Wenn man es genau nimmt, sind rhetorische Fragen eine Art Erpressung. Frage ich beispielsweise „Ist das nicht großartig?“, dann erwarte ich selbstverständlich ein „ja“ oder „doch“ als Antwort. Ein „nein“ wäre jedenfalls die ungewöhnlichere Antwort und erfordert oft eine Erklärung, zumindest ein „Das finde ich nicht.“ Das funktioniert in vielen Sprachen und ist nicht besonders spektakulär, weil wir es als kommunikative Konvention so gelernt haben.
Die rhetorische Frage soll eigentlich dazu dienen, übereinstimmende Meinungen offenzulegen. Die Negation in der Frage erfüllt den Zweck, eine bestätigende Antwort zu provozieren, die formal ein Widerspruch zu dem negativ formulierten Urteil in der Frage sein soll.
Mit negierten Fragen treibt das Niederländische es aber noch etwas weiter als das Deutsche. Rhetorische Fragen werden in beiden Sprachen in lockeren Gesprächen inzwischen häufig als wie-Fragen formuliert:
Wie geil ist das denn?
Hoe gek is dat?
Hoe gek is dat niet?
Die deutsche Frage kann nur ohne Negation gestellt werden, auf Niederländisch geht beides. Noch ein paar Beispiele, bitteschön:
Hoe goed start deze reeks niet? (De Morgen)
Hoe geweldig is dat niet? (Twitter)
Hoe triest is dat niet? (jouwrouwverwerking.nl)
Diese Fragekonstruktion mit wie/hoe ist an sich schon merkwürdig, denn eigentlich möchte man nur eine Bestätigung des Urteils an sich – das kann ein positives oder ein negatives sein. Die antizipierte Reaktion ist wohl „sehr X“ oder „wirklich äußerst X“. Aber im Grunde geht es um das Ob, nicht um das Wie. Es wird gar keine graduelle Bewertung erwartet, also keine Antwort im Sinne von „auf einer Skala von 1 bis 10 liegt das etwa auf Stufe 8“.
Die Negation in der niederländischen Variante macht die Sache noch seltsamer. Eine Wie-Frage zu negieren, ergibt in diesem Zusammenhang wenig Sinn. Frage ich „Wie verrückt ist das nicht?“, dann wäre die Antwort etwa „Das ist nicht wenig verrückt.“ Schließlich ist man sich einig, dass es sehr verrückt ist. Dahinter steckt eine enorm komplizierte Logik, die wir in der Kommunikation entweder im Hintergrund ohne weiteres abarbeiten – oder eben einfach ignorieren, weil die Frage völlig konventionalisiert ist.
Das niet ist vielleicht sowieso nur eine Kontamination, die aus dem verbreiteteren (und wohl auch älteren) Muster ganz oben übernommen ist, also der negierten Ja-Nein-Frage. Das erklärt auch, warum auf „Hoe gek is dat niet?“ eine häufige Antwort einfach nur ja ist. Das heißt, man antwortet auf eine W-Frage mit einer Bejahung oder Bekräftigung, was eigentlich ausgeschlossen ist.
All das zeigt uns wieder einmal, wie extrem leistungsfähig Sprache ist – und auch wir, die sie benutzen: Wir können unsinnige Fragen stellen, auf die wir auch keine sinnvolle Antwort erwarten, außerdem eine völlig unpassende bekommen, und damit trotzdem harmonisch feststellen, dass wir einer Meinung sind.
Tags: Auf Deutsch
Am 22. Januar 2018 um 18:20 Uhr
„Frage ich beispielsweise „Ist das nicht großartig?“, dann erwarte ich selbstverständlich ein „ja“ oder „doch“ als Antwort.“
Vorsicht: Insbesondere mathematisch gebildete Menschen interpretieren ein Ja auf so eine Frage gerne als „Ja, das ist nicht großartig“ :-).
Für das „Wie X ist das denn?“ vermute ich das Englische als Quelle, wo es meines Wissens die „How X is that?“-Fragen auch gibt. Das würde auch die parallele Entwicklung in de und nl erklären.
Am 22. Januar 2018 um 18:40 Uhr
Bei diesen mathematisch gebildeten Personen muss es sich dann aber um pragmatisch recht ungehobelte Menschen handeln, denen einfachste kommunkative Konventionen nicht vertraut sind – oder vielmehr welche, die sich absichtlich als solche ausgeben. 😉
Ob die Konstruktion tatsächlich aus dem Englischen stammt: Kann durchaus sein, aber auch im Englischen gibt es ja die Variante „Isn’t that X?“ Der Weg vom einen Fragetyp zum anderen ist da also auch möglich. Was zuerst da war, und was dann wohin übergegangen ist, lässt sich auf Anhieb schwer sagen. Oft genug kommen NL und DE bei parallelen Entwicklungen ja auch ohne das Englische aus. Zumindest haben beide anscheinend eine Tendenz, der Frage noch ein unbetontes Element am Ende hinzuzufügen (dt. „denn“, nl. „niet“), was das Englische nicht hat. Damit ändert sich ein Stück weit auch die Rhythmik der Frage. Und wie ich gerade zufällig sehe: Norwegisch kann offenbar auch solche Fragen mit Negation: „Hvor sykt er det ikke?“ („Wie krank ist das nicht?“). Kompliziert…