Fragmented Fates – Provenienzforschung bringt Licht ins Dunkel

Mit der Lichtinstallation Fragmented Fates erinnert die Arbeitsstelle Provenienzforschung der UB der FU Berlin an die jüdischen Opfer des NS-Regimes, die in den Schatten der Geschichte verdrängt wurden.

Quelle: Universitätsbibliothek, Freie Universität Berlin

Hier geht es zur Lichtinstallation:

https://www.fu-berlin.de/sites/ub/ueber-uns/provenienzforschung/10-jahre/lichtinstallation/index.html

Eine Rückgabe aus der Bibliothek von Dr. med. Erich Stern

Am 29. September 2023 fand in Toulouse eine feierliche Zeremonie statt, bei der insgesamt 40 Bücher (6 davon aus der UB) aus der privaten Bibliothek des deutschen Psychologen Dr. med. Erich Stern von der ZLB zurückgegeben wurden. Die einzige Tochter von Dr. med. Erich Stern war Hilde/Hélène Stern, die 2010 verstorben ist, hinterließ den Nachlass ihres Vaters der Groupe Toulousain de la Société Psychanalytique de Paris.

Die gemeinsame Restitution der Freien Universität Berlin und der ZLB wurde durch die enge Zusammenarbeit mit der französischen Kommission für die Entschädigung der Opfer von Enteignungen aufgrund der antisemitischen Gesetzgebung während der Okkupationszeit CIVS möglich.

Erich Stern wurde am 30. Oktober 1889 in Berlin geboren. Er studierte Naturwissenschaften und Humanmedizin. Später wurde er ein renommierter Psychiater, Psychologe und Pädagoge, der insbesondere für seine Arbeiten im Bereich der Psychosomatik und Medizinischen Psychologie bekannt wurde. Im Juli 1914, zu Beginn des Ersten Weltkrieges, trat Stern als Hilfsarzt in den Heeresdienst ein. Während seiner Zeit im Militär diente er zunächst als Unterarzt in verschiedenen Lazaretten. Nach 1917 wurde er zum Oberarzt befördert.

Stern habilitierte 1920 und erhielt einen Lehrauftrag in Pädagogischer Psychologie in Gießen. 1934 wurde er außerordentlicher Professor in Gießen, arbeitete später in Mainz, wo er eine kleine psychiatrische Praxis betrieb. Zudem veröffentlichte Stern bis Ende der 20er Jahre verschiedene Beiträge zur Pädagogik und Jugendpsychologie.

Im Jahr 1933 wurde Dr. med. Erich Stern mit 56 Jahren aufgrund seiner jüdischen Herkunft nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ zwangspensioniert und entlassen. Infolgedessen emigrierte er mit seiner Familie in die Schweiz, wo er zunächst am Institut für Hochgebirgsphysiologie und Tuberkuloseforschung in Davos tätig war. Später zog die Familie nach Paris, wo er in der Kinderpsychiatrischen Universitätsklinik der Sorbonne arbeitete und auch Sprechstunden für Kinder mit Intelligenz- und Verhaltensstörungen abhielt. Während dieser Zeit betreute er auch jüdische Emigranten in einem Gesundheitszentrum.

Während der deutschen Besatzung wurde seine Wohnung in der Gemeinde Boulogne-Billancourt, die sich 8 km südwestlich von Paris befand, von der deutschen Wehrmacht vollständig geplündert. Seine große Bibliothek mit über 6.000 Büchern wurde vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) nach Berlin transportiert.

Im Jahr 1938 erlangte die Familie die französische Staatsbürgerschaft. Doch infolge des Drucks der deutschen Nationalsozialisten wurde ihnen diese bereits im Jahr 1943 entzogen, was dazu führte, dass sie staatenlose und verfolgte Juden wurden. Als im Jahr 1940 deutsche Truppen in Frankreich einmarschierten, verließen die Sterns Paris und siedelten sich im Département Dordogne im Süden Frankreichs an. Dort arbeitete Dr. med. Stern im Clairvivre, einem Lungensanatorium, kehrte aber nach Kriegsende nach Paris zurück.

