Zu den faszinierenden kleinen Unterschieden zwischen Deutsch und Niederländisch gehört der Plural auf -eren, den das Deutsche nicht kennt. Als Ansammlung von gleich zwei Pluralendungen, die jeweils einzeln auf Deutsch durchaus bekannt sind, werden manche Substantive in der Mehrzahl so gebildet: blad – bladeren, kind – kinderen.
In den germanischen Sprachen kommen bei den Worten für Kind interessanterweise praktisch alle unterschiedlichen Möglichkeiten vor, die unsere Sprachfamilie überhaupt für Plurale zur Verfügung hat. Das Dänische hat dabei, ähnlich wie das Niederländische, eine Besonderheit auch gegenüber seinen direkt verwandten Nachbarsprachen (wie sonst nur die „altertümlichen“ Sprachen im Atlantik, nämlich Isländisch und Färöisch).
Sprache | Singular | Plural | Verfahren |
Deutsch | Kind | Kinder | –er |
Niederländisch | kind | kinderen | -eren |
Dänisch, Isländisch, Färöisch | barn | børn / börn | Umlaut |
Norwegisch, Schwedisch | barn | barn | formgleich |
Friesisch | bern | bern | formgleich |
Englisch | child | children | -ren, Monophthong |
Umlaute im Plural kennen wir auch im Deutschen (Ton – Töne), aber in der Regel mit einem zusätzlichen Pluralmorphem am Ende. Nur in manchen Dialekten spielt sich etwas anderes ab. Aus älteren Generationen meiner Familie vom Mittelrhein kenne ich beispielsweise noch den Plural mit Stammreduktion: das Kind – die Kinn.
Die Wurzel des Wortes für Kind ist übrigens eines der auffälligen Beispiele, bei denen sich das Friesische sowohl von Niederländisch als auch von Deutsch unterscheidet, und den skandinavischen Sprachen näher ist.
Aus Belgien kommen mir Beschwerden von Puristen zu Ohren, dass dort im Verkehrsfunk inzwischen immer wieder von wegwérkzaamheden die Rede sei. Mit Betonung auf werk statt auf weg. Nun ist Sprache natürlich immer eine Baustelle, und hier könnte sich eine Akzentverschiebung andeuten.
Normalerweise werden Komposita im Deutschen wie im Niederländischen auf dem ersten Element betont. Aber weg wirkt hier mit seinem kurzen Vokal und der einzelnen Silbe vielleicht zu sehr wie ein Präfix, das in solchen Fällen eher keine Betonung bekommt. Regelhaft ist das im Niederländischen wie im Dänischen – und anders als im Deutschen. Dort betonen wir gerne auch mal Präfixe, beispielsweise dann, wenn sie aus einer Präposition hervorgegangen ist:
opmerkzaam
opmerkzaamheid |
opmærksom
opmærksomhed |
aufmerksam
Aufmerksamkeit |
overzichtelijk | overskuelig | übersichtlich |
aantrekkelijk
aantrekkelijkheid* |
anzüglich
Anzüglichkeit* |
|
optrækkelig | aufziehbar |
*Die Bedeutung ist im Deutschen und Niederländischen nicht exakt identisch (aantrekkelijk wäre eher anziehend, attraktiv). Es geht bei diesem Beispiel also nur um die Struktur.
Dass wir im Deutschen selbst bei langen Wortbildungen wie Aufmerksamkeit mit zwei Ableitungen (-sam und -keit) den Akzent ganz nach vorne tragen, ist im Vergleich ziemlich ungewöhnlich. Das Niederländische ist sich hier mit dem Dänischen einig, dass man lieber die Betonung auf dem Kern lassen sollte – und zwar auch bei Lehnwörtern, denn opmærksom ist ausgerechnet aus dem Deutschen ins Dänische gekommen. (Ob das ebenso fürs Niederländische gilt oder ob es einfach eine Parallelbildung ist, ließ sich nicht nachprüfen, dazu sagt leider auch die Etymologiebank nichts.)
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