Zwei Bücher kehren nach Lublin zurück

Am 23. September 2022 fand in der Synagoge der Lubliner Chachmej Jeschiwa (deutsch: Jüdische Jeschiwa der Weisen in Lublin) eine Zeremonie statt. Geladen hatte die Jüdische Gemeinde Lublin. Der Anlass war die Übergabe von zwei Hebraica-Bänden , die im Zuge der Provenienzforschung in der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin (FU) und der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum (CJ) identifiziert worden sind. Die beiden Bücher konnten aufgrund von in ihnen enthaltenen Spuren der ehemaligen Bibliothek der Lubliner Chachmej Jeschiwa zugeordnet werden.

Übergabe an die Jüdische Gemeinde Lublin. © Monika Tarajko

Die Gründung der Chachmej Jeschiwa in Lublin ging auf die Initiative des bekannten Rabbiners Yehuda Meir Shapiro (1887–1933) zurück. Im Jahr 1924 erfolgte die Grundsteinlegung. Neben den Lehrräumen für die Studierenden installierte die jüdische Gemeinde im Gebäude eine kleine Synagoge und eine Mikwe, ein rituelles Tauchbad. Die feierliche Eröffnung erfolgte unter reger Teilnahme im Juni 1930. Das Datum lässt bereits erkennen, dass der Lehrbetrieb nur neun Jahre umfasste, ehe mit dem Überfall der Nationalsozialisten auf Polen 1939 die noch junge Lehranstalt gewaltsam ihre Tore in der Lubartowska Straße schließen musste. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Lublin am 18. September 1939 wurde das Gebäude für militärische Zwecke beschlagnahmt. Über das Schicksal der Jeschiwa und ihres Inventars, vor allem das der Bibliothek, ist wenig bekannt.

Die Bibliothek wurde noch vor dem Aufbau der Jeschiwa mithilfe einer weltweiten Spendenaktion zusammengetragen. Bis 1930 konnte ein etwa 30.000 Bände umfassender Bibliotheksbestand aufgebaut werden. Was das Schicksal der Bibliothek nach dem Einmarsch der Wehrmacht betrifft, ist sich die Forschung bis heute uneinig. Gestützt auf einen Bericht in der offiziellen Zeitschrift der Hitlerjugend (HJ) vom Februar 1940 – und damit fünf Monate nach der Besetzung Lublins – gehen einige Forscher*innen davon aus, dass die Bücher in Form einer Bücherverbrennung öffentlich wirksam vernichtet worden sind. An dieser Darstellung gibt es jedoch mehrere Kritikpunkte: 1.) Der Bericht erschien erst im Frühjahr 1940, 2.) der Zeitungsbericht sprach davon, dass die Wehrmacht bereits am 7. September 1939 das Gebäude stürmte, und 3.) jenseits der Darstellung im besagten Artikel gab es keine offiziellen Berichte unabhängiger Medien über eine initiierte Bücherverbrennung der Jeschiwa-Bibliothek.

Neueste Erkenntnisse stützen die These, dass der Großteil der Bücher in die Lubliner Staatsbibliothek gelangte. Von da an verliert sich ihre Spur. Weltweit sind bisher nur vereinzelt Exemplare in privaten Sammlungen oder bei Auktionen aufgetaucht – und nun die beiden Bände aus der Universitätsbibliothek der Freien Universität und dem Centrum Judaicum in Berlin.

Sieben Bücher sind bisher nach Lublin zurückgekerht. © Monika Tarajko

Im Bibliotheksbestand des Instituts für Judaistik an der Freien Universität Berlin konnte im Rahmen eines Provenienzforschungsprojekts das Buch Megale Amukot (deutsch: Offenbarer der Tiefen) identifiziert werden, das auf dem Titelblatt der hebräische Stempel ישיבת חכמי לובלין (translit.: Yeshivat Ḥakhmey Lublin) ziert. Neben dem Stempel enthält der 1858 in Lemberg (heute Lwiw) publizierte Band noch weitere Provenienzmerkmale: Dazu zählt auch eine handschriftliche Eintragung „2154“. Hierbei muss es sich um die Zugangsnummer des Buches in der Bibliothek gehandelt haben.

Mithilfe des Zugangsbuches in der Campusbibliothek konnte herausgefunden werden, dass die FU das Exemplar am 4. Oktober 1966 im Londoner Antiquariat B. Hirschler erworben hatte. Weitere Hintergründe, primär über den Weg des Buches, lassen sich mithilfe der Provenienzen nicht eindeutig aufklären. Vor dem geschilderten historischen Hintergrund war das Buch als Raubgut anzusehen, das an seine heutigen Eigentümer zurückzugeben ist. Beim zweiten Band, der im Bibliotheksbestand des Centrum Judaicum identifiziert wurde, gestaltete sich die Erforschung etwas schwieriger. Lediglich ein Brief in jiddischer Sprache, dessen Briefkopf auf die Lubliner Chachmej Jeschiwa verweist, lag dem stark beschädigten Exemplar שלחן שלומו (translit.: Shulḥan Shlomo, Warschau 1882) bei.

Blick auf den Toraschrein in der Synagoge der Chachmej Jeschiwa Lublin.
© Monika Tarajko

Dank dieser Restitution befinden sich nach mehr als 80 Jahren nun sieben Bücher der Jeschiwa im (Wieder-)Besitz der Jüdischen Gemeinde Lublin. In Lublin besteht die Hoffnung, dass sich dieser Bestand noch vergrößern wird. Die Provenienzforschung von deutscher Seite hat mit der Restitution der Bücher durch die FU Berlin und dem Centrum Judaicum einen Beitrag dazu geleistet.

Bewertung: NS-Raubgut

Die restituierten Bände in der Datenbank LCA:

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/226191

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/241498