Dr. med. Erich Stern engagierte sich in verschiedenen jüdischen Organisationen, die sich der Betreuung von Waisen widmeten. Von 1950 bis 1956 bekleidete er die Position des „Chargé de Recherches“ am „Centre National de la Recherche Scientifique“ in Paris, wo er weiterhin an wissenschaftlichen Forschungsprojekten arbeitete. Später verbrachte er seinen Lebensabend in Kilchberg bei Zürich.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte sich Dr. med. Stern intensiv, aber vergebens darum, seine Bibliothek wiederzufinden und zurückzuerlangen. Der entscheidende Wendepunkt in diesem Bemühen trat erst viele Jahrzehnte nach seinem Tod, nämlich in den Jahren 2020 und 2021, ein, als die ZLB Werke aus Dr. Sterns Bibliothek in ihren eigenen Beständen entdeckte.

Wie kamen die beschlagnahmten Bücher von Dr. med. Erich Stern in die UB der FU Berlin?

Diese sechs Bücher wurden in der Sammlung Alfred Weiland gefunden, die 1979 von der FU Berlin erworben wurde. Weiland arbeitete von Juni 1945 bis Februar 1946 in der sogenannten „Bergungsstelle“ und sortierte dort NS-Raubbücher aus der Bibliothek des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA). Viele davon fügte er seiner eigenen Büchersammlung hinzu. Sowohl die Bücher aus dem Bestand der FU Berlin als auch diejenigen aus der ZLB stammen aus dem RSHA-Depot und fanden in der Nachkriegszeit ihren Weg in die Berliner Bibliotheken.

Das Team der Arbeitsstelle Provenienzforschung freut sich darüber, dass im Rahmen ihrer Arbeit diese Bücher zurückgegeben werden konnten.

Die Bücher in LCA:

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/249285

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/234377

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/288043

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/251731

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/251109

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/250908


Provenienzhinweis Dr. Erich Stern

Weitere Quellen mit Bildnachweis:

Vom früheren Reichssicherheitshauptamt VII Berlin V 30, Eisennacherstr. 11-13, beschlagnahmte Privat-Bibliotheken – Stern, Erich, Pädagoge, Giessen

Quelle: www.fold3.com

„Die Spur der Bücher“ – Ein Interview von Pepe Egger mit Ringo Narewski und Elena Brasiler

Wie gestaltet sich die Arbeit der Provenienzforschung in der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, und welche Erfolge konnten bisher erzielt werden? Anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Arbeitsstelle für Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek teilen der Leiter Ringo Narewski und Elena Brasiler ihre Einblicke und Erkenntnisse. Das vollständige Interview von Pepe Egger finden Sie hier.

Bildquelle: Beilage im Tagesspiegel der Freien Universität Berlin vom 8. Oktober 2023

„Seitenumbruch – Lesungen in der UB” an der FU Berlin im Herbst 2023 gestartet

Im Herbst laden das Team der Arbeitsstelle Provenienzforschung und der Verlag Hentrich & Hentrich Sie herzlich ein zu unserer Lesereihe „Seitenumbruch – Lesungen in der UB”.

Zum Auftakt am 12. Oktober 2023 um 18:00 Uhr begrüßen wir Dr. Dr. h. c. Hermann Simon, der aus den Memoiren seiner Mutter liest. Das Buch mit dem Titel „Untergetaucht – Eine junge Frau überlebt in Berlin 1940–1945“ erschien 2014 im S. Fischer Verlag.

Alle Lesungen finden in der Zentralbibliothek der Freien Universität Berlin in der Garystraße 39 statt. Zur besseren Planung bitten wir Sie, sich für die Teilnahme ab der zweiten Lesung am 2. November 2023 bis spätestens zum 31. Oktober 2023 anzumelden. Das Anmeldeformular finden Sie hier.

Alle Lesungen werden auch per Live-Stream übertragen. Den Link zum Live-Stream finden Sie zeitnah auf unserer Webseite.

Hier finden Sie alle Informationen zu den einzelnen Lesungen sowie zu den Terminen.

