Eva und Victor Ehrenberg

Wenn wir in der Bibliothek der Heidelberger Hochschule für Jüdische Studien nicht nur NS-Raubgut identifizieren sondern auch Nachkommen der EigentümerInnen dieser Bücher auffinden, bildet das Angebot einer bedingungslosen Rückgabe den nächsten Schritt im Prozess, den wir im Sinne der Washingtoner Prinzipien als „fair und gerecht“ definieren. Gelegentlich aber – wie hier im Fall der Ehrenbergs – empfangen wir von den Angehörigen als Rückmeldung den Wunsch, das Buch in unserer Bibliothek zu belassen. Gewiss freuen wir uns über das uns geschenkte Vertrauen zumal das entsprechende Buch nicht nur thematisch gut aufgehoben ist, sondern auch geographisch, denn die Beschäftigung mit diesem Fall offenbarte uns gleich mehrere Anknüpfungspunkte der Familie nach Heidelberg. Eine ausführlichere Version dieses Beitrags findet sich auf der Webseite der Hochschule für Jüdische Studien.

Exlibris von August Sauer, Heddas Ehemann.

Ausgangspunkt für die Recherchen ist das Buch „Biblische Balladen“ der Autorin Hedda Sauer, erschienen 1923 im böhmischen Liberec/Reichenberg. Die darin enthaltenen Provenienzspuren erweitern die Bedeutung des Buches über den lyrischen Inhalt hinaus zu einem aussagekräftigen zeitgeschichtlichen Dokument.  In der Regel steht die das Buch besitzende Person in einseitiger Beziehung zur Autorin bzw. zum Autor, da für diese/n die Leserschaft anonym bleibt. Hier hingegen liegt ein Befund mit gleich mehreren Anzeichen für eine direkte und persönliche Interaktion vor, zumindest wagen wir es, sie dahingehend zu interpretieren: die Autorin selbst steht in direkter Beziehung zu den in den beiden Exlibris genannten Personen und sie ist die Autorin der händisch eingefügten Widmung.

Neben dem Exlibris von Heddas Ehemann August Sauer befindet sich im Buch ein Besitzvermerk der Eheleute Eva und Victor Ehrenberg…

…sowie eine handschrftliche Widmung von Hedda Sauer aus dem Jahr 1938: „Den Freunden gebundenen Wortes und ungebundenen Geistes“

Wir möchten annehmen, dass die Widmung den Ehrenbergs galt – von einer Bekanntschaft der beiden Paare ist auszugehen. August Sauer sowie Victor Ehrenberg lehrten beide an der Prager Universität, der eine deutsche Literatur, der andere griechische Geschichte. Beide kannten sich über die „Deutsche Gesellschaft für Alterthumskunde„, wie wir dem Auszug aus dem Prager Vereinsregister ersehen können.

Die Suche nach dem Ursprung dieser sehr ästhetischen Bildsprache der Widmung führt uns zum Althistoriker Ernst Curtius, der sich 1857 bei einer Rede an der Göttinger Universität dieser Metaphorik in leicht anderer Form bedient hatte. Wir können davon ausgehen, dass das Zitat in den entsprechenden Kreisen nicht unbekannt war, zumal Victor Ehrenberg ebenfalls in Göttingen – zwar wesentlich später – einen Teil seines Studiums absolviert hatte.

Die Verwendung des Plurals in der Widmung lässt uns vermuten, dass das Buch dem Ehepaar Ehrenberg gemeinsam zugedacht war und so lässt sich auch das Exlibris erklären, dass später unter dem des 1926 verstorbenen August Sauer fixiert worden war.

Bevor die Ehrenbergs 1926 nach Prag zogen, wo Victor den Lehrstuhl für Alte Geschichte erhielt lebte das Ehepaar mit den beiden Söhnen in Frankfurt. In den 30er Jahren wurden die Ehrenbergs auch in der Tschechoslowakei mehr und mehr mit ihrer jüdischen Herkunft, die im privaten Alltag fast keine Rolle spielte, konfrontiert. Die Verlage im Deutschen Reich verweigerten Victor Ehrenberg seine Studien zu publizieren und die Kinder Gottfried (geb. 1921) und Ludwig (geb. 1923) spürten auch in Prag vermehrt Anfeindungen. Spätestens mit dem sogenannten Münchner Abkommen und der Gleichschaltung der Deutschen Universität sowie der deutschen Gymnasien war für die Familie an eine Zukunft in der Tschechoslowakei nicht mehr zu denken. Etwa vier Wochen vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Prag konnte die Familie, mit allen notwendigen Papieren ausgestattet, die Emigration nach England antreten. Eva Ehrenberg reflektierte später die Situation am Prager Bahnhof: „In pausenloser Anstrengung hatten wir das Rennen gemacht; wir kamen heraus, ehe Hitler hereinkam.“

Die genauen Entzugsumstände des Buches aus dem Besitz der Familie sind unklar, doch die Tatsache, dass es aus einem Kontext stammt, in dem in Prag massenhaft geraubte Bücher zusammengefasst worden waren, legt nahe, dass die Ehrenbergs das Buch unfreiwillig zurücklassen mussten.

Ausführlichere Beschreibung und Quellen: Webseite der Hochschule für Jüdische Studien

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