etwa aufhebt. Im Norwegischen hilft die jordmor, die Erdmutter: wieder ein Bezug nach unten, möglicherweise aber eine Volksetymologie.
Fast ein wenig trottelig wirkt im Vergleich die englische midwife, auch wenn ihr eine großartige britische Fernsehserie gewidmet ist. Wörtlich als mit-Frau scheint sie bei der Geburt einfach nur anwesend zu sein. Wie viel ehrenhafter erscheint da die französische sage-femme, die weise Frau, die mit Erfahrung und Wissen der verunsicherten Schwangeren Sicherheit vermittelt. Dasselbe tut ihre Kollegin im Niederländischen, nur nicht mehr so etymologisch transparent. Die vroedvrouw ist eine Lehnübersetzung dieses französischen Ausdrucks mit dem inzwischen veralteten vroed für gelehrt. Der oder die verloskundige hat dasselbe Wissen, kann aber männlich oder weiblich sein. Im Deutschen müssen wir bei männlichen Kollegen auf den umständlichen Entbindungspfleger zurückgreifen, den es aber tatsächlich gibt. Zum tiefgründigen Wissen der Endbindungskundigen jedenfalls gehört es, dass trotz des Singulars zwei Kinder zu ‚heben‘ sind, wenn Frau Kluijver in blijde verwachting van een tweeling is (dt. guter Hoffnung / in froher Erwartung sein). Dazu im nächsten Beitrag mehr.
Tags: Auf Deutsch
Am 10. Februar 2015 um 10:54 Uhr
Na een bevalling volgt een geboorte. Meer over baren en geboren bij Ludo Permentier in De Standaard
Am 25. Februar 2015 um 16:40 Uhr
Spannend: Im Sranan gibt es für Hebamme offenbar das Wort yepi-man. Yepi bedeutet helfen, und -man hat sich zum Suffix für Personenbezeichnungen entwickelt, ist aber geschlechtsneutral. Ein yepi-man ist also eine Hebamme oder ein Geburtshelfer. (s. die Quelle in der Abschiedsvorlesung von Geert Booij, S.9-10.)
Am 23. September 2016 um 16:44 Uhr
Der Groninger Kollege Siemon Reker zeigt auf seinem neuen Blog, wie das Verb bevallen van in die politische Sprache in den Niederlanden eingegangen ist und dort eine besondere ironische Konnotation bekommen hat.