Fritz Elsas (1890-1945)

Alles begann mit einem zufälligen Fund in der Wirtschaftswissenschaftlichen Bibliothek der Freien Universität Berlin im Frühsommer 2019: ein Buch, in welchem sich der handschriftliche Eintrag „Dr. Fritz Elsas“ befindet. Wie sich herausstellte, gehört dieses Buch zu einem Zugang, den die Volkswirtschaftliche Bibliothek (eine der beiden Vorgängerbibliotheken der Wirtschaftswissenschaftlichen) 1949 für einen Preis von 250 Westmark erwarb. Der Zugang umfasste ursprünglich etwa 450 Exemplare. Im Laufe der Jahre wurde etwa ein Drittel davon ausgesondert. Dennoch tauchten bei der Sichtung der übriggebliebenen Exemplare immer mehr Bücher auf, die den Eintrag „Dr. Fritz Elsas“ enthalten. Dazu kamen Fritz Elsas’ Ex libris, der Stempel „Dr. rer. pol. Fritz Elsas“ und weitere Einträge, die auf Elsas als einstigen Besitzer der Bücher hinwiesen.

Fritz Elsas. Quelle: Stadtarchiv Stuttgart. Foto: Heinz Eschwege.

Wer war Fritz Elsas nun eigentlich? Und wie kamen seine Bücher an die FU? Fritz Julius Elsas wurde am 11. Juli 1890 in Cannstatt, Württemberg, als Sohn des Cannstatter Industriellen Kommerzienrat Julius Elsas geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Cannstatt studierte er Rechts- und Sozialwissenschaften sowie Volkswirtschaft in München, Berlin und Tübingen. 1912 promovierte er schließlich zum Dr. rer. pol. In den Jahren nach Abschluss des Studiums bis 1926 bekleidete Fritz Elsas diverse öffentliche Ämter in der Stuttgarter Stadtverwaltung: zunächst als Leiter des Lebensmittelamtes, nach dem Ersten Weltkrieg als Rechtsrat und Referent für Handel, Gewerbe, Verkehr und Öffentlichkeitsarbeit und ab 1925 als Vorstand des Personalamtes. 1918 trat er der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) bei und war von 1926 bis April 1931 Vizepräsident und geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen und Preußischen Städtetags. 1931 wurde er zum 2. Bürgermeister Berlins gewählt. Zuvor hatte er auf eine Kandidatur zum Bürgermeister Stuttgarts aufgrund antisemitischer Anfeindungen verzichtet.

Im März 1933 reichte er ein Urlaubsgesuch ein, um einer Amtsenthebung durch die Nationalsozialisten zuvorzukommen. Wenige Monate später wurde er aufgrund seines jüdischen Hintergrundes (Elsas stammte aus einer jüdischen Familie und nahm später den evangelischen Glauben seiner Stiefmutter an) und des am 7. April 1933 verabschiedeten NS-Gesetzes „zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ in den Ruhestand versetzt.Darauf arbeitete er als Wirtschafts- und Devisensachverständiger. Seit 1934 hatte Elsas Verbindungen zu einem liberalen Widerstandskreis und zu Carl Friedrich Goerdeler (früherer Leipziger Oberbürgermeister). Im Juni 1937 wurde er unter dem Vorwand von Devisenvergehen festgenommen und war bis November des Jahres in der JVA Berlin-Moabit in Untersuchungshaft.

Nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 nahm Elsas den sich auf der Flucht befindenden Carl Friedrich Goerdeler in der Nacht vom 26. zum 27. Juli 1944 bei sich zu Hause auf. In den nächsten Tagen besuchte Goerdeler ihn womöglich nochmals. Elsas hatte für Goerdeler eine Proklamation verfasst, die nach dem Attentat die Öffentlichkeit aufklären sollte und u.a. Elsas für den Posten des Leiters der Reichskanzlei vorsah. Am 10. August 1944 wurde Fritz Elsas verhaftet und in das Gefängnis Lehrter Straße in Berlin gebracht. Vermutlich hatten Nachbarn ihn und Carl Goerdeler beobachtet und angezeigt.Im Dezember 1944 wurde er in das KZ Sachsenhausen überstellt. Zu Beginn des Jahres 1945, wahrscheinlich am 04. Januar, wurde er nach dem Morgenappell – ohne Gerichtsverfahren – auf dem sogenannten Industriehof erschossen. Das Todesdatum wurde auf den 18.01.1945 festgelegt. An diesem Tag wurde im Deutschen Reichsanzeiger Folgendes bekanntgegeben: „[…] [D]er gesamte Nachlass des Juden Fritz Israel Elsas, 11. Juli 1890 in Stuttgart, zuletzt wohnhaft gewesen in Berlin-Dahlem, Patschkauer Weg 41, [wird] zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen.“

