Jüdische Schülerbibliothek Pilsen
Am 29.07.2021 konnten die Universitätsbibliothek der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und die Arbeitsstelle Provenienzforschung der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin neun Bände aus dem ehemaligen Bestand der Jüdische Schülerbibliothek Pilsen an die Föderation der Jüdischen Gemeinden in der Tschechischen Republik restituieren.
Bereits Ende der 1870er Jahre etablierte der Rabbiner und Pädagoge Dr. Adolf Kurrein in Linz die erste jüdische Schülerbibliothek auf dem Gebiet der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Seitdem propagierte er die Einrichtung solcher Bibliotheken – nicht nur als Ergänzung zum israelitischen Religionsunterricht, sondern auch zur „Belehrung über jüdisches Leben, jüdische Geschichte und Literatur, jüdische Vergangenheit und Gegenwart“. Wir können davon ausgehen, dass auch zionistische Motive als treibende Kraft hinter der Idee standen.
Auch in Pilsen wurde eine jüdische Schülerbibliothek ins Leben gerufen. Als gemeinnützige Einrichtung war man auf Spenden angewiesen. Als Förderer konnte bisher die Pilsner Loge „Union“ (gegr. 1892) des Ordens B’nai B’rith nachgewiesen werden.
Nach der Auflösung jüdischer Institutionen im „Protektorat Böhmen und Mähren“ folgte im Juli 1939 die Aufforderung zur Meldung aller jüdischen Vereine, Stiftungen und vereinsähnlichen Organisationen. Diese waren seit dem 5. März1940 der Prager Kultusgemeinde gegenüber weisungsgebunden und mussten sämtliches Vermögen an diese übertragen. Die Prager Kultusgemeinde verwaltete im Auftrag der „Zentralstelle für Jüdische Auswanderung“ alle jüdische Zwangsorganisationen bis zu deren (teils „freiwilliger“ Selbst-) Auflösung. Dies betraf ebenso die Jüdische Schülerbibliothek Pilsen. Ein Großteil der geraubten Bücher im Protektorat wurde nach Theresienstadt und/oder nach Prag geschafft.
Einige der identifizierten Bücher enthalten ausradierte Zugangsnummern, die teils noch lesbar sind. Diese Nummern finden sich samt Titel wieder auf den Übernahmeprotokollen des Prager „Jüdischen Zentralmuseums“, an das sie im August und im November 1944 seitens der Treuhandstelle vermittelt worden waren. Im Museum überdauerten sie das Kriegsende. Im Fall der Heidelberger Bücher war es Rabbiner Emil Davidovic, der Bücher aus dem Museum in den 1960er Jahren in die Bundesrepublik gebracht hatte, im Fall der FU Berlin sind die genauen Umstände des Zugangs unklar.
Exemplar aus dem Bestand der Universitätsbibliothek der FU Berlin:
Agnon, Shemu’el Yosef: Der Verstoßene, Berlin 1923
Exemplare aus dem Bestand der Bibliothek der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg:
Kellner, Leon: Jüdische Weihestunden, Czernowitz 1914
Kohn, Pinchas Jacob: Rabbinischer Humor aus alter und neuer Zeit, Berlin 1915 [Link zum Digitalisat]
Lehmann, Marcus: Akiba, Frankfurt a. M. 1920
Löhr, Max: Volksleben im Lande der Bibel, Leipzig 1907
Löwy, Markus: Amschelberger Jugenderinnerungen, Prag 1909 [Link zum Digitalisat]
Rothschild, Theodor: Bausteine zur Unterhaltung und Belehrung aus jüdischer Geschichte und jüdischem Leben, Frankfurt a. M. 1913
Seligmann, Caesar: Hagada. Liturgie für die häusliche Feier der Sederabende, Frankfurt a. M. 1913
Wolbe, Eugen: Ludwig August Frankl. Der Dichter und Menschenfreund, Frankfurt a. M. 1910
Ausgewählte Literatur und Quellen
Heim, Susanne und Maria Wilke: Deutsches Reich und Protektorat Böhmen und Mähren, Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland Band 6, Berlin/Boston 2019.
Luft, Robert: Das Bibliothekswesen in Böhmen und Mähren während der Nationalsozialistischen Herrschaft 1939-1945, Bohemia 30 (1989), S. 295-342 [skizzenhaft zu den jüdischen Bibliotheken auf S. 337f.]
Wolf Gruner: Die Judenverfolgung im Protektorat Böhmen und Mähren, Göttingen 2016.
Spenden an die Schülerbibliothek:
http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/9598891
http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/9598482
http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/9598167
Zur „Ausschaltung der Juden aus dem öffentlichen, wirtschaftlichen- und gesellschaftlichen Leben“ im Protektorat:
https://www.herder-institut.de/no_cache/digitale-angebote/dokumente-und-materialien/themenmodule/quelle/2048/details.html
Allgemeines zur Gründung jüdischer Schülerbibliotheken in Österr.-Ungarn:
https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=jvs&datum=19091027 (S.4)
https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=jvs&datum=19080601 (S.1f.)
Tätigkeitsbericht der Prager Treuhandstelle:
https://collections.jewishmuseum.cz/index.php/Detail/Object/Show/object_id/142202