Die Heimkehr des Buches an das YIVO Institute for Jewish Research

Die Arbeitsstelle Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin hat ein Buch des legänderen YIVO Institute for Jewish Research als NS-Raubgut identifiziert und an das YIVO Institute in New York zurückgegeben. Dieses Buch wurde während des Zweiten Weltkriegs aus der „Bibliothek des Jiddisch Wissenschaftlichen Instituts“ „בּיבּליאׇטעק פון דעם יידישן וויסנשאַפטלעכן אינסטיטוט“ infolge der deutschen Besatzung in Vilnius, Litauen beschlagnahmt. Nach einer 81-jährigen Odyssee kehrt dieses Buch endlich in den New Yorker Hauptsitz zurück. Wir sind dankbar, dieses verlorene Stück Geschichte zurück in die Hände des YIVO-Instituts überbringen zu können.

Provenienz: בּיבּליאׇטעק פון דעם יידישן וויסנשאַפטלעכן
אינסטיטוט‘
Übersetzung: Bibliothek des Jiddisch Wissenschaftlichen Instituts

Das YIVO Institute war eine renomierte Institution mit akademischem Fokus auf ostjüdischer und jiddischer Kultur und Wirtschaft. Es wurde 1925 in Berlin gegründet, um das Studium und die Erhaltung der jiddischen Sprache und Kultur zu fördern. Der Hauptsitz des Instituts wurde in das damals polnische Vilnius verlegt, das als Kulturhauptstadt der jiddischsprachigen Juden galt. Im Jahr 1935 zog das YIVO Institute in die Wiwulski Strasse 10 und hatte damit ein festes Zuhause, um weiterhin an der Dokumentation und Erhaltung der jiddischen Sprache und Kultur zu arbeiten. [1]

Auch die Bibliothek des YIVO Institutes galt vor dem Zweiten Weltkrieg als eine der bedeutendsten jüdischen Bibliotheken Europas. Im Jahre 1939 beinhaltete die Bibliothek ca. 85.000 Bände. Die Existenz des YIVO Instituts in Vilnius wurde jedoch schlagartig und gewaltsam beendet, als Litauen von der Sowjetunion annektiert und von den deutschen Truppen im Sommer 1941 besetzt wurde. Nach der Invasion der deutschen Wehrmacht von Vilnius errichteten die Nationalsozialisten im März 1942 ein Sortierzentrum für jüdisches Kultureigentum im Gebäude von YIVO und brachten die Arbeit des Instituts zum Erliegen.

Provenienz: Sichergestellt durch Einsatzstab RR, Wilna

In dieser Zeit reiste Johannes Pohl als Mitglied des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg (ERR) und Chefbibliothekar von Alfred Rosenberg durch die besetzten Ostgebiete, um für das Institut zur Erforschung der Judenfrage brauchbare Schriften in Bibliotheken auszusondern, was in Wirklichkeit ein Raubzug des jüdischen Kulturguts für den NS-Staat war. Er war seit 1941 Bibliothekar an der „Jüdischen Bücherei“ des Instituts zur Erforschung der Judenfrage, einer besonderen Abteilung der Hohen Schule der NSDAP beschäftigt. Der ERR beschlagnahmte kulturelles Eigentum, insbesondere Bücher und Kunstwerke von jüdischen Familien, Organisationen und Bibliotheken im von den Nazis besetzten Europa. Dieses Buch konnte aufgrund der vorgefundenen Provenienzhinweise eindeutig als NS-Raubgut identifiziert werden, da es vom Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) konfisziert wurde.

Anfang des Jahres 1942 traf Pohl in Vilnius ein. Unter seiner Anweisung wurden zwischen September 1941 und September 1943 40 jüdische Intellektuelle aus dem Ghetto von Vilnius gezwungen, die Sammlungen des YIVO-Instituts für eine Beschlagnahme systematisch zu überprüfen, zu sortieren oder diese auch zu zerstören. Die Gruppe dieser Intellektuellen, die als „Papierbrigade“ bekannt wurde, bestand aus bekannten Persönlichkeiten wie Herman Kruk, Dina Abramowicz, Zelig Kalmanowicz und dem Dichter Abraham Sutzkever. Trotz der Lebensgefahr gelang es ihnen jedoch, einen Teil der wertvollsten Zeugnisse jüdischer Kultur in Europa zu retten.

Wi bajm baschitsn an eifl –
ich lojf mitn jidishn wort,
nishter in itlechn hejfl,
der gajst zol nit wern dermordt.

Wie einen zarten Säugling
beschütz ich das jiddische Wort,
schnuppre in jeden Berg Papier,
rette den Geist vor Mord.