Auch zu Elsas’ Familie ist Einiges bekannt: Fritz Elsas war seit 1915 mit Marie Sophie Friederike Elsas, geb. Scholl (1886 – 1968) verheiratet. Das Paar hatte drei Kinder: Marianne Elsas (verheiratete Schulze, 1916 – 1966), Hanne Elsas (verheiratete Heuss, 1918 – 1958) und Peter Fritz Richard Elsas (11.02.1920 – 22.08.1998).

Da die Verhaftung von Fritz Elsas 1944 im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 stand, wurden seine Frau und seine Töchter in Sippenhaft genommen. Marie und Marianne wurden am 04.09.1944 verhaftet und vermutlich ab Dezember 1944 im Frauengefängnis Moabit inhaftiert, wo sie am 23.04.1945 durch Ernst Ludwig Heuss, der sich als Beamter des Justizministeriums ausgab, befreit wurden. Hanne gelang es vorerst unterzutauchen. Schließlich wurde sie jedoch festgenommen, nachdem sie um die Freilassung der Mutter gebeten hatte. Nach ihrer Verhaftung, vermutlich zu Beginn des Jahres 1945, wurde sie in das KZ Ravensbrück gebracht. Sie heiratete am 05.08.1945 Ernst Ludwig Heuss in Ravensbrück.

Peter Elsas wurde bereits am 24.09.1943 in Stuttgart verhaftet. Über seine Haft ist mehr bekannt. Er wurde als „Mischling I. Grades“ am 28.01.1944 in das KZ Buchenwald eingeliefert. Sehr wahrscheinlich wurde er aus dem Polizeigefängnis Welzheim überstellt (von dort wurde später sein Privatgeld an ihn überwiesen). In Buchenwald erhielt er die Häftlingsnummer 29812 und war als Technischer Zeichner tätig. Das war vermutlich der Grund, warum Peter Elsas nach vier Monaten Baukommando (21.02. bis 24.06.1944) in das Außenkommando Gustloff-Werke II zum Arbeitseinsatz kam. Dieses Rüstungswerk wurde am 24.08.1944 bei einem Bombenangriff der Alliierten zerstört. Peter Elsas wurde dann am 16.09.1944 in das Außenlager Witten-Annen zum Arbeitseinsatz geschickt. Das Außenlager wurde am 29.03.1945 geräumt und die Überlebenden trafen am 31.03.1945 in Lippstadt auf amerikanische Truppen. Wahrscheinlich erlebte Peter Elsas dort die Befreiung. Anfang Dezember 1946 reiste er zusammen mit seiner Ehefrau Lilli Sophie Elsas in die USA aus.

Was passierte mit Elsas Nachlass, also auch den Büchern? Fritz Elsas und seine Familie waren ab 1926 in der Goebenstraße 41 wohnhaft. Die Goebenstraße wurde zwischen 1930 und 1936 in Patschkauer Weg umbenannt. Der Patschkauer Weg 41 ist auch die letzte bekannte Anschrift Fritz Elsas’ sowie seiner Familie. Bereits am 29.07.1939 übertrug Fritz Elsas den Grundbesitz Patschkauer Weg 41 zu gleichen Teilen auf seine drei Kinder. Das Grundstück wurde am 13.01.1945 von der Geheimen Staatspolizei beschlagnahmt. Im Haus befand sich von diesem Tag an eine Gestapo-Dienststelle. Der Einzug des gesamten Vermögens wurde wie oben beschrieben am 18.01.1945 im Deutschen Reichsanzeiger bekanntgegeben.

Am 27.12.1948 stellte Marie Elsas, nun wohnhaft in der Hermann-Kurz-Straße 15 in Stuttgart, einen Antrag an das Wiedergutmachungsamt zur Rückgabe von 10.000 RM in Wertpapieren und 5.000 RM Bargeld.Das Wiedergutmachungsamt wollte ihr allerdings nur Vermögen im Wert von 378,50 RM, das bei der Berliner Stadtbank vermerkt war, zugestehen und forderte Nachweise über den restlichen Betrag. Am 01.11.1951 zog sie den Antrag zurück, da sie diese nicht erbringen konnte.

