Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt momentan eine Ausstellung zur deutschen Kolonialgeschichte. Es wurde Zeit. Dass die Ausstellung überhaupt stattfindet, muss man anerkennen. Vieles kann man dennoch kritisieren, zum Beispiel dass die Chronologie der Ereignisse so stark aufgelöst wird, dass man irgendwann völlig in der Zeit verschwimmt. Direkt am Anfang stößt man auf das Thema schlechthin, nämlich den Völkermord an den Herero und Nama. Unbestritten und völlig angemessen als Kernstück der Ausstellung, bloß wird nicht deutlich, wie es dazu überhaupt kommen konnte und was für einen Tabubruch diese Ereignisse für die spätere deutsche Geschichte bedeuten.
Namibia nimmt zu Recht in der Ausstellung viel Raum ein. Sehr wenig erfährt man dagegen über die Verbindungen des deutschen Kolonialismus zu den anderen Kolonialmächten. Es wirkt ein wenig, als sei die Kolonialgeschichte Deutschlands ein irgendwie besonderes, in sich geschlossenes Kapitel. Dabei wird gerade am Beispiel Namibia deutlich, wie stark auch die deutschen Kolonien mit den anderen Kolonialmächten zugleich verbunden waren und mit ihnen konkurrierten.
Ein schönes Beispiel dafür ist das Ausstellungskapitel zu „Mischehen“ und Familien in den Kolonien. Ehen und gemeinsame Kinder mit Partner/inne/n der einheimischen Bevölkerung der Kolonien waren unerwünscht oder sogar verboten. Dasselbe galt in Namibia aber auch für Verbindungen mit Frauen oder Männern, die den anderen Kolonialmächten zugerechnet wurden. Dokumente der deutschen Kolonialverwaltung zeigen, wie man verhindern wollte, dass das Burentum sich in Namibia weiter ausbreitet. Dazu wurden ganz einfach alle gerechnet, die Afrikaans sprachen (bzw. in der damaligen Bezeichnung meist noch Kapholländisch). Dasselbe galt für Briten. Das Ziel war, in Namibia das Deutschtum zu stärken – und nicht zuletzt das deutsche Bauerntum. In den Quellen, vor allem in der Kolonialpropaganda, wimmelt es nur so vor Wortbildungen auf –tum. Ähnlich wie bei der –schaft geht es um eine Essenz: Was deutsch ist, soll deutsch bleiben, und zwar ausschließlich deutsch. Nichts ist in dieser Hinsicht deutlicher als die Verknüpfung von Abstammung (Mischehen) mit Sprachgemeinschaften.
Dabei ist gerade die Begriffspaarung aus Burentum und Bauerntum besonders ironisch. Das eine ist etymologisch gesehen eine wörtliche Entsprechung des anderen. Trotzdem konnte sich das Deutsche an dieser Stelle nicht dieses „fremden Elements“ im Wortschatz erwehren, denn die Bedeutung und vor allem die Konnotationen sind völlig unterschiedlich.
Die Buren haben sich von ihrer ursprünglichen Bedeutung als Landwirte oder Farmer wegentwickelt und haben inzwischen auch eine ethnische Komponente, die zugleich mit ihrer Sprache verbunden ist. Dagegen sind die Bauern nichts anderes als Agrarwirte, die aber Vertreter des Bauerntums sind (Konnotationen: Tugend, Fleiß, Produktivität) und einen kolonialpolitischen Auftrag erfüllen. In der deutschen Kolonialpropaganda ist Burentum demgegenüber ein eindeutig negativ belegter Begriff. Ein Bedrohungsszenario, nicht zuletzt auch für die geplante räumliche Ausdehnung der deutschen Kolonialisten: Buren brauchen viel Platz, deutsche Bauern brauchen viel Platz, und das Wasser ist knapp. Wenn das Bauerntum sich gegen das Burentum wehren muss, nimmt die Kolonialmacht auf die Kolonisierten erst recht keine Rücksicht. Szenarien wie „das Volk braucht Raum“ und der Mord an der „störenden“ Lokalbevölkerung stehen dabei schon am Horizont geschrieben.
Für Sprachinteressierte hält die Ausstellung zumindest noch zwei kleine Besonderheiten bereit.
Die Humboldt-Universität stellt aus ihrem Tonarchiv Ausschnitte aus Aufnahmen zur Verfügung, die in Kriegsgefangenenlagern in Brandenburg nach dem Ersten Weltkrieg aufgezeichnet wurden. Darauf wurden die Sprachen von gefangenen Soldaten der anderen europäischen Mächte systematisch dokumentiert. Darunter sind viele Dialekte aus Großbritannien und Frankreich, aber auch die Sprachen von Soldaten aus den Kolonialgebieten in Indien oder Nordafrika, die im sogenannten „Halbmondlager“ gefangen gehalten wurden. Der genaue Zusammenhang speziell mit dem deutschen Kolonialismus wird bei dem Ausstellungsteil nicht so recht deutlich; er ist auch räumlich etwas seltsam in eine Nische gesteckt worden. Umso interessanter ist die Einteilung, mit der die deutschen Sprachforscher die Sprachgruppen systematisieren. Es gibt in einer großen Tabelle etwa die Oberkategorie namens „Franzosen (Belgier)“ und darunter eine Aufstellung der aufgezeichneten Sprachformen wie etwa Gascognisch, Savoyardisch aber auch „Vlämisch“.
Wer einmal zeitgenössisches Kapholländisch lesen möchte, wird in der Ausstellung auch fündig, nämlich bei einem handschriftlichen Exponat von ǃNanseb ǀGabemab, genannt Hendrik Witbooi. Die Lektüre fällt in dem sehr fein formulierten, unverkennbar afrikaansen Textausschnitt relativ leicht und gibt Einblicke nicht nur in den Schriftsprachgebrauch der Zeit, sondern auch in das komplizierte Verhältnis zwischen Kolonialsprachen, Kolonialmächten und lokalen Akteuren. Auf jeden Fall eine erbaulichere Lektüre als die vielen haarsträubenden Einträge im Gästebuch der Ausstellung, das zeigt, wie verbreitet revisionistische und schlichtweg gewaltleugnende Haltungen im Deutschland der Gegenwart noch immer sind.
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