Abraham Sutzkever: Weizenkörner, März 1943
Aus: Geh über Wörter wie über ein Minenfeld.
Frankfurt/New York: Campus Verlag 2009

Die Verluste, den das Institut erlitt, traf das YIVO schwer. Nicht nur ein beträchtlicher Teil des Wissens und der Geschichte, die das YIVO im Laufe der Jahre gesammelt hatte, ging unwiederbringlich verloren, sondern es waren auch persönliche Verluste zu beklagen. Unter denjenigen, die im Wilnaer Ghetto ihr Leben ließen, befanden sich auch Herman Kruk und Zelig Kalmanowicz, deren tragischer Tod eine schmerzliche Lücke in der Institution und im Herzen ihrer MitstreiterInnen hinterließ. Nur Dina Abramowicz und Abraham Sutzkever sind dem Tod entkommen, indem sie sich den jüdischen Partisanen anschlossen.[2]

Im Oktober und November 1942 sowie im Februar 1943 wurden durch den ERR bedeutende Teile der Bibliothek und Archive der YIVO u. a. in das Institut zur Erforschung der Judenfrage nach Frankfurt am Main, Bockenheimer Landstraße 68-70 verbracht. Dieses Institut diente den Nazis als zentrales Lager für sämtliche jüdische Kulturschätze, die sie aus Forschungseinrichtungen und Privatsammlungen in ganz Europa enteignet hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieges wurden die geborgenen Bestände der geplünderten YIVO Bibliothek und der Archive im Offenbach Archival Depot (OAD) sichergestellt und später zum Hauptsitz des YIVO Institutes nach New York gebracht.

Provenienz Nachweis aus dem Offenbach Archival Depot: Bibliothek des Jiddisch Wissenschaftlichen Instituts
YIVO OAD 18, Page 22
https://www.fold3.com/image/232163389?terms=yivo

Dort bestand seit 1925 bereits eine Niederlassung, und einige der führenden MitarbeiterInnen kamen aus Europa in die USA, um dort ihre Arbeit fortzusetzen. Das YIVO-Institute beherbergt mittlerweile die weltweit größte Sammlung von jiddischen Schriften und Materialien zur Geschichte und Kultur osteuropäischer Juden mit über 380.000 Büchern und Zeitschriften sowie mehr als 24 Millionen Dokumenten, Fotos, Postern, Filmen und anderen Archivalien.

Über das Buch

Das gefundene Buch in der FU Berlin stammte aus der Bibliothek für Sozialwissenschaften und Osteuropastudien und gelangte 1978 in den Bestand der FU. Ursprünglich gehörte es zum Bestand des Instituts für Balkanologie, das in den 70er Jahren aufgelöst wurde. Bedauerlicherweise sind keine Zugangsbücher aus dieser Zeit erhalten geblieben, wodurch der Lieferant nicht mehr festgestellt werden kann.

Provenienz: Abteilung Balkanstudie des Osteuropa-Instituts
Inv-Nr. 893/78/10674

Dieses Buch enthält mehrere Provenienzhinweise, die wichtige Informationen über die Herkunft und den Verbleib des Buches während der NS-Zeit lieferten und zur eindeutigen Identifizierung als NS-Raubgut beigetragen haben.

Die älteste Provenienz in diesem Buch ist ein Ausfuhrzeichen aus dem 1. Weltkrieg, auf dem ein stilisiertes Völkerschlachtdenkmal in Leipzig abgebildet ist (s. Mitte unten). Da mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges die formale Pressefreiheit aufgehoben wurde, ging die Kontrolle über die Medien an Zensurstellen beim Militär über. Im Jahr 1916 wurde in der Deutschen Bücherei in Leipzig eine Militärzensurstelle namens Buchprüfungsstelle Ober Ost eingerichtet, um den Import von Büchern zu kontrollieren, die in das Besatzungsgebiet der deutschen Streitkräfte an der Ostfront (kurz Ober Ost) gebracht werden sollten. Dieses Gebiet umfasste vom November 1915 bis Juli 1918 große Teile von Kurland, Litauen, Lettland und Weißrussland.[3]