Etwa vier Jahre später, am 17.10.1955, wurde der Antrag wiederhergestellt, aber nur einen Monat später vom Senator für Finanzen abgewiesen. Marie Elsas legte darauf am 22.11.1955 Einspruch ein und erklärte, dass die Gestapo, während die Familie in Haft war, im Patschkauer Weg 41 eine Dienststelle eingerichtet hatte und alles, was sich im Haus befand, benutzte. Am 15.12.1955 wurden die Ansprüche erneut zurückgewiesen, ab dem 28.01.1956 wurde die Zurückweisung rechtskräftig.

Die Kinder waren in den Jahren 1944 – 1951 als Eigentümer der Immobilie Patschkauer Weg 41 eingetragen geblieben und haben auf dem Papier weiterhin über den Grundbesitz verfügt. Allerdings konnte die Gestapo mit Fritz Elsas’ Besitz im Patschkauer Weg 41 umgehen, wie sie wollte. Das betrifft nicht nur sein finanzielles Vermögen, sondern auch seine Bibliothek. Es ist also durchaus möglich, dass seine Bücher entwendet wurden, während sich die Dienststelle im Haus befand und dann schließlich 1949 an die Volkswirtschaftliche Bibliothek für 250 Westmark verkauft wurden. Zu beachten gilt vor allem, dass im Reichsanzeiger von Elsas’ „gesamte[m] Nachlass“ die Rede ist und nicht nur von seinem Vermögen. Somit betrachten wir Elsas’ gesamten Nachlass als Raubgut, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist.

Die Nachfragen an seine Enkelin brachten keine neuen Erkenntnisse. Alle anderen Verwandten, die dazu möglicherweise Auskunft hätten geben können, sind bereits verstorben. Die Familie hat sich entschlossen, die 128 hier gefundenen Bücher, die eindeutig Fritz Elsas zugeordnet werden konnten, der Universitätsbibliothek zu schenken. Sie werden als Sammlung geschlossen in der Universitätsbibliothek der Freien Universität aufgestellt und können vor Ort eingesehen werden. Eine Ausleihe ist aufgrund ihres Raubgutstatus nicht möglich.

Fritz Elsas‘ Ex libris.
Seine Unterschrift.
Sein Stempel.

Weitere Informationen finden Sie unter:
https://lootedculturalassets.de/index.php/Detail/entities/9545

Israelitisch-Theologische Lehranstalt Wien

Bibliotheksstempel der ehemaligen Israelitisch-Theologischen Lehranstalt in Wien

Am 15. November 2020 hat die Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin ein Exemplar aus dem ehemaligen Bibliotheksbestand der Israelitisch-Theologischen Lehranstalt Wien (ITLA) an die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG) restituiert.

Die Israelitisch-Theologische Lehranstalt wurde am 15. Oktober 1893 gegründet und diente bis 1938 als Ausbildungsstätte für Rabbiner, Prediger und Religionslehrer. Der Lehrplan und das Selbstverständnis standen im Einklang mit der intellektuellen Strömung der Wissenschaft des Judentums. Die Gründung der ITLA geht auf Rabbiner Moritz Güdemann (1835-1918), die Gebrüder Gutmann und Adolf Jellinek (1820 oder 1821-1893) zurück. Für die Organisation und den Aufbau der Lehranstalt diente das Jüdisch-Theologische Seminar Fraenckel’sche Stiftung in Breslau als Vorbild.

Das Lehrgebäude befand sich in der Tempelgasse 3 in Wien. Es war im heute noch existierenden Verwaltungsgebäude 2 der IKG Wien untergebracht. Im selben Gebäude befanden sich auch das 1863 von Adolf Jellinek gegründete „Beth Ha-Midrash“ und eine Mikwe. Im März 1938 wurde die Bibliothek der ITLA beschlagnahmt. Teile des Bibliotheksbestandes sind unter anderem in das Institut für politische Geistesgeschichte zu Berlin gelangt.

Buch: Antisemiten-Spiegel. Die Antisemiten im Lichte des Christenthums, des Rechtes und der Moral. (1892)

Rechercheergebnis: NS-Raubgut, Rechtsnachfolger ist die IKG Wien

Weitere Informationen finden Sie unter: https://lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/257846