Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Binsen und Kühe und das Paradies

Im Deutschen kennen wir das schöne Wort Binsenwahrheit (oder Binsenweisheit) für etwas, das allgemein bekannt ist, für einen Gemeinplatz also. Auf Niederländisch sagen wir dann Dat is een waarheid als een koe. Wie eine Kuh? Warum „wie eine Kuh“?? Ich weiß es nicht, und Frederik van Eeden hat sich Ende des 19. Jahrhunderts anscheinend auch schon darüber gewundert als er schrieb: „Mijn bedoeling is niets anders dan bekende waarheden te herinneren. Waarheden als koeien, of als varkens, of als leeuwen“ (vgl. WNT).

Auch bei der Binsenwahrheit kann man sich fragen: warum Binsen? Die etymologischen Wörterbücher sind sich nicht ganz sicher; es wird u.a. an einen lateinischen Ausdruck als Quelle gedacht (vgl. u.a. Pfeifers Etymologisches Wörterbuch).

Schöner ist aber, wie so oft, eine Erklärung, die sich an der griechischen Mythologie orientiert, und zwar an einer Geschichte über König Midas, dem Eselsohren gewachsen waren. Ein Geheimnis, das nur sein Barbier kannte. Der musste es aber unbedingt irgendwie loswerden, und er grub daher am Flussufer ein Loch, in das er hineinrief „König Midas hat Eselsohren“.

Van Mander, Het Schilder-Boeck (1604)

Das Loch schüttete er wieder zu, aber die Gräser (Binsen), die dort standen, verbreiteten diese Nachricht mit dem Rauschen des Windes an andere Binsen und über die ganze Welt, so dass schließlich jeder Bescheid wusste.

Warum erzähle ich Ihnen das? Nun, wegen Karel van Mander. Das war ein berühmter Maler, der aber heute vor allem als Autor des Schilder-Boeck (‚Maler-Buch‘, 1604), einer frühen kunsttheoretischen Schrift, bekannt ist. Und in diesem Buch findet sich ein Kapitel zu König Midas und seinen Eselsohren.

Van Mander hat aber nicht nur über Midas geschrieben, sondern er hat die Szene auch in einem Gemälde verewigt. Es geht um die Landschaft mit dem Urteil des Midas, die er zusammen mit Gillis van Coninxloo im Jahr 1598 gemalt hat. Und dieses Bild hängt zur Zeit in der Kunsthalle im Lipsiusbau in Dresden, als einer der Höhepunkte der Ausstellung Das Paradies auf Erden. Diese schöne Ausstellung zur flämischen Landschaftsmalerei („von Bruegel bis Rubens“) haben wir im Dezember mit Niederlandistik-Student*innen besucht.

Das Bild von Van Mander und Van Coninxloo ist für die Ausstellung aufwändig restauriert worden, und der Restaurator erläutert in einem anderen YouTube-Video auch die Geschichte mit den Eselsohren und ihre Darstellung auf dem Gemälde.

Dieses Gemälde und andere Exponate kann man auch in einem Beitrag des Art Magazin zur Paradies-Ausstellung bewundern. Die Ausstellung in Dresden läuft noch bis zum 15. Januar 2017. Es lohnt sich.

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Der Beitrag wurde am Freitag, den 6. Januar 2017 um 15:36 Uhr von Matthias Hüning veröffentlicht und wurde unter Allgemein, Idiom abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

2 Reaktionen zu “Binsen und Kühe und das Paradies”

  1. Alexandra Zipperer

    Wieder einmal ein herzerwärmender und wissensdurstlöschender, kulturhistorischer Rundumschlag – zauberhaft! Danke!

  2. Matthias Hüning

    Vielen Dank für den netten Kommentar. Das freut mich sehr!