Provenienz:
Ausfuhrzeichen Völkerschlachtdenkmal Leipzig

Die Verwendung von Zensur-Stempeln auf Büchern war auch Teil eines breiten Versuchs der deutschen Regierung, die Kriegsanstrengungen zu unterstützen und die öffentliche Meinung zu mobilisieren. Bücher, die den Idealen des Denkmals entsprachen und als patriotisch angesehen wurden, sollten die Moral der Bevölkerung stärken. Die von der Zensurstelle als unbedenklich eingestuften Bücher erhielten ein Ausfuhrzeichen als Genehmigung für den Export. Die Zensur für die Region Leipzig wurde vom 19. Armeekorps übernommen, welches das Völkerschlachtdenkmal auf den Stempeln verwendete. Daher durften nur Bücher mit diesem Ausfuhrzeichen von den lokalen Buchhändlern ins verbündete und neutrale Ausland sowie in die besetzten Gebiete – in diesem Fall nach Vilnius – exportiert werden. Es ist daher davon auszugehen, dass das Buch im Zeitraum von 1916-1918 von Leipzig nach Vilnius verbracht wurde.

Eine weitere Provenienz ist auf Hebräisch דר יעקב שאצקי von Dr. Jacob Shatzky.

Provenienz: Stempel: Dr. Yankev Shatzky

Der Name ist in der Provenienz entsprechend mit seinem Doktortitel angegeben: Dr. Yankev Shatzky. Ob Shatzky dieses Buch aber bereits vor seiner Disseration, und zwar während seines Aufenthalts in Vilnius im Jahre 1918 erworben hat, ist unbekannt. Eine hypothetische Anschaffung des Buches könnte aber erst nach dem Import aus Deutschland nach Litauen in den Jahren 1918 bis 1922 stattgefunden haben, da Schatzky im Dezember 1922 nach New York ging.[6] Anschließend wurde das Buch vermutlich von der YIVO-Bibliothek übernommen.

Foto: Yankev Shatzky (zweiter von rechts in Militäruniform mit seinen Brüdern, Warschau
Quelle:
https://yivoencyclopedia.org/article.aspx/Shatzky_Yankev

Dr. Yankev (Jacob) Shatzky (1893-1956) war ein anerkannter polnisch-jüdischer Historiker und Autor vieler Bücher, der in Warschau geboren wurde. Shatzky war ein bekannter Experte für jüdische Geschichte und Kultur in Polen und Ostmitteleuropa. Während des Ersten Weltkriegs diente er unter Marschall Józef Piłsudski in der polnischen Legion. Er erhielt drei Auszeichnungen für seinen Einsatz und stieg zum Leutnant auf. Nach dem Krieg arbeitete er kurzzeitig für die neue polnische Regierung. So wurde Shatzky 1918 vom polnischen Außenministerium nach Vilnius geschickt, um Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung zu untersuchen, die in der Stadt stattgefunden haben. Shatzky schrieb später einen Bericht über den Vorfall, der in der polnischen Presse veröffentlicht wurde. Als das Ministerium nicht auf seinen Bericht reagierte, trat er von seinem Posten zurück und unterrichtete Geschichte an jüdischen Gymnasien in Warschau.[4] Nach Abschluss seines Doktorats in 1922 wanderte er unmittelbar danach in die USA aus und wurde ab 1929 Bibliothekar des New York State Psychiatric Institute.[5] Er war Präsident des Yiddish PEN Clubs und engagierte sich in vielen Organisationen wie z. B. YIVO und der Jewish Historical Society of Israel (HSI). Einen Teil seiner umfangreichen Bibliothek vermachte er der Hebräischen Universität Jerusalem und der Jewish Historical Society of Israel.

Weiterführende Quellen und Links:

Das Buch in der LCA Datenbank:
https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/263439

Internet-Seite des YIVO in New York

[1] https://www.jewishvirtuallibrary.org/yivo

[2] https://www.piqd.de/zeitgeschichte/papier-brigade-die-shoah-und-die-bucher-von-vilnius

[3] https://www.wikiwand.com/de/Ober_Ost

[4] https://archives.cjh.org//repositories/7/resources/3509#a2

[5] New York Times, 14. Juni 1956

[6] Vgl. Ancestry, Einbürgerungsregister, Jacob Shatzky

Spuren in Tausenden Büchern – Podcast Provenienzforschung

Unser erster Podcast ist da! 🎙️ Zum Auftakt des 10-jährigen Jubiläums der Arbeitsstelle Provenienzforschung der Universitätsbibliothek an der FU Berlin starten wir unsere Podcast-Reihe: Spuren in Tausenden Büchern. In der ersten Folge „Anfänge“ geht es darum, wie die Suche nach den geraubten Büchern begann und wie die Spuren aus den Büchern ins Internet kamen.

