Zum Anfang ein Klischee: Der oder die Deutsche findet ständig, dass es zieht. Jeder Luftzug, der durch ein Fenster oder einen Türspalt an Bein oder Nacken vorbeifließt, ist ein Grund zur sofortigen Beschwerde. Gegen das Klischee spricht: Auch in Österreich zieht es. Ich hörte die Beschwerde kürzlich in einem Zug in Graz. Und auch bei den westlichen Nachbarn möchte man nicht vom unkontrollierten Lufthauch geplagt werden: Het tocht! Oder wie mir unser aller Limburgerin Johanna Ridderbeekx verrät: ‚t trèk hie!
Kein Wunder, dass es einen großen Fundus an Bemerkungen gibt, um die Mitmenschen dazu aufzufordern, doch bitte die Tür zu schließen. Wer das versäumt, muss damit rechnen, eine Bemerkung mit auf den Weg zu bekommen. Auf Niederländisch ätzt man dann:
Ben jij in de kerk geboren?
Logisch, denn in der Kirche fällt die Tür oft von selbst zu, im Innenraum gibt es kaum trennende Türen und in den meisten Kirchen zieht es zum Gotterbarmen. Wer dort geboren ist, hat sich schon sein Leben lang daran gewöhnen können und kommt nicht auf die Idee, hinter sich die Tür zu schließen. Im Kollegenkreis kannten niederländische Muttersprachler sowohl aus den calvinistischen Niederlanden als auch aus dem katholischen Flandern diese Redewendung. Wenig überraschend kennt auch das Deutsche ein im gesamten Sprachraum weit verbreitetes Pendant zu solchen Sprüchen, allerdings völlig säkular:
Habt ihr zuhause Säcke an den Türen? (Oft in der Variante z.B. mit Kartoffelsäcken, um die besonders verwahrlosten Verhältnisse des Beschuldigten zu unterstreichen.)
Außer Säcken können im Türrahmen jede Menge andere Dinge hängen, die von selbst wieder zufallen, zum Beispiel auch Vorhänge und sogar Pfannkuchen*. Das Deutsche und das Niederländische decken damit die beiden wichtigsten Möglichkeiten ab, mit denen diese Art von Vorwurf formuliert werden kann: Die eine Variante zielt auf die Herkunft oder Geburt des Beschuldigten ab, die andere auf seine Wohnverhältnisse. Am vorgeblichen Geburts- oder Wohnort fehlt es an Türen oder sie schließen sich von selbst. Die beiden Varianten können sich natürlich überlappen. Es wäre ebenso sprichworttauglich zu sagen: Woon jij in de kerk?
Das Spannende dabei ist, dass Deutsch und Niederländisch mit diesem Muster keineswegs allein sind. Hier endet jeder Zusammenhang mit nationalen Stereotypen, denn solche Bemerkungen zum persönlichen Hintergrund scheinen ein weit verbreitetes Motiv zu sein. Mehr noch: Sie haben auffällig oft die Form von rhetorischen Fragen. Eine kleine, unsystematische Sammlung unter Bekannten in verschietenen Sprach- und Dialektregionen brachte in den verschiedensten Sprachen jeweils eigene Varianten zutage (in Klammern Sprache und Herkunft der jeweiligen Gewährspersonen):
Wohnst du im Stall? / Bist du im Stall geboren/aufgewachsen? (Englisch, z.B. Texas und Nordengland)
Bist du auf einem Boot geboren? (Griechisch/Limassol auf Zypern)
Bist du in der S-Bahn geboren? (Deutsch/Berlin, sicher auch andere Großstädte)
Wohnt ihr am Hang? (Deutsch, z.B. Saarland und Schwaben)
Habt ihr zuhause Vorhänge? (Ungarisch/Budapest)
Hat bei euch zuhause der Maurer das Loch vergessen? (Deutsch, Region unsicher)
Bist du im Kolosseum geboren? (Italienisch/Venedig)
Kommst du aus Braga? (Portugiesisch/Porto)
Für die portugiesische Variante gibt es verschiedene Erklärungen. Darunter die schöne Geschichte, der Spruch spiele auf das Stadttor von Braga an, das im 16. Jahrhundert ohne Tür gebaut wurde, weil die Stadt sich nicht mehr von außen bedroht fühlte und man das Tor nicht mehr schließen musste. Vom Muster der Wohn- oder Geburtsstätte entfernen sich manche Sprachen, die Fragen beispielsweise zum Familienhintergrund oder zur Begleitung haben:
Ist dein Vater Schreiner? (Hunsrückisch/Brasilien)
Hast du einen Hund dabei? (Norwegisch/Valdres)
Natürlich kommt Sarkasmus auch bestens ohne rhetorische Fragen aus. Das Finnische verweigert sich hier beispielsweise wieder dem allgemeinen Muster, aber auch in anderen Sprachen bevorzugt man eher Aussagesätze oder gar Vorwürfe als ironische Bemerkungen:
Jemand hat sich den Schwanz in der Tür eingeklemmt. (Finnisch/Ostfinnland)
Da hat jemand vorne eine Hand, aber hinten keine. (Chinesisch/Chongqing)
Du lässt ja alle Moskitos raus. (Spanisch/Puerto Rico)
Du Höhlenmensch! (Portugiesisch/Brasilien; Ungarisch auch: Wohnst du in einer Höhle?)
Vielleicht gibt es noch ein weiteres Muster, nämlich Anspielungen auf die angebliche körperliche Beschaffenheit der Person, die nicht die Tür schließt. Zwei einzelne Beispiele, finnisch und chinesisch, sind natürlich nicht ausreichend, um daraus ein neues Muster abzuleiten. Um das zu prüfen bräuchten wie idealerweise noch ein paar Beispiele aus anderen Sprachen – und aus dem Rest der Welt. Wir sind schon gespannt, wie sehr sich dabei eine weitere Beobachtung bewahrheitet: In den meisten Fällen war Teil der Antwort noch ein „so etwas sage ich nie, aber ich habe es schon ab und zu gehört.“ Diese Art von Bemerkungen erscheinen den meisten Sprechern und Sprecherinnen wohl so sehr unangemessen oder unhöflich, dass sie sich davon distanzieren möchten. Ob unsere Leserschaft sich dennoch traut, uns mit ihren Varianten weiterzuhelfen?
Zu dieser Variante gibt es noch eine Erweiterung, die zeigt, wie komplex solche Sprüche werden können: Habt ihr zuhause Pfannkuchen in den Türrahmen und fresst euch jedes Mal durch, wenn ihr rausgehen wollt?
Für eine schnelle, schlagfertige Reaktion auf einen kleinen Fehler ist diese Variante erstaunlich lang.
Tags: Auf Deutsch
Am 24. August 2015 um 20:41 Uhr
Ben je in de kerk geboren? Ich habe immer geglaubt, dass die Tuer der Kirche auf ist, damit auch andere eintreten koennen. Was kann man schon sagen: calvinistisch erzogen worden!
Am 25. August 2015 um 10:33 Uhr
Een aardige Limburgse stuurde ons deze link: ‚t keske geit neet toe (het kastje gaat niet dicht)