Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Hier klärt er eine wichtige Frage

Wo ist eigentlich „hier“? Die Antwort könnte simpel sein: „Hier“ ist an dem Ort, an dem man sich beim Sprechen befindet. Das gilt für das niederländische und das deutsche hier genauso wie für das englische here oder das norwegische her.

Auf den Webseiten von Zeitungen und anderen Nachrichtenanbietern findet man immer häufiger Überschriften wie diese:

Hier ontploft meteoor boven VS (Telegraaf)

Ähnlich titeln auch deutsche Medien wie die Welt:

Besonders in Skandinavien ist das „hier“ seit Langem massenhaft in den Überschriften vertreten. Ein Besuch bei der Onlineausgabe der Semi-Boulevardzeitung Dagbladet aus Norwegen lieferte sechs Beiträge mit her in der Überschrift allein auf der Titelseite, zum Beispiel:

Her gjør talkshowverten narr av Kate Uptons nye forsidebilde

(Hier macht sich der Talkshowmoderator lustig über Kate Uptons neues Titelfoto)

Diese Beispiele haben alle eines gemeinsam: Es sind Überschriften, die zu Videos führen, oft in Form von Links. Was dort gezeigt wird, soll irgendwie spektakulär, entlarvend oder unerwartet sein. Beliebt sind Aufnahmen von Unglücken oder Missgeschicken, oft Amateurvideos, aber auch peinliche Momente von Promis und gelegentlich dramatische Szenen aktueller Geschehnisse wie Verbrechen oder Gewalthandlungen. Treffen kann es jeden. Hier hält Justizminister Maas die falsche Rede (Focus Online), hier zeigt Heike Makatsch ihren Freund (Stern), und hier ist ein ICE entgleist (Der Westen). Das letzte Beispiel zeigt, dass in Ausnahmefällen auch einmal ein Foto statt eines Videos eine „hier“-Überschrift bekommen darf. Die Formulierung mit dem „hier“ hat einen ziemlich boulevardesken Beigeschmack. Eine seriöse Meldung würde man mit dieser Art von Überschrift nicht versehen.

Hier wird das Wetter einem Polizeiauto zum Verhängnis. (Nachrichtensendung von 1964, Open Beelden, CC-BY-SA-3.0-NL)

Die Frage bleibt aber: Wo genau ist denn nun „hier“ im Internet? Es ist sicher nicht der Ort, an dem die Seite aufgerufen wird und auch nicht bei der Redaktion. Das „hier“ ist vielleicht der Ort des Geschehens, aber aus Sicht von Journalisten und Leserschaft ist dieser Ort genau genommen doch eher ein „dort“, nämlich relativ weit entfernt. Am ehesten ist es die Internetseite selbst, zu der ein Link führt. Das „hier“ in „Hier wird Trump erwischt“ wäre dann eine Verkürzung für „Hier sehen Sie, wie Trump erwischt wird“. Der angezeigte Ort ist damit rein virtuell.

In den hier-Überschriften sind auffällig vage Formulierungen für das Geschehen besonders beliebt. Man wird dazu angeleitet, sich die Frage zu stellen: Ja was denn eigentlich? Was passiert konkret? Ein Beispiel aus dem Telegraaf:

Fatale lawine: hier ging het mis

Was genau schiefgeht erfährt man erst, wenn man sich das Video anschaut. Dasselbe gilt für Trumps Reaktion auf die Entlarvung als Lügner. Auch die Scherze über Kate Upton werden natürlich im Link nicht verraten – allerdings sieht man schon vor dem Abspielen des Videos ihre Brüste. Die Kombination aus teaser-Überschrift, Dekolleté und „hier“ deutet auf eine ganzheitliche Strategie hin, mit der clickbait ausgelegt wird: Ein Köder, mit dem man zum Besuch einer Seite angeregt wird oder länger darauf verweilt, auch wenn die dargestellten Inhalte reichlich banal sind. Ich weiß beispielsweise noch nicht einmal, wer Kate Upton ist, und trotzdem wollte ich unbedingt wissen, was der Moderator über ihr Foto sagt. Ähnlich platt sind die Inhalte vom Telegraaf unter dieser Überschrift:

Hier wordt Louvre-dader uitgeschakeld

In dem Video ist glücklicherweise überhaupt nicht zu sehen, wie die Polizei den Täter niederschießt, sondern nur ein verschwommenes Foto aus weiter Entfernung. Wer tatsächlich rohe Gewalt sehen möchte, wird enttäuscht und ist auf die Suggestion hereingefallen, dass „hier“ – also in genau diesem Video hinter genau diesem Link – eine echte Sensation zu sehen ist. Das „hier“ ist in allererster Linie als ein sehr konkreter, kleiner Punkt zu verstehen: Derjenige, auf den man draufklicken soll.

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Der Beitrag wurde am Montag, den 20. Februar 2017 um 09:08 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Sprachvergleich, Wortschatz abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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