Von historischen Erinnerungen an die Suche nach geraubten Büchern kurz nach dem Zweiten Weltkrieg führt diese erste Folge im Zickzack bis zum 10-jährigen Jubiläum der Arbeitsstelle Provenienzforschung im Jahr 2023. Auf dem Weg liegen unter anderem die Gründung der Freien Universität Berlin 1948, die Anfänge systematischer NS-Raubgutforschung in den 1990er Jahren und jede Menge Spuren in Büchern – die heute in einer modernen Datenbank
(Looted Cultural Assets) verzeichnet werden.

Ringo Narewski, Leiter der Arbeitsstelle Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek der FU, erzählt im Interview mit Lizaveta Wunderwald von Erfahrungen und Schwierigkeiten bei der Suche nach NS-Raubgut in Bibliotheken. Bei diesem Thema ergänzen ihn Dr. Andreas Brandtner, Leitender Direktor der Universitätsbibliothek der FU, sowie die Provenienzforscher Sebastian Finsterwalder und Peter Prölß von der Zentral- und Landesbibliothek Berlin und dem Deutschen Technikmuseum.    

Neugierig geworden? Hier geht es zur Folge 1: Anfänge

Folge 1: Anfänge

10 Jahre Jubiläum Arbeitsstelle Provenienzforschung

Die Arbeitsstelle Provenienzforschung wird 10!🎉

Zahlreiche Events bieten das ganze Jahr 2023 einen Blick auf die junge Geschichte der Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek der FU Berlin. Infos zum Auftakt unseres Jubiläums finden Sie in Kürze auf unserer Webseite und auf Twitter. https://twitter.com/raubgut_books

Rückgabe von NS-Beutegut: zurück in die Bibliothek der Karls-Universität Prag

Im September 2022 wurde ein Buch aus dem Bücherraub der deutschen Wehrmacht an die Karls-Universität Prag zurückgegeben. Die Arbeitsstelle Provenienzforschung hat im Zuge der Provenienzforschung in der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin (FU) das Buch als NS-Beutegut identifiziert.

Nur wenige Monate nach der deutschen Besetzung Tschechiens, errichtete die Wehrmacht das „Protektorat Böhmen und Mähren“. Dabei wurde die älteste Universität Mitteleuropas 1939 in die Berliner Reichsverwaltung übernommen und zur Reichsuniversität unter dem Namen „Deutsche Karls-Universität in Prag“ erklärt.

Im Zuge der so genannten „Arisierung“ verdrängten die Nationalsozialistinnen jüdische Studierende und jüdisches Lehrpersonal aus der Karls-Universität Prag. Gleichzeitig kam es zu Plünderungen und Beschlagnahmungen zahlreicher Fakultätsbibliotheken zur Sicherstellung des sogenannten „schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ durch die deutsche Wehrmacht. So wurde das Gebäude der Juristischen Fakultät vom SS-Hauptquartier besetzt und ein Großteil der Bibliotheksbestände beschlagnahmt und später nach Deutschland verbracht.

Das Zugangsbuch der Universitätsbibliothek aus dem Jahr 1963 weist als Lieferanten das wissenschaftliche Antiquariat Sauer & Keip auf. Das Exemplar enthält zwei Stempel der Juristischen Fakultät der Karls-Universität in Prag.

Die Beschlagnahmeaktion aus der Bibliothek der Juristischen Fakultät der Karls-Universität Prag steht im Zusammenhang mit Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes während des 2. Weltkrieges. Dieses Buch gilt daher als NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut aus den besetzten Territorien. Detaillierte Informationen der Bibliotheksverluste aus dieser Zeit sind nicht vorhanden.

Seminář práva mezinárodního na české práv. fakultě v Praze.
deutsch: Seminar zum Internationalen Recht an der Tchechischen Fakultät für Rechtswissenschaften in Prag

Bewertung: NS-Beutegut

Das zurückgegebene Buch finden Sie in der Datenbank LCA:

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/MultiSearch/Index?search=Urkunden+zur+Geschichte+des+V%C3%B6lkerrechts.

Neues Mitglied bei der LCA: die Deutsche Nationalbibliothek (DNB)

Heute begrüßen wir unseren neuen Kooperationspartner die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) bei LCA und freuen uns auf die Zusammenarbeit bei der gemeinsamen Provenienzforschung und Aufarbeitung von NS-Raubgut in Bibliotheken.

Die DNB überprüft derzeit systematisch die Zugangsjahre 1933-1945 im Monografienbestand der vormaligen Deutschen Bücherei Leipzig auf ihre Herkunft. Als Ausgangspunkt für die Recherche dienen Zugangsbücher der Deutschen Bücherei, die bis einschließlich 1940 im Original erhalten sind.

Weitere Informationen über die Provenienzforschung der Deutschen Nationalbibliothek finden Sie hier.

www.dnb.de/provenienzforschung

„Mit dem Stimmzettel werden wir sie besiegen!“

Provenienz 1: H. Kammerahl
Provenienz 2: Runder Stempel: Staatspolizeistelle für den Reg. Bez. Stade, Wesermünde
Provenienz 3: Stempel: Bestandsbuch Seite 3, Nr. 13 F

Mit dem Stimmzettel werden wir sie besiegen!“ rief einst Heinrich Kammerahl zu seinen Genossen, die sich in Bremerhaven im Gewerkschaftshaus Eintracht an der Deichstraße 55 versammelten. Der Sieg bei der anstehenden Reichstagswahl am 5. März 1933 blieb bekanntlich aus. Die NSDAP wurde zur stärksten Fraktion im Reichstag, obgleich sie die absolute Mehrheit verfehlte. Und auch die Abstimmung der sozialdemokratischen Fraktion (SPD) am 24. März 1933 gegen das sogenannte Ermächtigungsgesetz, kann die Abschaffung des Parlaments als demokratische Institution nicht mehr verhindern. Das Ende der deutschen Demokratie ist damit endgültig besiegelt.

Wenige Tage später, am 2. Mai 1933 stürmte die SA gewaltsam das Gewerkschaftshaus Eintracht, plünderte die Parteibüros, die Arbeiterbibliothek und aneignete sich das Gewerkschaftsvermögen. Das Gewerkschaftshaus war danach von „Deutsche Arbeiterfront“ (DAF) der NSDAP besetzt, die unmittelbar nach der Zerschlagung der Gewerkschaften gegründet wurde.

Am 3. Mai 1933 wurde Heinrich Kammerahl und viele andere Sozialdemokraten und Gewerkschafter verhaftet. Er kam in die sogenannte „Schutzhaft“, wo er bis 1936 gefangen gehalten wurde. Nach seiner Entlassung stand er vorübergehend unter der Aufsicht der politischen Polizei bis er 1944 erneut verhaftet und in das KZ Sachsenhausen, politischer Häftlingsnummer 93200, verschleppt wurde.

Zur Vita: Heinrich Kammerahl (1893-1971) wurde in Wesermünde (Niedersachsen) geboren. Er war ein deutscher SPD/SED Politiker und Gewerkschafter.
Nach seiner Ausbildung als Klemptner/Installateur trat er als 20-jähriger der SPD und dem Deutschen Metallarbeiterverband bei. Kammerahl diente als deutscher Soldat im Ersten Weltkrieg. Im Laufe seiner politischen Karriere übte er viele politische Ämter bei der SPD aus. So war er in Bremerhaven Unterbezirksvorsitzer der USPD, ab 1924 Parteisekretär, Bürgermeister in Lehe sowie ADGB-Vorsitzender in Bremerhaven. Er war zudem aktiv im Widerstand gegen die Nationalsozialisten.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde Heinrich Kammerahl Bürgermeister von Gülsdorf und Seyda (Sachsen-Anhalt) und war ab 1946 als Mitglied der SED aktiv.

Die im Bibliotheksbestand der FU Berlin als NS-Raubgut identifizierten Bücher wurden in der Sammlung Alfred Weiland gefunden. Die Restitution an die Erben erfolgte im Juli 2022.

Bewertung: NS-Raubgut

Die Bücher in der Datenbank Looted Cultural Assets:

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/254859

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/248960